D. Wittwer Hesse: Die Familie von Fellenberg und die Schulen von Hofwyl

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Titel
Die Familie von Fellenberg und die Schulen von Hofwyl. Erziehungsideale, «Häusliches Glück» und Unternehmertum einer bernischen Patrizierfamilie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts


Autor(en)
Wittwer Hesse, Denise
Erschienen
Bern 2002: Historischer Verein des Kantons Bern
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Yvonne Leimgruber, Historisches Institut der Universität Bern

Eine facettenreiche Darstellung von Lebensentwürfen in einer Zeit voller Widersprüche aufzuzeigen, ohne auf eine traditionelle Familiengeschichte begrenzt zu bleiben: Dieses Ziel hat Denise Wittwer Hesse mit ihrer sorgfältig recherchierten und anschaulich geschriebenen Promotionsschrift über die Familie von Fellenberg und ihre pädagogischen Unternehmungen erreicht. Die Autorin verbindet sozial- und wirtschaftsgeschichtliche mit ideen- und kulturgeschichtlichen Ansätzen und zeigt über die Entwicklung des «Erziehungsstaates» hinaus die enge Einbindung der Fellenbergs in verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen unter Einbezug von Bourdieus Kapital-Theorie auf.

Im ersten Teil der in vier Hauptkapitel gegliederten Arbeit befasst sich die Autorin mit Emanuel von Fellenberg (1771–1844) als Exponent der patrizischen Berner Führungsschicht des Ancien Régime. Voller Unbehagen gegenüber einer als korrupt und ausschweifend gesehenen patrizischen Oligarchie, wollte Fellenberg in der Tradition der aufgeklärten Führungsschicht gegen die gesellschaftlichen Missstände antreten, um seine Idealvorstellung einer tugendhaften Republik zu verwirklichen. Obwohl sein Entwurf einer «ordre social» mit der Betonung von Arbeit und Leistung in Richtung einer aufgeklärten modernen Bürgergesellschaft weist, blieb Fellenberg der Vorstellung der traditionalen Ständegesellschaft verhaftet. In der ländlichen Idylle des Wylhofs bei Münchenbuchsee, fern des politischen Lebens, wollte er seine Gesellschaftsutopie umsetzen und fand hierfür in Margarethe Tscharner (1778–1839) die geeignete Partnerin.

Der zweite Hauptteil der Arbeit thematisiert den ideengeschichtlichen Hintergrund und die Entwicklung von Fellenbergs «Erziehungsstaat», dem Campe, Locke, Rousseau und Pestalozzi Vorbild waren. Innerhalb von 40 Jahren entstand eine Vielzahl von Erziehungseinrichtungen: ein «Institut für Söhne höherer Stände» (1808), ein landwirtschaftliches Institut (1809), eine Armenerziehungsanstalt (1810), eine Mädchenschule (ca. 1824), eine Realschule (1830) u.a. In der Tradition Rousseaus um eine «negative Erziehung» bemüht, strebte Fellenberg eine Individualbildung sowie eine Erziehung zur Gemeinschaftsgesinnung an. Was aus der Vorstellung, dass das Individuum der Gemeinschaft untergeordnet zu sein habe, für Konsequenzen für die Familie v. Fellenberg resultierten, beschreibt Wittwer Hesse im dritten und vierten Teil ihrer Arbeit.

Margarethe wie Emanuel v. Fellenberg waren der Überzeugung, dass eine grosse Zahl eigener Kinder ein Dienst am Gemeinwohl und Mittel zur Gesundung des Staates sei. Entsprechend viel lag den Eltern am Wohl ihrer neun Kinder, die sie in die pädagogische und Verwaltungsarbeit einbanden, auf deren persönliche Interessen sie aber wenig Rücksicht nahmen. Der streng durchstrukturierte und reglementierte Institutsbetrieb löste bei ihnen wie auch bei verschiedenen Erzieherinnen und Lehrern Unbehagen aus und führte verschiedentlich zu Reibereien und Zerwürfnissen. Im Gegensatz zu den Eltern hatten die jungen Fellenbergs individualistischere Lebensentwürfe und wollten ihre eigenen Kinder bewusst innerhalb der Paarbeziehung erfahren. Wittwer Hesse beschreibt anschaulich, wie die meisten der Fellenberg-Kinder dem patriarchalischen Vater zu entrinnen und europaweit unabhängige Existenzen aufzubauen suchten.

Währenddem die Söhne stärker an landwirtschaftlichen als an pädagogischen Fragen interessiert waren, hätte den Töchtern durchaus an einem engeren Einbezug in die pädagogische Verantwortung gelegen. Ihr Vater hatte ihnen zwar eine unüblich breite Bildung ermöglicht, sein älteren Traditionen verhaftetes Denken liess jedoch keinen Einsatz über die Erziehung der kleineren Kinder und das Hauswesen hinaus zu. Hatten die Fellenbergs die eigenen Kinder einst als Sicherheit für den Fortbestand des Familienunternehmens gesehen, mussten sie diese Hoffnung später aufgeben. Doch auch Fellenbergs Versuch, Hofwyl in staatliche Hände zu überführen, scheiterte. Als Versuch einer gesellschaftlichen Erneuerung hatte dieses Projekt längerfristig keine Chance.

Zitierweise:
Yvonne Leimgruber: Rezension zu: Denise Wittwer Hesse: Die Familie von Fellenberg und die Schulen von Hofwyl. Erziehungsideale, «Häusliches Glück» und Unternehmertum einer bernischen Patrizierfamilie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bern, Historischer Verein des Kantons Bern, 2002. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 1, 2004, S. 92-93.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 1, 2004, S. 92-93.

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