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Titel
Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler.


Autor(en)
Pyta, Wolfram
Erschienen
Berlin 2007: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
1118 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Gerhard Altmann, Korb

Warum sind heute noch Strassen in Deutschland nach Paul von Hindenburg benannt? Auch wenn kein Einvernehmen darüber herrscht, ob der greise Reichspräsident als hauptverantwortlicher Totengräber der Weimarer Republik gelten muss, gibt es doch wenig Zweifel daran, dass sich Hindenburg nicht jene Meriten verdient hat, die eine fortdauernde Benennung von Strassen und Plätzen nach ihm rechtfertigen. Sein kompromissloses Gebaren im Ersten Weltkrieg, seine Funda mentalkritik an der Friedensordnung von 1919 und sein zwielichtiges Taktieren zu Beginn der dreissiger Jahre müssten genügen, um ihm besondere öffentliche Ehrerweise zu versagen. Zur demokratischen Traditionsbildung taugt er jedenfalls nicht. Wolfram Pytas Biografie Hindenburgs wirft nun ein grelles Licht auf dessen raffiniertes Wirken als «politische[r] Kulturmanager» (S. 61) in eigener Sache. Hierbei greift Pyta auf die Erträge der politischen Kulturforschung und Max Webers Legitimationstriade zurück und zeigt, wie sich Hindenburg über die Zä suren der deutschen Geschichte hinweg als Nationaldenkmal mit schichtenübergreifender Strahlkraft zu profilieren wusste.

Nachdem der pensionierte General Hindenburg 1914 – keineswegs umstandslos – reaktiviert worden war, trug ihm das Oberkommando über die 8. Armee alsbald den einzigen glanzvollen Schlachtensieg ein, den das kaiserliche Heer während des gesamten Kriegs zu erringen vermochte. Als «Sieger von Tannenberg» avancierte Hindenburg zu einem Mythos, der in keinem Verhältnis zu seinen operativen Verdiensten als militärischer Stratege stand. Der Hindenburg-Kult, der sich in zahllosen Porträts, Publikationen und Fotografien niederschlug, spiegelte jene Sinnzusammenhänge wider, die der flamboyante Kaiser nicht zu bedienen imstande war. Der «Treuhänder des Geistes von 1914» (S. 113) und nervenstarke Feldherr drängte sich geradezu als Retterfigur auf in einem Krieg, der bereits Ende 1914 jegliches heroisches Gepräge verloren hatte. Hindenburg nutzte sein Charisma, um zusehends in politischen Entscheidungssituationen zu intervenieren. So ging die Entlassung von Generalstabschef Falkenhayn wesentlich auf Hindenburgs ganz unpreussisches Drängen beim Monarchen zurück. Auch die Verschärfung des U-Boot-Kriegs und die Abberufung des um einen Verständigungsfrieden bemühten Reichskanzlers Bethmann-Hollweg waren zuvörderst das Werk Hindenburgs. Seine geschichtspolitische Finesse offenbarte sich im November 1918. Um einen Konflikt zwischen Frontheer und den revoltierenden Truppen daheim zu verhindern, legte Hindenburg Wilhelm II. nachdrücklich das Exil in den Niederlanden nahe. Allerdings tat Hindenburg fortan alles, um seine Rolle als Triebfeder hinter dieser für die Hohenzollern fatalen Entscheidung zu verschleiern. Er liess die Mitwisser ein Protokoll unterschreiben, das Hindenburgs dubiose Rolle kaschieren sollte. Ohne grössere Sentimentalität verabschiedete er Wilhelm II. in den Fundus gescheiterter Monarchen und widmete sich fortan der geschichtspolitischen Pflege seines Status als Nationaldenkmal. Die Niederlage von 1918 prallte am höchsten Offizier des Reiches ab, ohne mythenschädigende Kratzer zu hinterlassen. Retrospektiv drängt sich der Eindruck auf, Hindenburg habe auf diese Weise die «Lücke zwischen Bismarck und Hitler» (S. 289) geschlossen.

