S. Howald: Aufbruch nach Europa

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Titel
Aufbruch nach Europa. Karl Viktor von Bonstetten 1745–1832. Leben und Werk


Autor(en)
Howald, Stefan
Erschienen
Basel 1997: Stroemfeld Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Fankhauser

Seit einiger Zeit ist das Interesse an Karl Viktor von Bonstetten wieder erwacht, dies nicht zuletzt dank der «Bonstettiana», der im Gange befindlichen historisch-kritischen Edition seiner Briefkorrespondenzen und Schriften, welche eine Beschäftigung mit dem Berner Patrizier überhaupt erst ermöglicht. Was man seit langem vermisste, war eine moderne Bonstetten-Biografie, obwohl das 1921 erschienene Werk von Marie-Louise Herking nicht gänzlich überholt ist. Dank des finanziellen Engagements der Mäzenin Claire Sturzenegger-Jeanfavre liegt nun eine Monografie aus der Feder des Journalisten Stefan Howald vor, die ein breites Publikum ansprechen und zur «Bonstettiana» hinführen will. Dem Autor ist das Kunststück gelungen, ein leicht verständliches Buch mit wissenschaftlichem Anspruch zu verfassen. Sämtliche fremdsprachigen Zitate sind in einer deutschen Übersetzung zugänglich. Eine Zeittafel und ein Personenregister erleichtern den Leserinnen und Lesern die Orientierung, ein schlanker Anmerkungsteil und eine Bibliografie enthalten weiterführende Informationen.

Howalds eng mit dem Werk verknüpfte Lebensbeschreibung ist chronologisch aufgebaut, wobei in jedem Kapitel ein bestimmtes Thema im Vordergrund steht, beispielsweise die Bestrebungen des Berners als Bildungspolitiker, seine Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber oder die zentrale Stellung der «Imagination» in seinen philosophischen Veröffentlichungen. Um Bonstetten als Zeugen des politischen und wirtschaftlichen Umbruchs an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einführen zu können, hat der Autor die Begegnung seiner «Epochenfigur» mit Bonaparte in Mailand 1797 als dramatischen Auftakt gewählt. Aufschlussreich ist die Darstellung der Jugendjahre. Karl Viktor war 1757 das erste Kind in Bern, das – auf Anraten Albrecht von Hallers – gegen die Pocken geimpft wurde. Das «Rousseau-Fieber» vermochte der Welschseckelmeister Karl Emanuel von Bonstetten hingegen seinem beim Genfer Naturforscher Charles Bonnet in der Ausbildung stehenden Sohn nicht auszutreiben. Howald führt den Grundkonflikt zwischen Politik und Kultur im Leben des Kosmopoliten und die Abneigung gegen die Heimatstadt auf die Auseinandersetzung mit dem Vater zurück. Bonstettens Biografie bis zur Helvetik ist vom Bestreben gekennzeichnet, die ihm vorbestimmte Ämterlaufbahn mit der Verwirklichung seiner intellektuellen Neigungen in Einklang zu bringen. Der Wahl in den Berner Grossen Rat 1775 folgten 1779/80 die Statthalterschaft der Landvogtei Saanen, 1787–1793 die Verwaltung der Landvogtei Nyon und 1795–1797 die Syndikatur im Tessin. Literarische Früchte seiner Reisen und Beobachtungen sind die «Briefe über ein schweizerisches Hirtenland» (1781) und die «Briefe über die italienischen Ämter» (1800), welche Zeugnis von den weit gespannten Interessen Bonstettens ablegen.

Bei der Schilderung der privaten Seite seines Protagonisten begnügt sich der Autor im Unterschied zu früheren Biografen nicht mit Andeutungen, sondern spricht Klartext, ohne jedoch moralische Wertungen vorzunehmen. Die Ehe mit Marianne von Wattenwyl verlief nicht eben glücklich, weshalb Bonstetten seine sexuellen und geistigen Bedürfnisse anderswo befriedigte. 1798 liess er die Familie in Valeyres bei Orbe zurück und folgte der Schriftstellerin Friederike Brun nach Dänemark. In der intensiven Freundschaft mit dem Schaffhauser Historiker Johannes Müller macht Howald zwar homoerotische Züge aus, verneint aber eine homosexuelle Beziehung, obwohl Bonstetten als Jüngling durchaus mit diesem Phänomen konfrontiert wurde.

1803 liess sich der Schriftsteller und Populärphilosoph in Genf nieder. Er gehörte zusammen mit dem Ökonomen Jean-Charles-Léonard Simonde de Sismondi zum inneren Kreis des internationalen Salons von Madame de Staël in Coppet. 1808 kam es zur Distanzierung von Friederike Brun. Seine Vaterstadt besuchte er bis zu seinem Tod nur noch fünfmal. 1817 trat er aus dem Berner Grossen Rat zurück, dem er seit der Restauration des Ancien Régime automatisch wieder angehört hatte. Auch im fortgeschrittenen Alter führte Bonstetten ein bewegtes Leben. Er reiste viel, empfing Besuche aus aller Welt, nahm lebhaften Anteil am griechischen Freiheitskampf und begeisterte sich für die neuen Dampfschiffe. Die Jungfernfahrt der «Guillaume Tell» auf dem Genfersee 1823 machte er als Passagier mit. Dass ein Jahr später auch auf dem Bodensee ein Dampfboot den Betrieb aufnahm, ist nicht zuletzt auf Bonstettens Verbindungen zum württembergischen Königshof in Stuttgart zurückzuführen. Die liberale Umwälzung in Bern 1831 begrüsste er. Diejenigen unter seinen ehemaligen Standesgenossen, die ihre Parlamentsmandate ausschlugen, bezeichnete er als «vilains hazards» (S. 246).

Stefan Howald beschliesst sein kritisches Lebensbild mit einem informativen Kapitel über Bonstettens Nachruhm und Aktualität. Während Marie-Louise Herking 1921 noch den «esprit helvétique» des Berner Patriziers in den Vordergrund rückte, ist Bonstetten heute als Europäer und Vermittler zwischen den (Sprach-)Kulturen gefragt. Aus diesem Grund ist dem Buch ein französischer Essay beigegeben. Verfasst hat ihn Armand Lombard, der als Kind seine Ferien jeweils in Valeyres neben Bonstettens Landhaus verbrachte und später die Gemeinde Chêne-Bougeries von Sismondis Haus aus leitete.

Zitierweise:
Andreas Fankhauser: Rezension zu: Howald, Stefan: Aufbruch nach Europa. Karl Viktor von Bonstetten 1745–1832. Leben und Werk, Basel, Stroemfeld, 1997, 304 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 67f.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 67f.

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