E. Schneider: Goldiwil

Titel
Goldiwil. Geschichte eines Dorfes


Autor(en)
Schneider, Ernst
Erschienen
Thun 2000: Krebser
Anzahl Seiten
143 S.
Preis
ISBN
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christoph Zürcher

Der 1915 geborene Goldiwiler Lehrer – er wirkte von 1950 bis 1980 – legt keine Geschichte der Gemeinde Goldiwil, sondern ausdrücklich eine Geschichte des Dorfes Goldiwil vor. Die Gemeinde, einst dem Schultheissenamt Thun als ein Teil des Freigerichts Steffisburg zugehörig, bestand aus zwei Teilen: dem thunwärts gelegenen Teil Hofstetten/Lauenen und dem von Einzelhöfen und Weilern geprägten «Oberen Goldiwil ». Cholerenschlucht und Grüsisbergwald bilden eine markante Barriere, die auch durch die 1870 erstellte Fahrstrasse nicht beseitigt wurde. Diese Gegebenheiten bestimmten die Geschichte von Goldiwil, und das macht die Lektüre des bescheiden, aber gediegen daherkommenden Bändchens spannend.

Im Zentrum steht der Zusammenschluss mit Thun im Jahr 1913. Die Initiative ging von Thun aus, das – eingeschnürt zwischen den Gemeinden Goldiwil, Strättligen, Uetendorf, Heimberg, Steffisburg sowie der nicht überbaubaren, der Eidgenossenschaft gehörigen Allmend – keinerlei Landreserven besass. Die Stadt zählte rund 7500 Einwohner (Goldiwil rund 1000) und stand vor einem grossen Wachstumsschub. Die Fusion erfolgte gegen den geschlossenen Widerstand der Obergoldiwiler und wurde letztlich von der trostlosen finanziellen Lage der Gemeinde diktiert (die sich auch in der Auflösung der verarmten Burgergemeinde 1948 manifestierte).

Interessant ist nun, dass sich ein Goldiwiler Identitätsgefühl bis heute erhalten oder sich sogar erst in jüngerer Zeit gebildet hat. Festgemacht wurde und wird es an der Existenz der Schulgemeinde Obergoldiwil, die in einer bemerkenswerten Art von Lokal- oder «Quartierautonomie» bis heute auch «schulfremde» Gemeindeaufgaben diskutiert (Bau eines Altersheimes, Widerstand gegen eine verdichtete Überbauung, Initiative für eine Bushaltestelle und Ähnliches) und damit die Funktion eines Quartierleists erfüllt. 1997 bestimmt sie ein offizielles Dorfwappen, und von 1994 bis 1998 kämpft sie für eine voll ausgebaute Schule mit Sekundarstufe, was sowohl vom Thuner Stadtrat wie von der Erziehungsdirektion abgelehnt wird.

Seit 1950 besitzt Goldiwil eine eigene Kirche (ein Schulbeispiel des damals grassierenden Heimatstils), die erst das «Dörfli» zu einem echten Zentrum machte. Die ehemalige Gemeinde bildete mit der politischen Gemeinde Schwendibach eine Kirchgemeinde im Rahmen der «Kirchhöre» und heutigen Gesamtkirchgemeinde Thun. Ob die Tätigkeit von bis zu acht Freikirchen auf dem Gemeindegebiet etwas mit der schwerfälligen Organisation und der oft als ungenügend empfundenen Betreuung durch die Thuner Stadtpfarrer zu tun hat?

Informativ ist auch das Kapitel «Fremdenverkehr und Sport». Bekannt ist die Entwicklung des Tourismus in der unteren Gemeinde, wo in Hofstetten die Schifffahrtspioniere Knechtenhofer wirkten. Weniger bekannt ist, dass auch Obergoldiwil eine kurze touristische Blüte erlebte, und zwar als Wintersportort. Promotor war der Lehrer Matthäus Blatter, der 1896 eine Pension eröffnete und 1905 das Hotel Blümlisalp baute. Die Blüte war kurz; sie ging 1914 durch den Ersten Weltkrieg und nicht etwa durch einen Klimawandel zu Ende. Der Autor dokumentiert sie mit köstlichen zeitgenössischen Postkarten.

Das Bildmaterial und auch die Auswertung von mündlichen Informationen von Zeitzeugen sind eine Stärke der Schrift und entschädigen für gelegentliche Längen in der chronologischen Auflistung von Ereignissen. Wünschenswert wären etwas mehr biografische Informationen über Zeitzeugen und wichtige Entscheidungsträger. Aber das würde wohl den Rahmen sprengen und soll nicht als Kritik an dieser Ortsgeschichte mit dem etwas besonderen Gegenstand – einer nicht mehr existierenden, aber im Bewusstsein ihrer Bewohner durchaus realen Gemeinde – verstanden sein.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Tschannen, Rudolf: Gerzensee. Chronik bis Ende 1999, Gerzensee, Gemeindeverwaltung Gerzensee, 2000, 155 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 76f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 76f.

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