P. Feuz: Die Geschichte des Wirtschaftsflüchtlings Friedrich Mürset

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Titel
Zwischen uns ein Ocean. Die Geschichte des Wirtschaftsflüchtlings Friedrich Mürset


Autor(en)
Feuz, Patrick
Erschienen
Kempten 2009: Zytglogge Verlag
Anzahl Seiten
173 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Amacher Hoppler

Wessen Historiker-Herz schlägt da nicht höher: In einem alten Sekretär kommt ein Packet alter Briefe hervor, geschrieben in den Vereinigten Staaten von Amerika vor über 150 Jahren. Die Finderin liest darin, lässt die Briefe in die heutige Schrift übertragen, andere Leute aus dem Dorf wollen die Briefe auch lesen. Man stellt sich die bedrückte Abschiedsszene vor, die hektischen Umstände in der Hafenstadt, man denkt an die Überfahrt über den Atlantik, von Stürmen und Krankheiten begleitet, und kann sich vielleicht noch die Hektik im New Yorker Hafen vorstellen. Dann flimmert ein Bild eines Schweizer Bauern vor einem riesigen Kornfeld irgendwo im Mittleren Westen der USA vorbei, oder eine enge, dunkle Stadtwohnung in New York. Wie mag sich eine solche Auswanderung tatsächlich angefühlt haben?

Aus der Auswanderungsgeschichte kennen wir die Gründe und Charakteristika der Auswanderungswellen aus der Schweiz im 19. Jahrhundert. Für den Kanton Bern sind dies insbesondere die Kartoffelpest von 1846 / 47, die kühl-nassen Sommer und kalten Frühjahrsperioden in den frühen 1850er - Jahren und das daraus folgende Emporschnellen der Lebensmittelpreise. Sie alle brachten die armen Bevölkerungsschichten in existenzielle Nöte und verdunkelten die Zukunftsaussichten auch der unteren Mittelschichten. In der ersten Hälfte der 1850er - Jahre begaben sich deshalb viele Berner und Bernerinnen aus wirtschaftlichen Gründen Richtung USA. Einer dieser Wirtschaftsflüchtlinge war Friedrich Mürset aus Twann. 1852 verliess er zusammen mit seiner Frau Elisabeth seinen Wohnort, wo er als Steinhauer gearbeitet hatte. Er hatte zwar (noch) Arbeit und ihre Familien vermochten die Reise selbst zu bezahlen. Die Gemeinde finanzierte ihnen also kein One-Way-Ticket, wie andern Auswanderern, deren sich die Gemeinden so entledigten. Doch Mürset stellte sich für sich, Elisabeth und die gewünschten Kinder eine andere Zukunft vor, als sich ständig vor hohen Lebensmittelpreisen, einer sich vergrössernden Konkurrenz um Arbeitsstellen und Missernten fürchten zu müssen.

Was Friedrich Mürset und seine Frau Elisabeth während ihrer Auswanderung nach Amerika erleben, hat Patrick Feuz anhand von Briefen rekonstruiert. Zwischen 1852 und 1854 verfasste Mürset die Briefe an seine Eltern, in deren Haus sie bis zu ihrer Entdeckung im alten Sekretär lagerten.

Mürset berichtete darin über die Reise von Twann nach Le Havre, die gut sechswöchige Überfahrt nach New York und die Weiterfahrt nach Philadelphia. In New York empfing sie ein Onkel Mürsets, doch Mürset und Elisabeth zogen rasch weiter nach Philadelphia, von wo Verwandte von Elisabeth von guten Verdienstmöglichkeiten berichtet hatten. Mürset fand rasch Arbeit auf dem Bau. Nach einigen Wochen mieteten sie ein eigenes Logis und wurden schon bald selber Anlaufstelle für Seeländer Auswanderer. Mürsets fühlten sich wohl, fielen weder dem Gelbfieber noch der Cholera zum Opfer, hatten Arbeit – Elisabeth wusch, flickte und bügelte – und sahen ihre Erwartungen erfüllt: Ende des Monats war mehr Geld übrig als in der Schweiz, ihren Kindern würden sie bessere Zukunftsaussichten bieten können. 1853 kam Friedrich zur Welt, 1855 William und 1863 Mary. Nach dem Tod von Mürset zwischen 1863 und 1870 heiratete Elisabeth den Deutschen William Hoppy, hatte mit ihm noch einen weiteren Sohn Georg und lebte mit ihm und allen Kindern ausserhalb von Philadelphia. Dann versanden die Spuren des Twanner Auswanderers.

Diese mit vielen Zitaten gespickte Geschichte eines Berner Auswandererpaars liest sich flüssig und ist dank der passenden Bilder und des szenischen Aufbaus, der die Leserschaft sehr nahe an das Geschehen bringt, gut zugänglich. Die Kapitel orientieren sich an den verschiedenen Stationen der Reise, womit verdienstvollerweise auch die Weiterfahrt in das Landesinnere und das Leben am neuen Ort in seiner vollen Länge zur Geltung kommen. Die Zitate aus Mürsets Briefen sind gut im historischen Kontext eingebettet, sodass ein Laie auch die wichtigsten Push-and-Pull-Faktoren dieser Auswanderungswelle in den frühen 1850er - Jahren mitbekommt. Allerdings lassen die zahlreichen anderen Quellen, die Feuz beizieht, Mürsets Briefe teils in den Hintergrund treten. Die Leserschaft muss sich jedenfalls gut darauf konzentrieren, was genau Mürset und Elisabeth erlebt haben, und ob nun ein Bericht des Regierungsstatthalters, ein anderer Auswanderer oder der Auswanderer-Ratgeber «Der Colonist» zitiert wird. Dies mag für die Historiker- und Historikerinnenzunft etwas mehr gelten als für lokalhistorisch Interessierte, die mit diesem Buch die sehr persönliche Geschichte eines Twanner Auswanderers erhalten.

Zitierweise:
Anna Amacher Hoppler: Rezension zu: Feuz, Patrick: Zwischen uns ein Ocean. Die Geschichte des Wirtschaftsflüchtlings Friedrich Mürset. Kempten: Zytglogge Verlag 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 83-85.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 83-85.

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