V. Groebner: Gefährliche Geschenke

Titel
Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit


Autor(en)
Groebner, Valentin
Reihe
Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven, Bd. 4
Erschienen
Konstanz 2000: UVK Verlag
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Würgler, Historisches Institut, Universität Bern

Geschenke sind eigentlich Liebesgaben, sie drücken eine freiwillige Aufmerksamkeit aus, die zumindest im Moment des Schenkens keine direkte Gegenleistung erwartet. Bei den etwas speziellen Geschenken hingegen, die im Dunstkreis der Politik ausgetauscht wurden, war es anders, wie Valentin Groebner in seinem interessanten Buch über die vielfältige Praxis des Schenkens in eidgenössischen und süddeutschen Städten von zirka 1440 bis 1530 darlegt. Er rekonstruiert sowohl, wer wem, was, wann, warum schenkte, als auch, wie darüber geredet wurde. Er nutzt dafür eine Vielzahl von Quellensorten, von Rechnungsbüchern und Geschenklisten über Chroniken, Briefe und Bilder bis zu politischen Traktaten sowie literarischen Satiren.

Mit dem Wort «schenk» wurden offen überreichte Gaben belegt. Das konnte sichtbar spendierter Wein (sowie Brot und Fisch) sein, den der städtische Rat als Gastge- schenk Besuchern kredenzte, sofern sie in offizieller Funktion anreisten. Wichtige Gäste, etwa Gesandte grosser Mächte, erhielten nicht nur Wein, sondern auch silberne oder goldene Trinkgefässe oder Münzen. Mit derartigen Präsenten pflegte man freundnachbarliche oder diplomatische Beziehungen. Man hielt sie penibel genau in der Geschenkbuchhaltung fest, wie etwa den silbernen Trinkbecher, den die Stadt Basel 1504 dem Berner Stadtschreiber Thüring Fricker verehrte. Umgekehrt waren die Geschenke für die Empfänger ein Teil des Einkommens, denn Gesandte, Briefboten und Amtleute erhielten nur ein geringes fixes Salär. Sie lebten zum Teil davon, dass ihr Amt Geschenke einbrachte oder sie zum Einziehen bestimmter Geschenke, heute würden wir sagen Gebühren, berechtigte. Dass solche Geschenke im späten 15. Jahrhundert einer Deklarationspflicht und teilweise sogar einer Ablieferungspflicht unterstellt wurden, verweist auf deren ambivalenten Charakter.

Denn es gab auch «böse» Geschenke. Sie wurden heimlich verteilt, um jemanden zu «schmieren». Die Sprache der Zeit nannte diese Bestechungsgelder «miet». Das unter dem Namen «Pensionen» bekannte fremde Geld, das seit den Burgunderkriegen 1474–1477 zur Beeinflussung der eidgenössischen Politik ins Land floss, interpretierten schon Zeitgenossen wie etwa der Berner Chronist Valerius Anshelm, aber auch die Geschichtsschreibung bis ins 20. Jahrhundert als Ursache der krisenhaften Destabilisierung, ja des sittlichen Zerfalls. Groebner dagegen differenziert erstens zwischen den «gemeinen Pensionen», die in die Staatskassen flossen, und den «heimlichen» Pensionen, die nur an ausgewählte und einflussreiche Politiker gezahlt wurden. Zweitens betont er gegen die traditionelle Sicht, dass die Pensionen zur Stabilisierung der politischen Eliten und zur Festigung staatlicher Strukturen beitrugen. Deshalb wehrten sich die Bauern in den zahlreichen Pensionenaufständen von 1477 bis 1515, zu denen auch der Könizeraufstand von 1513 gehört, gegen die Bestechlichkeit ihrer Herren durch fremdes Geld ebenso wie gegen den Abbau gemeindlicher Selbstbestimmungskompetenzen.

Vor allem an Basler Beispielen führt Groebner vor, dass die Unterscheidung zwischen erlaubten «schenk» und verbotenen «miet», «offenen» und «heimlichen» Pensionen eine Frage der politischen Definitionsmacht war. Die Mehrheiten im Kleinen Rat zogen die Grenzen zwischen legal und illegal – aber diese Mehrheiten wechselten gerade zwischen 1500 und 1520 öfter. Die Tagsatzung scheiterte mit der Umsetzung der 1503 entworfenen Pensionenordnung wohl nicht zuletzt deswegen, weil an den Tagsatzungen die grössten Pensionenempfänger über ein Pensionenverbot diskutierten.

Der Graubereich zwischen erlaubten und unerlaubten Geschenken bot den Zeitgenossen Anlass für diffamierende Gerüchte. Vorwürfe über Bestechung und Verrat (Judaslohn), über Käuflichkeit und Verweiblichung als Folge luxuriöser Gaben waren schnell zur Hand. Doch Geschenke waren nicht immer Schmiergeld, sondern oft einfach der Preis für Informationen und Dienstleistungen, die noch nicht institutionell von Post, Zeitung, Banken und Versicherungen, sondern personal vermittelt wurden. Diese differenzierte Analyse der Schenkrituale und ihrer Benennungen präsentiert in sprachlich zum Teil etwas manierierter Form neue Einsichten in die diplomatische Praxis und die politische Rhetorik. Mit seinem originellen methodischen Zugriff, den er in zahlreichen Aufsätzen bereits vorgeführt hat, umkreist Groebner ein zentrales Thema der Schweizer Geschichte.

Zitierweise:
Andreas Würgler: Rezension zu: Groebner, Valentin: Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz, Universitätsverlag Konstanz, 2000 (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven, Bd. 4), 312 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 62f.

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Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 62f.

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