H. Wolf u.a. (Hrsg): «In wilder zügelloser Jagd nach Neuem»

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Titel
«In wilder zügelloser Jagd nach Neuem». Jahre Modernismus und Antimodernismus in der katholischen Kirche


Herausgeber
Wolf, Hubert; Schepers, Judith
Reihe
Römische Inquisition und Indexkongregation 12
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
705 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Vom 25. bis 28. Oktober 2006 fand in der Villa Vigoni am Comersee ein Symposium statt, das der Erforschung des Modernismus und des Antimodernismus galt. Exakt 100 Jahre vorher, im Jahre 1906 waren nämlich das Dekret Lamentabili und die Enzyklika Pascendi dominici gregis Pius’ X. erschienen, die den Höhepunkt einer Entwicklung bildeten, in der die Römische Kurie jeglichen Reformbestrebungen und allen «modernen» Erscheinungen wie der historisch-kritischen Exegese und dem Gedankengut der Dogmenentwicklung den Kampf angesagt hatte. Die mehr als zwei Dutzend Vorträge in deutscher, französischer, italienischer und englischer Sprache sind im 2009 erschienenen Tagungsbericht enthalten.

Aus der grossen Zahl von Beiträgen greifen wir ein paar Beispiele heraus: Herman H. Schwedt, der Verfasser der zweibändigen ‹Prosopographie von Römischer Inquisition und Indexkongregation 1814–1917› (Paderborn 2005) versucht in seinem Beitrag ‹Antimodernisti a Roma›, den zeitlichen Bereich des päpstlichen Antimodernismus einzugrenzen. Die einen meinen, er umfasse bloss den Zeitraum von 1907 bis 1913 oder eventuell die Jahre 1903 bis 1913 (ungefähr die Pontifikatsjahre Pius’ X.). Andere Forscher wiederum sehen den Anfang bereits unter Leo XIII. (Verurteilung des Amerikanismus) und zählen die Jahre bis zum Tode von Kardinal Merry del Val 1936. Wieder andere setzen als Endpunkt das Jahr 1967 fest (Abschaffung des Antimodernisteneides). Schwedt stellt auch drei fast unbekannte Theologen vor, die während Jahrzehnten in Rom im Hintergrund gegen den Modernismus gearbeitet haben.

Es handelt sich um Nicolò Canali, einen engen Mitarbeiter von Merry del Val. Er war mitverantwortlich, dass Pius XII. seinen Vorgänger Pius X. 1954 zur Ehre der Altäre erhob. Daneben besassen zwei Franzosen grossen Einfluss: P. Charles Maignen (1858–1937) und P. Alphonse Eschbach (1939–1923), der gegen Propst Anton Tanner in Luzern ein Gutachten verfasste über die Predigt, die dieser zum 25jährigen Pfarrjubiläum von Stadtpfarrer Niklaus Schürch 1892 gehalten hatte. Gestützt darauf beschloss die Indexkongregation am 26. Januar 1893, die Predigt zu verurteilen. Diözesanbischof Leonhard Haas wurde beauftragt, den Autor «salubriter» zu ermahnen.

Ein abschreckendes Beispiel eines Modernisten war Hugo Koch (1869–1940), Professor am königlich-preussischen Lyzeum Hosianum in Braunsberg im Bistum Ermland. Koch war einer jener jungen katholischen Intellektuellen der Jahrhundertwende, die an einer Entkrampfung im Verhältnis von Katholizismus und Moderne interessiert waren. Der Beitrag von Gregor Klapczynski («Ab initio sicut non erat») gibt den unglücklichen Lebenslauf Hugo Kochs wieder. Dieser geriet in Schwierigkeiten mit der römischen Vorstellung «einer absoluten und unveränderlichen Wahrheit, die durch die Apostel von Anfang an verkündet wurde» und zwar durch seine Schrift «Cyprian und der römische Primat », die ihn in den Geruch des Modernismus brachte. 1912 wurde er – unter Belassung von Rang und Gehalt – emeritiert. Nun erfolgte eine radikale Wendung in seinem Leben. Er verschrieb sich ganz dem Kampf gegen die katholische Weltanschauung und diente sich schliesslich als «Katholizismusexperte» dem Nationalsozialisten Alfred Rosenberg an. Kochs Tod erfolgte 1940.

Jan Dirk Busemans Aufsatz «Haec pugna verum ipsam religionem tangit» schildert die Haltung der Römischen Indexkongregation im deutschen Literaturstreit zwischen den Zeitschriften «Hochland» (Karl Muth) und «Gral» (Richard Kralik). Ein Verfahren wurde eröffnet, und die Kongregation hielt die Zeitschrift für verbotswürdig. Allerdings waren sich die Kardinäle der Kongregation unschlüssig, ob angesichts der gespannten Lage in Deutschland eine Publikation des Verbotsdekrets angebracht sei. Sowohl Kardinal Kopp von Breslau wie der Münchner Erzbischof Bettinger hielten ein Verbot für inopportun. Die Zeitschrift kam nicht zuletzt dank des auf Ausgleich bedachten Nuntius Frühwirth in München glimpflich davon.

