G. Kreis: Antiamerikanismus

Cover
Titel
Antiamerikanismus. Zum europäisch-amerikanischen Verhältnis zwischen Ablehnung und Faszination


Herausgeber
Kreis, Georg
Erschienen
Basel 2007: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
126 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marcel Müller, Boswil

Der kompakte, interdisziplinär angelegte Band umfasst sieben Aufsätze, die aus einer 2006 veranstalteten Vortragsreihe des Europainstituts der Universität Basel hervorgegangen sind. Die Referate standen unter dem Motto «Europa versus Amerika versus Europa? Gemeinsamkeiten und Trennendes zweier Welten», mit dem sich die nun publizierten Beiträge weit besser fassen lassen als mit dem schliesslich, wohl aus markttechnischen Gründen gesetzten Titel. Thema ist also nicht ausschliesslich das ohnehin in diversen jüngeren Publikationen gleichen Titels thematisierte europäische Oszillieren zwischen Anziehung und Abstossung. Mindestens ebenso breiter Raum wird dem historischen Hintergrund und den damit verbundenen kollektiven Erfahrungen der Vereinigten Staaten eingeräumt. Der Historiker und Konfliktforscher Kurt R. Spillmann erörtert die qua puritanischer Einwanderer ursprünglich europäischen, in ihrer ständig aktualisierten Fortschreibung bis in die Gegenwart nunmehr amerikanischen Missionsideen. Während die europäischen Nationen ihr exzessives Sendungsbewusstsein in zwei Weltkriegen und in der Entkolonialisierung dahinschwinden sahen, folgen die USA nach wie vor ihrem tief verwurzelten puritanisch-christlichen Auserwähltheitsanspruch und der damit verbundenen Mission, der Welt ein Vorbild zu sein. Die Ursprünge dieser Denkfigur liegen also ganze 400 Jahre zurück, allerdings kam es zu Akzentverschiebungen, bei denen sich die theologische Konzeption mit dem Fortschrittsglauben der Aufklärung und dem wirtschaftlich-wissenschaftlichen Expansionsdrang des 19. Jahrhunderts verband. Parallel dazu übertrugen sich die Auserwähltheitsvorstellungen und der Gedanke der Mission von den ursprünglich religiösen Gemeinden auf die Nation, die während des Kalten Krieges in der westlichen Hemisphäre schliesslich Demokratie, Freiheit und offene Gesellschaft verteidigte. Dieser Glaube an die eigene geschichtliche Mission wird – so die Prognose Spillmanns – auch von künftigen Präsidenten instrumentalisiert werden.

Aus staatsrechtlicher Perspektive knüpft Gret Haller an diese Tour d’Horizon an, indem sie nach den Konsequenzen für die Rolle des Rechts und der Moral fragt, die das europäische und das US-amerikanische Denken zu Staat, Nation und Religion haben. Sie misst dem Westfälischen Frieden grosse Bedeutung zu für das heute in Europa empfundene transatlantische Unbehagen, denn genau die damals ausgehandelte Unterordnung der Religion unter die Staatlichkeit hätten die religiös motivierten Auswanderer nicht akzeptieren können. Die US-amerikanische Nation begründe sich demnach nicht staatspolitisch, sondern religiös und moralisch, worin auch der Staatsminimalismus und die tabuisierte soziale Frage fussen. Europäer mag überraschen, dass gerade der Schutz jeder Art von Minderheitsinteressen – ein zentrales Anliegen der amerikanischen Verfassungsdiskussion – ursprünglich als Versicherung der Besitzenden gegenüber den Massen an Habenichtsen konzipiert wurde. Die amerikanische Demokratie ist demnach traditionell stark mit der Justiz verbunden, welche in ihrem Urteilen keine Trennung von Recht (Verhalten) und Moral (Gesinnung) kenne, wobei Haller gerade in diesem Umstand den Grund sieht für die Kollisionen der USA mit dem Menschen- und Völkerrecht. In der US-Aussenpolitik führt(e) die Moralisierung zu einem Dualismus in «Gute» und «Böse», der die formale Staatengleichheit negiert. Haller indes wendet mögliche Differenzen zu den USA ins Positive: In Ländern, in denen die Einbindung ins internationale Recht Schule macht, komme es zwangsweise zu einer Entfremdung gegenüber den Vereinigten Staaten.

