S. Martin-Kilcher u.a. (Hrsg.): Das römische Heiligtum von Thun-Allmendi

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Titel
Das römische Heiligtum von Thun-Allmendingen, die Regio Lindensis und die Alpen.


Herausgeber
Martin-Kilcher, Stefanie; Schatzmann Regula
Reihe
Schriften des Bernischen Historischen Museums 9
Erschienen
Bern 2009: Schriften des Bernischen Historischen Museums
Anzahl Seiten
358 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Rudolf Zwahlen

Unter der Federführung von Stefanie Martin-Kilcher und Regula Schatzmann schufen 21 Forscherinnen und Forscher ein umfassendes Werk zum römischen Heiligtum von Thun-Allmendingen. Vorangegangen war ein Forschungsprojekt, das Martin-Kilcher mit Studierenden am Seminar für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie der römischen Provinzen an der Universität Bern durchführte.

Die Monographie kann in drei Schwerpunkte aufgeteilt werden: Situation, Forschungsgeschichte mit Quellenkritik und bauliche Überreste (Kapitel 1 – 4); Vorstellung und Interpretation der Fundobjekte (Kapitel 5); Forschungsergebnis im archäologischen, religiösen und geographischen Kontext (Kapitel 6 – 8).

Gishan F. Schaeren führt mit seinen Ausführungen zu Topographie und Forschungsgeschichte den Leser auf verständliche Weise an die komplexe Thematik heran. Zusammen mit Martin-Kilcher schafft er es, aus den sehr lückenhaften Dokumentationen, die von den Ausgrabungen von 1824 / 25, 1926 und 1967 vorliegen, die Befunde soweit zu rekonstruieren, dass daraus nachvollziehbare und vertretbare Interpretationen abgeleitet werden können.

Im Katalog und Tafelteil am Schluss des Werkes sind die Funde nach fünf anhand der räumlichen Situation definierten Zonen geordnet. Die Besprechung des Fundmaterials ist hingegen dem Fundort entsprechend gegliedert: Vorangestellt sind Objekte, die eindeutig einem religiösen Kontext angehören. Kapitel 5 geht aber deutlich über eine einfache Fundvorlage hinaus. So erfährt man von Heinz E. Herzig in Zusammenhang mit dem eine Inschrift an die «Alpes» tragenden Statuensockel Interessantes zum römischen Verständnis der Alpen. Gunther Martin fügt dem Aspekte aus der römischen Literatur bei, die sich auch mit diesem Hort drohender Naturgewalten auseinandersetzte.

Auf ihre Rechnung kommen auch technisch Interessierte. Markus Binggeli beschreibtdie experimentelle Herstellung eines Votivblechs und von Perlen aus hauchdünnemGoldblech. Schmunzeln lässt dabei die Erkenntnis, dass die Lotmasse zumLöten von Gold in Abänderung des Lotrezepts des Plinius auch ohne die Beigabe vonKnabenurin funktioniert.

Von der Marmorstatuette einer synkretistischen Göttin über Miniaturgefässe aus Zinn und aus Ton bis zu den Terrakotten bieten die kultrelevanten Funde aus dem Heiligtum in einer breiten Palette mannigfache Anhaltspunkte zum Verständnis der Religiosität in römischer Zeit. Das übrige Fundmaterial, das von der mit rund 1750 Individuen vertretenen Keramik dominiert wird, weist ein ähnliches Spektrum auf, wie es für Fundstellen – auch ohne religiösen Kontext – in der weiteren Umgebung typisch ist. Eine Sonderstellung kommt unter diesen Funden zumindest den Hirschgeweihfragmenten zu, die von André Rehazek und Marc Nussbaumer zusammen mit den Tierknochen vorgestellt werden. Martin-Kilcher erläutert ergänzend die sakrale und rituelle Bedeutung des Hirsches, insbesondere in Zusammenhang mit der Jagdgöttin Diana. Deren Verehrung ist in Thun-Allmendingen klar fassbar. Eine weitere Besonderheit bilden die von Susanne Frey-Kupper ausgewerteten Münzen. Diese prägen normalerweise wichtige Teile des profanen Alltags. Als Spenden an eine Gottheit verwendet, werden sie unmittelbar zu Votiven und dadurch ihrem weiteren Umlauf entzogen. Die Münzreihe wirft einerseits ein die Datierung stützendes Licht auf die Fre quentierung des Heiligtums. Andererseits zeigt sie ein Spiegelbild der schon damals Schwankungen unterlegenen wirtschaftlichen und monetären Befindlichkeit einer Gesellschaft.

Martin-Kilcher entwirft in Kapitel 6 ein Bild des Kultorts. Das von einer Mauer umschlossene Areal kann in einen sakralen Süd- und eine profanen Nordbereich unterteilt werden. Im Süden standen, auf das Panorama der Alpen ausgerichtet, sieben Tempel und Kapellen, alle mit rechteckigem oder quadratischem Grundriss ohne Umgang. Im Norden waren mindestens vier Wohn- und Ökonomiegebäude vermutlich an die Innenseite der Umfassungsmauer gelehnt. Das Heiligtum wurde über einen langen Zeitraum, von der ersten Hälfte des 1. bis Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. von Gläubigen aufgesucht. Nach dem Auflassen musste es offensichtlich einen Bildersturm über sich ergehen lassen. Danach wurden seine Überreste von Schwemmsedimenten der Kander überdeckt und damit weiteren Zugriffen entzogen.

Die ab 1824 ausgegrabenen Funde machen deutlich, dass im römischen Heiligtum von Allmendingen den Gottheiten Jupiter, Diana und Alpes, einer Personifizierung der Alpen, ein besonderer Stellenwert zukam. Daneben gibt es Belege für eine ganze Reihe weiterer Göttinnen und Götter. Zur Trägerschaft des Tempelbezirks gibt es Hinweise auf hochrangige Persönlichkeiten – vermutlich mit Verbindungen zu Aventicum – und wohl auch auf eine Berufskorporation. Diese Stifter sicherten den Bestand des Heiligtums. Schliesslich bringt Andrea Schär die Bedeutung des Fundortes und der Region Thun in Zusammenhang mit seinem Umland zur Geltung. Am unteren Ende des Thunersees lag ein Knotenpunkt am Übergang vom Flachland zu den Alpen. Die Erträge aus Viehwirtschaft und Waldnutzung in den Alpentälern passierten die Örtlichkeit auf ihrem Weg Richtung Unterland. Für Handel und Verkehr bildete Thun-Allmendingen den Ausgangspunkt zu mehreren Passübergängen in den Berner Alpen.

Die Monographie sprengt den Rahmen einer üblichen archäologischen Fachpublikation. Auch wer in Archäologie nicht bewandert ist, findet in ihr viel Spannendes zu Religion, Kult und Gesellschaft in römischer Zeit. Einem kleinen Winkel im grossen römischen Reich, weitab von wichtigen Verkehrsrouten und Zentren, wird hier Leben eingehaucht.

Zitierweise:
Rudolf Zwahlen: Rezension zu: Martin-Kilcher, Stefanie; Schatzmann, Regula (Hrsg.): Das römische Heiligtum von Thun-Allmendingen, die Regio Lindensis und die Alpen. Schriften des Bernischen Historischen Museums, Band 9, Bern 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 66-68.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 66-68.

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