C. Casanova: Nacht-Leben

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Titel
Nacht-Leben. Orte, Akteure und obrigkeitliche Disziplinierung in Zürich, 1523–1833


Autor(en)
Casanova, Christian
Erschienen
Zürich 2007: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Baertschi

Die historische Forschung hat sich im deutschsprachigen Raum bislang nur vereinzelt mit der Nachtzeit auseinandergesetzt, und wenn sie es tat, dann im Rahmen sehr enger Fragestellungen. Noch seltener sind Beiträge, die sich mit sozialhistorischen Aspekten der Nacht befassen. Eine Ausnahme bildet einzig die Arbeit von Joachim Schlör, Nachts in der grossen Stadt (München/Zürich 1991), die das Nachtleben der Grossstädte Paris, Berlin und London von 1840 bis 1930 untersucht. Christian Casanova legt mit seiner Dissertation (2005 bei Prof. Ulrich Pfister, Uni Zürich) eine gut lesbare lokalhistorische Quellenstudie vor, welche die Ergebnisse der neueren Sozialdisziplinierungsforschung berücksichtigt. Der Autor versucht, die von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert zunehmend intensivierten Anstrengungen der Zürcher Obrigkeit darzustellen, mit welchen sie die nächtlichen Aktivitäten ihrer Untertanen zu regulieren trachtete.

Der eigentlichen Untersuchung schickt der Autor eine Darstellung der theoretischen Diskussion voraus, in deren Rahmen er seine Quellenstudie situiert. Denn die Grundmuster der Massnahmen, mit denen Obrigkeiten das Verhalten der Bürger in allen möglichen Lebensbereichen zu regulieren und zu disziplinieren versuchten, wurden in neuerer Zeit mittels verschiedener theoretischer Konzepte untersucht. Als grundlegend gilt die Arbeit von Norbert Elias Über den Prozess der Zivilisation (Frankfurt a.M. 1993). Bezug genommen wird auch auf Gerhard Oestreich, der 1969 den Begriff der «Sozialdisziplinierung» prägte. In diesen Zusammenhang gehört ferner die «Akkulturationsthese» der Popular-Culture-Forschung, wie sie etwa Robert Muchembled vertritt. Hinzu kommen die Untersuchungen Max Webers, der die protestantische Ethik ins Zentrum seiner Überlegungen stellt, und Michel Foucaults mit seiner Beschreibung der Veränderung im Strafsystem. Casanova will mit seiner mikrohistorischen Untersuchung einen weiteren Mosaikstein zu einer interdisziplinär ausgerichteten Disziplinierungsforschung beitragen.

Der Autor stützt sich in seiner Studie auf normative Quellen ab, in erster Linie die Zürcher Sittenmandate und die «Ratsmanuale», welche die Gerichtstätigkeit des Zürcher Rats dokumentieren. Wichtig sind nebstdem die «Verbotsbücher» sowie für das erste Drittel des 19. Jahrhunderts die offiziellen Sammlungen der erlassenen Gesetze. Da zwischen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit für gewöhnlich eine Diskrepanz besteht, zieht der Autor zusätzlich die Protokolle der Reformationskammer bei, und darüber hinaus die «Kundschaften und Nachgänge», also Gerichtsakten, die den Zeitraum vom Ende des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts abdecken.

In einem verhältnismässig kurzen allgemeinen Teil beleuchtet Casanova die symbolischen Aspekte der Nacht, die in einer tiefsitzenden menschlichen Furcht vor der Dunkelheit gründen. Des Weiteren werden die mit der Nacht verbundenen rechtlichen Aspekte dargestellt, wobei sich beispielsweise zeigt, dass ein bei Nacht begangenes Delikt schärfer geahndet wird als dasselbe Delikt, wenn es bei Tageslicht begangen wurde.