Die durch den American Dream vom Individuum eingeforderte Selbstverwirklichung spielt die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen an der Verfilmung des Lebens von Johnny Cash durch, genauer, an der für das europäische Publikum befremdlichen religiösen Komponente dieses Films. Bronfen betrachtet den verpflichtenden pursuit of happiness als die säkulare Realisierung eines spirituellen Auftrags, der die Erbschaft der founding fathers weitertrage. Die Brisanz des amerikanischen Traums liege dabei in der widersprüchlichen Doppeltheit von Konsens und Dissens. Denn während die Gemeinschaft permanent Übereinstimmung fordert (Tocquevilles Tyrannei der Mehrheit), steht ihr die Handlungsfreiheit des Individuums entgegen. Das Streben nach moralischer Besserung und einem Aufgehen in der Gemeinschaft, dessen Alternative nur das Scheitern sein kann, führe hier zu einem Selbstverständnis, welches das Leben als Kampf und die Welt als martialischen Schauplatz versteht.

Durch die ideengeschichtliche Argumentation der Beiträge erscheint das amerikanische Weltordnen als eine geradezu zwingende Konsequenz tradierter Denkfiguren. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass der Handlungsspielraum oft nicht vorgegeben ist, sondern im Hier und Jetzt definiert wird. Die derzeitigen, plumpen Bewegungen des 800-Pfund-Gorillas – wie Andrei S. Markovits in seinem Beitrag die USA apostrophiert – sind allerdings so wenig konsistent wie das Denken mancher Amerika-Kritiker. Denn: Lehnt man sich mit dem Herausgeber an die Moderne-Forschung an, welche im Antiamerikanismus eine weltanschauliche Reduktion von Komplexität sieht, verfügen nicht nur die Anti-Amerikaner, sondern beide Lager über ihre jeweiligen Projektionsflächen für die «Pathologien einer komplexen Welt». In diesem Punkt findet dann auch die Synchronisierung des politisch rechten und linken Lagers statt, auf die der Historiker Dan Diner schon vor Jahren hinwies und wie sie in europäischen Ländern auch zu beobachten ist. Deren am National- und Wohlfahrtsstaat orientierten Wirtschaftsprogramme sind in der Tat protektionistisch und stützen die Thesen des amerikanischen Historikers Harold James, der im vorliegenden Band den europäischen Antiamerikanismus nicht zuletzt als eine Reaktion auf die zunehmende Globalisierung beschreibt. James sieht die US-amerikanische Wirtschaft als ein Erfolgsmodell für Nachahmer, und die von ihm genannten Beispiele dokumentieren für Europa ein ständiges und andauerndes Lernen vom amerikanischen Wirtschaftsleben. In seiner Diktion stehen die USA denn auch für eine «liberale und offene Weltwirtschaft»; die Amerika-Kritiker hingegen würden gegen die «offene Weltgesellschaft» reagieren.

«Liberal» und «offen» indes wären strittige Diskussionspunkte, wie andere Argumente auch in diesem Band. Die Beiträge wahren ihren Vortrags-Charakter, und dass Einiges erst angedacht scheint, lädt in besonderem Mass zum kritischen Mit- und Nachdenken ein. So hebt man auch im letzten, engagierten Beitrag von Andrei S. Markovits wiederholt den Finger, um im nächsten Satz bereits wieder zustimmend zu nicken. Der Politologe bezeichnet einzelne Spielarten des europäischen Antiamerikanismus zu Recht als salonfähigen Rassismus, und er ist dementsprechend irritiert über die Gelassenheit, mit der dieser milieuunabhängig hingenommen wird und unwidersprochen bleibt. Vor dem Hintergrund eines sich konstituierenden Europas misst Markovits dem Antiamerikanismus eine politisch punktende, identitätsstiftende und auf der emotionalen Ebene gar staatsbildende Funktion zu.

Die facettenreiche folie à deux zwischen beiden verschwisterten Kontinenten, das ist klar, wird in der einen oder anderen Spielart weitergehen.

Zitierweise:
Marcel Müller: Rezension zu: Georg Kreis (Hg.): Antiamerikanismus. Zum europäisch-amerikanischen Verhältnis zwischen Ablehnung und Faszination. Basel, Schwabe Verlag, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 365-367.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 365-367.

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