O. Mörke: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung

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Titel
Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung.


Autor(en)
Mörke, Olaf
Reihe
Enzyklopädie deutscher Geschichte 74
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christine Christ-von Wedel

Der Titel «Die Reformation» könnte leicht dazu verführen, das Buch gleich wieder wegzulegen, in der Meinung, es handle sich nochmals um ein auf die Reformation Wittenberger Prägung eingeengtes Werk der Lutherrenaissance, zumal der Autor sich auf den Zeitraum von 1517 bis 1555 beschränkt. Schon ein Blick in die Einleitung aber belehrt den Leser eines Besseren. Olaf Mörke führt in die neueste Diskussion um den Epochencharakter der Reformationszeit ein und ist sich bewusst, dass er es mit «einem Nebeneinander unterschiedlicher Deutungsmuster von Zeitstrukturen zu tun» hat (S. 2). Dass er sich geographisch auf das Deutsche Reich beschränkt, liegt an den Vorgaben der Reihe, einer Enzyklopädie, die sich der Erforschung der deutschen Geschichte widmet. Mörke bezieht die Eidgenossenschaft, insbesondere die Reformation in Zürich, mit ein. Denn die «kommunikativen Zusammenhänge» mit den Oberdeutschen seien bedeu tend geblieben, obwohl die «Schweiz» (sic) sich politisch mehr und mehr vom Reich entfernte (S. 4).

Den Autor interessieren die «kommunikativen Zusammenhänge» in einem breiten Kontext zwischen Theologie, Politik und Gesellschaft, zwischen Eliten und städtischen und ländlichen Gruppen. Es gelingt Mörke in seinem knappen historischen Überblick von gerade 60 Seiten, differenziert in die Reformationsereignisse einzuführen und klarzumachen, wie politische Zwänge, theologische Ideale und soziale Forderungen ineinandergriffen. Die dichte Schreibweise verlangt dabei dem Leser viel ab, obwohl die Reihe sich ausdrücklich neben den Fachhistorikern auch an «interessierte Laien» wendet. Mörke geht es nicht darum, eigene neueste Forschungsergebnisse vorzustellen, sondern den neuesten Stand der Reformationsforschung aufzuarbeiten. Für die von Wittenberg geprägten Reichsgebiete stützt er sich vor allem auf: G. Brendler, M. Brecht, G. Schmidt, H. Lutz, L. Schorn-Schütte, P. Blickle und B. Moeller, für die von Zürich geprägten auf etwas ältere Literatur: G. W. Locher und U. Gäbler.

Der gewichtige zweite Teil (73 S.) führt in die neueste Forschungsdiskussion ein. Nach einer Einführung in das Periodisierungsproblem wird breit die Forschungslage zur städtischen und ländlichen Reformation (B. Moeller, Th. A. Brady, H. Schilling, P. Blickle u.a.) behandelt. Hier hat Olaf Mörke, Professor für mittlere und neuere Geschichte in Kiel, selbst Beiträge vorgelegt: 1983 über die Welfenstädte Lüneburg, Braunschweig und Göttingen und 1991 über die Landstadt Mindelheim unter Frundsbergs Herrschaft. So bezieht er auch Stellung: Für ihn erhielten die spätmittelalterlichen politischen und sozialen Konflikte um Macht und Partizipation durch die neuen theologisch-reformatorischen Werte eine Dynamik, die zum Wandel führte. Trafen die reformatorischen Impulse wie in Mindelheim auf eine stabile, nicht von Krisen und Konflikten geschüttelte Gesellschaft, so hätte sich die Reformation nicht durchsetzen können (S. 96 und 99f.).

Das Kapitel «Frömmigkeit und kultureller Wandel» nimmt die neuesten sozialwissenschaftlichen Studien auf, insbesondere R. W. Scribners Arbeiten werden gewürdigt. Mörke wagt kein abschliessendes Urteil, er zeigt vielmehr die «Komplexität» der Probleme am Bildersturm auf und folgert: «Interpretationen vom reforminduzierten Bruch einerseits, vom langfristigen Wandel, in den die Reformationsperiode eingebettet ist, andererseits stehen berechtigterweise, da abhängig von der wissenschaftlichen Frageperspektive, befruchtend nebeneinander, sich zunehmend ergänzend» (S. 130).

Auch im Kapitel «Reformation, Öffentlichkeit und Medien» betont Mörke den Einfluss der Forschungsperspektive: «Dass die Argumentation maßgeblicher Vertreter der neuen lutherisch-protestantischen Kirchengeschichte – wie Moeller, Obermann oder modifiziert auch Hamm – sich in konzentrischen Kreisen um die Rolle der Theologie Luthers bewegt, erklärt sich auch aus der fachkulturell bedingten Frageperspektive. Ebenso, dass andere, wie der der historischen Anthropo logie verpflichtete Sozialhistoriker Scribner, eine Perspektive öffnen, in der laikale Rezeption und Verarbeitung des theologischen Impulses die Stelle des argumentativen Fokus einnehmen» (S. 134).

Die Forschung überblickend, glaubt Mörke abschliessend, in der ersten Hälfte der 1525er-Jahre eine Schlüsselphase zu erkennen. In diesen Jahren sei die reformatorische Theologie ausgeformt worden und habe politisch-gesellschaftliche Wirkung entfaltet. Nach 1525 hätten sich die politischen Autoritäten im Reich der causa religionis bemächtigt. Die Bewegung mündete in den Konfessionalisierungsprozess ein (S. 138). – Das Verdienst des Buches liegt im gründlichen, klug strukturierten Forschungsbericht.

Zitierweise:
Christine Christ-von Wedel: Rezension zu: Olaf Mörke: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (Enzyklopädie deutscher Geschichte, hg. von Lothar Gall, Bd. 74). München, Oldenbourg, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 367-369.