Hindenburg blieb zunächst an der Spitze des Heeres und beriet in dieser Funktion auch die Reichsregierung, als diese 1919 über die Annahme des Versailler Vertrags entscheiden musste. Abermals verstand es Hindenburg, zwischen Scylla und Charybdis zu navigieren, sodass seine Reputation als Symbol nationaler Einheit keinerlei Schaden nahm. Denn zum einen machte er sich keine Illusionen über die Alternativlosigkeit einer Vertragsunterzeichnung. Alles andere wäre militärisch zu einem Vabanquespiel eskaliert, das mit der Besetzung ganz Deutschlands durch die Alliierten geendet hätte. Entsprechend äusserte sich Hindenburg auch gegenüber den verantwortlichen Politikern. Zum anderen distanzierte er sich jedoch vehement von dem Vertragswerk, das in seinen Augen ehrlos war.

Mit der Wahl zum Reichspräsidenten 1925, die Hindenburg nur zögerlich angestrengt hatte, konnte der «Held von Tannenberg» seine historische Mission von höchster Warte aus ans Ziel führen. Um dem «Geist von 1914» neues Leben einzuhauchen, bedurfte es einer «Volksgemeinschaft», die den Parteienhader hinter sich liess und nach aussen hin geschlossen nationale Interessen vertrat. Wie Pyta plausibel analysiert, agierte Hindenburg zunächst durchaus unparteiisch und vor allem ohne die in der Forschung oft gemutmassten reaktionären Souffleure. Als sich jedoch die Agonie der Weimarer Republik im Kontext der Weltwirtschaftskrise und nach dem Zerbrechen der Grossen Koalition 1930 dramatisch zuspitzte, drohte Hindenburgs Mythos als pater patriae an Glanz zu verlieren – und damit sein Projekt der «Volksgemeinschaft» an Schwungkraft. Denn nun musste der Präsident von seiner Strategie, zu «herrschen, ohne zu regieren» (S. 446), abgehen und sich in die Niederungen des politischen Tageskampfs begeben. Eher widerwillig trat er 1932 nochmals als Reichspräsident an, um in den folgenden Monaten mit seinem Herausforderer, Adolf Hitler, ein «Aktionsbündnis» (S. 823) zu schmieden. Beide trafen sich in ihrem Willen, dem Pluralismus der Weimarer Republik ein Ende zu bereiten und über den Weg einer politisch gleichgeschalteten «Volksgemeinschaft» Deutschlands Wiederaufstieg in den Kreis der Grossmächte zu betreiben. Pyta lässt keinen Zweifel daran, dass Hitlers Ernennung zum Reichskanzler – nach anfänglichem Zögern – Hindenburgs tief empfundener Überzeugung entsprang, nur die jugendliche Bewegung der Nationalsozialisten sei noch in der Lage, die innere Zerrissenheit Deutschlands zu überwinden. Am «Tag von Potsdam » fand dann gewissermassen die Übertragung des Hindenburg’schen Charismas auf den «Führer» des neuen Deutschland statt. Hindenburg selbst war indes froh, sich in seinen letzten Lebensmonaten wieder ganz auf die Wahrung seiner geschichtspolitischen Legende verlegen zu können.

Pytas Ansatz, die Biographie Hindenburgs aus der Perspektive der politischen Kulturforschung zu umreissen, leistet zweierlei: Zum einen erlaubt er einen neuen Blick auf die kontrovers diskutierten Motive, die Hindenburgs verblüffend bruchloses Handeln angetrieben haben. Zum anderen konturiert er scharf das Psychogramm einer Nation, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offenbar nicht ohne nationale Retterfigur auskam und darüber die Kultivierung eines demokratischen Gemeinwesens ausblendete. Ein solcher Ansatz vernachlässigt dabei fast zwangsläufig die sozioökonomischen Verwerfungen, die das Ableben der Weimarer Republik beschleunigt haben. Allerdings begreifen Rezipienten dieses grossen Wurfes ohne weiteres, weshalb noch immer Strassen nach dem gewieften Geschichtspolitiker Hindenburg benannt sind.

Zitierweise:
Gerhard Altmann: Rezension zu: Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. München, DVA, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 485-486.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 485-486.

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