Ein zweiter Teil, der beinahe die Hälfte des Buchumfanges ausmacht, behandelt die Stadt und indirekt die Landschaft Zürich im gesamten Zeitraum der frühen Neuzeit. Dabei geht es zunächst um die obrigkeitlichen Verordnungen zur Verbesserung der nächtlichen Sicherheit. So verfügte der Zürcher Rat, dass jeder Stadtbewohner ein Licht bei sich zu tragen habe, wenn er nach Einbruch der Dunkelheit in den gänzlich unbeleuchteten Gassen unterwegs war. Überdies legte die Zürcher Obrigkeit ein grosses Gewicht auf die nächtliche Brandverhütung und -bekämpfung. Sodann werden die Orte und Akteure des Nachtlebens aus der Sicht der Zürcher Obrigkeit beschrieben. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die nächtlichen Wirtshausbesucher, die Jugendlichen mit ihrer spezifischen Kultur sowie die in der Stadt anwesenden Gesellen. Auch die Fest- und Spielkultur wird untersucht, sowie die obrigkeitlichen Bestrebungen, Vergnügungen wie Fastnacht, Hochzeiten, Tanz, Musik und das Glücksspiel einzudämmen. Ein weiteres Kapitel geht der Frage nach, welche Bedeutung die Reformationskammer als wichtigste obrigkeitliche Instanz für die Durchsetzung der Mandate hatte und mit welchen konkreten Widerständen und Problemen sich die Reformationsherren konfrontiert sahen. Zwei Kapitel befassen sich schliesslich mit den verschiedenen obrigkeitlichen Weisungen, die das Amt der städtischen Ordnungshüter betraf. Der Zürcher Nachtwache, bestehend aus Stundenrufern, Torwächtern und Bürger wächtern, kam eine wichtige Bedeutung zu. Allerdings wies sie erhebliche strukturelle und personelle Mängel auf.

In einem dritten Teil, der noch einmal rund eine Hälfte des Werkes umfasst, untersucht Casanova das Zürcher Nachtleben von der Helvetischen Revolution (1798), die in bezug auf das Nachtleben Zürichs eine Zäsur darstellt, bis zur Schanzenschleifung (1833), die wiederum grosse Umgestaltungen mit sich brachte. Hier wird zunächst beschrieben, welche kurz- und langfristigen Veränderungen des Zürcher Nachtlebens durch die Helvetische Revolution eingeleitet wurden. Dazu zählen die erheblichen Belastungen durch die kriegerischen Ereignisse in und um Zürich und insbesondere die Einquartierung fremder Soldaten. In einem weiteren Kapitel geht es um die durch die Revolution eingeführten nächtlichen Freiheiten und die demographischen Veränderungen, die zu erheblichen Sicherheitsproblemen etwa im Bereich der Fremdenkontrolle führten. Sodann geht der Autor auf den Auf- und Ausbau der nächtlichen Strassenbeleuchtung ein, und ortet bei den Stadtbewohnern einiges Gefallen an den neuen Möglichkeiten, die sich dank der öffentlichen Beleuchtung boten. Ein weiteres Kapitel stellt die Ordnungsorgane und deren Vollzugsprobleme dar. Die fremden Besatzer, die später neu konstituierte Kantonsverwaltung und die Stadt selber unterhielten in dieser Zeit und mehr oder weniger unabhängig voneinander verschiedene Ordnungstruppen. Ein letztes Kapitel zeichnet schliesslich den langen Weg bis hin zur völligen Öffnung der Stadt im Jahre 1833 nach. Besonderes Gewicht liegt hierbei auf der schrittweisen Liberalisierung der Torschliesszeiten.

Im Schlusskapitel fasst der Autor die im zweiten und dritten Teil zu Tage getretenen Veränderungen und Entwicklungen in grossen Zügen zusammen und verortet einzelne Resultate im Rahmen der eingangs dargestellten theoretischen Diskussion der jüngeren Disziplinierungsforschung, womit er die Klammer, durch welche die ganze Arbeit zusammengehalten wird, schliesst.

Zitierweise:
Christian Baertschi: Rezension zu: Christian Casanova: Nacht-Leben – Orte, Akteure und obrigkeitliche Disziplinierung in Zürich, 1523–1833. Zürich, Chronos-Verlag, 2007.
Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 4, 2007, S. 479-480.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 4, 2007, S. 479-480.

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