Karl Hausberger schildert die Kontroverse des Regensburger Domdekans Franz Xaver Kiefl mit Friedrich Wilhelm Foerster. Kiefl (1869–1928) kämpfte anfangs des 20. Jahrhunderts mutig für das in den Schmutz gezogene Andenken des zu Unrecht als Modernist verdächtigten Würzburger Apologetikprofessors Herman Schnell, was ihm prompt den Vorwurf des Modernismus eintrug. Um einem Lehrbeanstandungsverfahren zuvorzukommen, verzichtete er 1911 auf seine Professur für Dogmatik in Würzburg zugunsten einer Domherrenstelle in Regensburg. Bei diesem Wegzug vollzog er einen radikalen Gesinnungswechsel. Er wurde ein scharfer Antimodernist und stellte seine Feder während des Ersten Weltkrieges in den Dienst der deutschen Kriegspublizistik. Das rauschhafte Erlebnis der Volksgemeinschaft der ersten Kriegsmonate hat ihn auch nach dem Zusammenbruch von 1918 nicht mehr losgelassen. Von da an und bis weit in die Zwischenkriegszeit bekämpfte er unerbittlich die Ideen Friedrich Wilhelm Foersters (1869–1966), des meistgelesenen pädagogischen Autors nach Rousseau im Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg. Foerster verstand sich als Brückenbauer zwischen der christlichen und der profanen Welt und versuchte, Menschen, die dem Christentum entfremdet waren oder ihm feindselig gegenüberstanden, dessen Grundwahrheiten nahezubringen. Er wehrte sich entschieden und beschuldigte Kiefl zu Recht der kritiklosen und kopflosen Anhängerschaft an Ludendorff und Tirpitz und warf ihm vor, dem deutschen Volk die ganze Welt auf den Hals gehetzt und den furchtbaren Zusammenbruch mitverschuldet zu haben. Kiefl brachte es zustande, dass Foerster durch die masslosen Angriffe aus Regensburg diskreditiert wurde und in Vergessenheit geriet.

Judith Schepers Aufsatz «Kuriale Interpretation des Antimodernisteneides» zeigt deutlich, dass der durch das Motu proprio «Sacrorum Antistitum» eingeführte Antimodernisteneid als Schlussstein des antimodernistischen Programms zu verstehen ist. Im «Sanctum Officium» wurde lange um die Redaktion der Eidesformel gerungen. Es gelang, den Eid vom Verpflichtungsgrad eines Glaubensbekenntnisses zu befreien und ihn lediglich als Glaubensverpflichtung zu deklarieren. Der Eid musste von den Klerikern bis 1967 geleistet werden.

Klaus Unterberger beschäftigt sich in seinem Beitrag mit Umberto Benigni (1862–1934) und dessen politischen Überlegungen. Benigni spielte unter dem Pontifikat Pius’ X. eine höchst zweifelhafte Rolle. Sein «Sodalitium Pianum» war ein Spionagenetz zur Bekämpfung des Modernismus, das mit Billigung oberster vatikanischer Stellen arbeitete. Unter Benedikt XV. (1914–1922) verlor Benigni an Einfluss. Die Oktoberrevolution 1917 in Russland überraschte und erschreckte ihn. Er glaubte an eine freimaurerisch-jüdische Weltverschwörung und sah im Faschismus ein Gegengewicht gegen den Kommunismus und Mussolini als «neuen Konstantin, der der Kirche geschenkt worden ist».

Otto Weiss stellt in seinem Aufsatz Pater Thomas Esser OP (1850–1926) vor, den letzten Sekretär der Indexkongregation. Sein Einfluss auf das Pontifikat Pius’ X. dürfte beträchtlich gewesen sein. Esser stammt aus Aachen. Er studierte Theologie in Bonn und Würzburg. Prägend für ihn waren seine Kulturkampferlebnisse, die ihn zu mehrmaligen Geld- und Gefängnisstrafen führten. In Rom beendete er seine Studien und trat anschliessend in die österreichische Dominikanerprovinz ein. Bald wurde er Professor für Kirchenrecht und Exegese in Wien. Nach einem kurzen Gastspiel in Holland und Irland kam er an die 1889 in Freiburg gegründete Universität, wo er von 1891 bis 1885 lehrte. Nach einer kurzen Professur für Kirchenrecht an der römischen Thomasakademie wurde er 1900 zum Sekretär der Indexkongregation ernannt. In diesem Amte verblieb er bis zu deren Auflösung. Esser war ein Gegner Schells, und er mischte sich in die Modernismus-Wirren um das Hochland ein. Als Benedikt XV. die Indexkongregation 1917 auflöste, war Essers Zeit vorbei, und er schied aus der grossen Kirchenpolitik aus. Sein Tod erfolgte 1926.

Diese paar Auszüge aus dem reichen Strauss von Beiträgen (weitere Aufsätze befassen sich mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Père Marie-Joseph Lagrange, Henri Bremond, George Tyrell, Alfred Loisy, Antonio Fogazzaro, Ernesto Buonaiuti, Giovanni Gennocchi, Giuseppe de Luca, Louis Duchêsne und Gaetano de Lai) weisen auf die schmerzlichen Vorgänge um die Modernismus-Auseinandersetzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts hin, die die Kirche erschütterten und einen dunklen Schatten auf das Pontifikat Pius’ X. werfen.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Hubert Wolf/Judith Schepers (Hg.), «In wilder zügelloser Jagd nach Neuem». 100 Jahre Modernismus und Antimodernismus in der katholischen Kirche (=Römische Inquisition und Indexkongregation, Bd. 12), Paderborn/München/Wien/Zürich, Ferdinand Schöningh, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 354-356.

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