R.C. Schwinges: Studenten und Gelehrte

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Titel
Studenten und Gelehrte. Students and Scholars. Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter. A social and cultural history of German medieval universities


Autor(en)
Schwinges, Rainer Christoph
Erschienen
Leiden 2008: Brill Academic Publishers
Anzahl Seiten
663 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Es ist sicher ein hehres Ziel für einen deutschsprachigen Mediävisten, in der Reihe «Education and Society in the Middle Ages and the Renaissance» ein Sammelwerk mit deutschen und englischen Beiträgen über Universitäten, über Studenten und Gelehrte im Spätmittelalter herauszugeben, das in seiner Totalität, in seiner Fokussierung und seiner Forschungssystematik das Zeug zum Standardwerk hat. Rainer C. Schwinges hat sich diesen Wunsch zur Emeritierung als Berner Ordinarius erfüllt und damit seine die ganze Laufbahn begleitenden Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter nochmals in geballter Ladung vorgestellt. Neu ist nur ein kurzes Vorwort von vier Seiten; die übrigen über 650 Seiten versammeln 25 unveränderte Erstpublikationen aus den Jahren 1981–2006, die in fünf Teilen strukturiert sind: I Die Universität; II Frequenz, Rekrutierung und Migration; III Ordo differencie: Gruppen, Schichten, Stände; IV Universitätskultur und studentisches Leben; V Studium, Karriere und Profile.

Als Schwinges sich in seinen jungen Jahren dem Thema Universität zuwandte, galt noch das Votum Herbert Grundmanns, der der Institution in seiner Monografie «Vom Ursprung der Universität im Mittelalter» in leicht idealisierter Weise eine gesellschaftliche Sonderexistenz einräumen wollte, indem er deren ständeübergreifenden Charakter betonte. Mit dieser Maxime einer grundsätzlichen Besonderheit universitären Seins wollte Schwinges brechen, das kommt bereits im frühesten der Beiträge deutlich zum Ausdruck. Und auch im zeitlich letzten Artikel, im Vorwort, formuliert er diese seine Kontextthese nochmals in aller Klarheit, im Zusammenhang mit der Darlegung seines zentralen Forschungsansatzes: «Ausgehend von der schlichten, aber merkwürdig leicht verdrängbaren Tatsache, dass Universität und Gesellschaft zu jeder Zeit aufeinander bezogen sind, Universität immer ein Teil der Gesellschaft ist und den öffentlichen Raum so gut wie jeder andere seiner Teilnehmer besetzt, geht es vielfach darum, die Spielregeln des zeitgenössischen Lebens zu erfahren und auch die mittelalterliche Universität trotz der ihr eigenen Rang- und Ordnungssysteme als ‘societal community’ sichtbar zu machen» (S. ix). Doch nicht nur an diesen beiden Stellen, sondern auch in diversen weiteren Beiträgen, hat Schwinges diese Ansicht vertreten und ausgeführt. Im Sammelband stehen diese nun neben- bzw. hintereinander, und so ergeben sich zahlreiche Redundanzen. Dies gilt nicht nur für diesen zentralen Gedankengang, sondern auch für weitere; solche Wiederholungen, die teilweise sogar als längere wörtliche Kopien daherkommen, wirken für den Leser bald störend und bergen die Gefahr, dass das Buch nicht gelesen wird, sondern nur als Nachschlagewerk Verwendung findet; immerhin dokumentiert die Zusammenstellung der Beiträge die Geschichte der These selbst. – Die Kontextthese bringt im Übrigen methodisch eine solide Verschränkung von sozialgeschichtlicher Strukturgeschichte, Politikgeschichte als Herrschaftsgeschichte ebenso wie als Geschichte handelnder Akteure sowie – last but not least – einem klassischen institutionsgeschichtlichen Ansatz.

Während die Teile I und II eher den statistischen und empirischen Grundlagen gelten und daher von Schwinges selbst als Grundlagenforschung bezeichnet werden, sind die Texte der Teile III–V schon von den Fragestellungen her stärker qualitativ ausgerichtet. Hier kommt besonders zum Zug, dass der Autor auf solider Grundlage argumentieren kann, dass er über einen stupenden Überblick über die bisher erschlossenen Quellen verfügt. Dies kommt vor allem bei den Studien über die Kölner und die Erfurter Universitäten zum Ausdruck, wo Schwinges aus dem Vollen schöpfen kann – er kennt die harten Fakten, die Quellen, die Forschungsfragen –, und er fügt das Ganze zu einer meisterhaften Schau über deutsche Universitäten im Mittelalter zusammen: Strukturen, Prozesse, Entwicklungen ebenso wie die handelnden Akteure: die Rektoren, die Magister, die Scholaren in ihren wechselseitigen Verhältnissen und ihrem gesellschaftlichen Umfeld.

So zentral Schwinges in seinem Forschungsgebiet verankert ist, und so sehr er in der Sache zu Recht die Kontextthese vertritt, was – wie der Band deutlich belegt – zu konzisen und starken Darstellungen führt, so hermetisch sind auf der andern Seite die Analysen gegenüber möglichen benachbarten Fragestellungen abgegrenzt. Da gibt es kaum Ausblicke auf nach-mittelalterliche Universitätsgeschichte, und auch das Verhältnis von europäischer und deutscher Universitätsentwicklung scheint etwas verkrampft, indem über die Formel hinaus, wonach die deutsche Vier-Fakultäten-Universität eine neue Phase der europäischen Universitätsentwicklung eingeleitet habe und deshalb eine eigenständige – isolierte – Betrachtungsweise gerechtfertigt sei, die Entwicklung anderer Universitäten des gleichen Zeitraums mehr oder minder ausgeblendet bleibt. – Für die Entwicklung der deutschen Universität im Mittelalter ist jedoch ein eindrückliches Kompendium entstanden – gerade auch als Basis für weitere Forschungen.

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Rainer Christoph Schwinges: Studenten und Gelehrte. Students and Scholars. Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter. A social and cultural history of German medieval universities. Leiden / Boston, Brill, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 1, 2009, S. 154-156.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 1, 2009, S. 154-156.

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