M. Stuber u.a. (Hrsg): Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe

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Titel
Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe. Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG (1759−2009)


Herausgeber
Stuber, Martin; Moser, Peter; Gerber-Visser, Gerrendina; Pfister, Christian
Erschienen
Bern 2009: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Emil Erne

Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern (OGG)
nimmt unter den Schweizer Reformsozietäten in mehrfacher Hinsicht eine besondere Stellung ein. Während ihrer Anfangsphase im «geselligen Jahrhundert» (Ulrich Im Hof) besass sie als eine der bedeutendsten Aufklärungsgesellschaften europaweite Ausstrahlung. Wie nur wenige vermochte sie aber auch durch alle nachfolgenden Zeitenwechsel hindurch ihre Tätigkeit bis heute aufrechtzuerhalten. 2009 kann sie das 250-Jahr-Jubiläum feiern – nach dem 300. Geburtstag Albrecht von Hallers (1708–1777), ihres berühmtesten Präsidenten, der zweite aktuelle Gedenkanlass zu Berns «Goldener Zeit». Rechtzeitig zum Beginn der Jubiläumsaktivitäten ist ein prächtiges Geschichtsbuch erschienen, das die interessierten Leserinnen und Leser auf lehrreiche und unterhaltsame Art durch die zweieinhalb Jahrhunderte führt. Seit 2004 untersucht das Historische Institut der Universität Bern unter der Leitung von André Holenstein und Christian Pfister im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts des Schweizerischen Nationalfonds die Geschichte der Gesellschaft im europäischen Kontext zwischen 1750 und 1850. Die vorliegende Publikation stützt sich einerseits auf die bisherigen Ergebnisse dieses Projekts und andererseits für den Zeitraum nach 1850 auf Materialien und Beiträge des von Peter Moser initiierten und geleiteten Archivs für Agrargeschichte in Bern.

Die Gründung der Oekonomischen Gesellschaft im Jahre 1759 beruhte auf der bestechenden Idee, Ökonomie und Gemeinnützigkeit miteinander zu verbinden, und bezweckte die Förderung von Reformen im Landbau und die Anwendung ökonomischer Prinzipien im Dienste der ganzen Bevölkerung. Sie war Teil einer im 18. Jahrhundert ganz Europa erfassenden Bewegung, die mittels freiwilliger Zusammenschlüsse aufgeklärter Individuen zur Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse beitragen wollte. Die Sozietäten betätigten sich u.a. auf den Gebieten der Naturwissenschaften, der Medizin, der Literatur, der Kunst und – wie eben die Oekonomische Gesellschaft – der Wirtschaft und der Sozialfürsorge.

Die Berner Oekonomische Gesellschaft wurde zunächst von führenden Vertretern der Berner Aufklärung um Johann Rudolf Tschiffeli (1716–1780) und die Gebrüder Vinzenz Bernhard (1728–1778) und Niklaus Emanuel Tscharner (1727–1794) getragen. Später entwickelte sie sich vom exklusiven Kreis städtischer Patrizier und Pfarrer zum bürgerlich-bäuerlichen Landwirtschaftsverein mit Massenbasis. Trotz Beibehaltung des alten Namens – mit antiquierter Schreibung des Umlauts am Wortanfang − übernahm die OGG im 19. Jahrhundert die Funktion eines kantonalen Landwirtschaftsvereins, wie er auch in den übrigen Kantonen entstand. Schliesslich wandelte sich die Gesellschaft, die 1890 mit der 1810 gegründeten Berner Gemeinnützigen Gesellschaft fusionierte, zur bäuerlichen Bildungsinstitution im 20. Jahrhundert. Während im 18. Jahrhundert Prämien und Preisausschreiben die Gesellschaftstätigkeit dominierten, waren es im 19. Jahrhundert landwirtschaftliche Ausstellungen und Prämierungen von Produkten. Im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft nahm die OGG grundlegende Veränderungen früh wahr und suchte nach Lösungen für die damit verbundenen Probleme. Auf neue Herausforderungen reagierte sie mit der Bildung von Kommissionen, die neue Entwicklungen erprobten und so den grössten Teil der Arbeit leisteten. Viele der historischen Aufgaben der OGG liegen heute in den Händen von eigens dafür geschaffenen Institutionen, etwa im Bereich der bäuerlichen Aus- und Weiterbildung.

Die Entstehung der bernischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) um 1918 versetzte die OGG politisch ins zweite Glied, wobei ihr allerdings die Vermittlerfunktion ohnehin besser entsprach als die Rolle einer politischen Meinungsmacherin. Ihre Bedeutung bei der Integration des Agrarsektors in die Konsumgesellschaft in den 1950er- und 1960er-Jahren sank nach dem Tod des bisher einzigen Bauern-Bundesrats und nachmaligen OGG-Präsidenten Rudolf Minger (1881–1955) unübersehbar. Bei der Anerkennung der landwirtschaftlichen Bildung als Hochschuldisziplin hingegen waren OGG-Vertreter auf allen Ausbildungsstufen massgeblich beteiligt. Die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion, die die ländliche Welt in kaum erahnter Weise veränderte, und deren ökologische Nebenwirkungen bescherten ihr erhebliches Kopfzerbrechen. In jüngster Zeit orientierte sich die Gesellschaft neu als soziale Koordinationsstelle.

Im 18. Jahrhundert hatte die Jubilarin europaweite Beachtung genossen, heute ist sie nur noch in Fachkreisen bekannt. Das Überleben der Sozietät über 250 Jahre hinweg ist aber keine Selbstverständlichkeit: Sie musste wandlungsfähig und traditionsbewusst zugleich sein. Das vorliegende Jubiläumsbuch bietet keinen verklärenden Blick. Methodisch beruht die Darstellung auf dem personengeschichtlichen Zugang: An ausgewählte Mitglieder und ihre Beiträge für die OGG wird ehrend erinnert, wobei bei der Auswahl nicht nur die «Grösse», sondern auch andere Kriterien den Ausschlag gaben, wie die Beispielhaftigkeit, die Ausgewogenheit nach den Geschlechtern und nach den sozialen Schichten, der Gegenwartsbezug, der Unterhaltungswert und nicht zuletzt die Quellenlage. So liest man mit Vergnügen von den Leistungen und Schicksalen der «klugen Köpfe», wie sie der Titel nennt und die die Landwirtschaft mehr oder weniger stark geprägt haben. Insgesamt 53 Personen werden von 27 Autorinnen und Autoren in 50 Beiträgen zu je 4 Seiten vorgestellt. Das Spektrum reicht von Emmentaler Musterbauern, die Neuerungen ausprobierten und für ihren Eifer von der Gesellschaft ausgezeichnet wurden, über den erfolgreichen Konstrukteur einer spektakulären Mähmaschine Johann Ulrich Aebi (1846−1919) bis zu Präsident Fritz Gerber, der die Gesellschaft 1990−2000 sicher durch einen tief greifenden Strukturwandel führte. Bekannte Persönlichkeiten sind ebenso vertreten wie die im Hintergrund wirkenden Mitglieder, die für jeden Verein unentbehrlich sind. Acht Frauen werden geehrt, von der flachs- und hanfverarbeitenden Landfrau, die eigenhändig mit der Oekonomischen Gesellschaft korrespondierte, bis zur «Frau Direktor» der ersten bäuerlichen Hauswirtschaftsschule im Kanton Bern. Die bearbeiteten Themen betreffen die ganze Palette landwirtschaftlicher Fragestellungen: Einführung von Nutz- und Futterpflanzen, Allmendteilung, Waldpflege, Bekämpfung von Viehseuchen, Milch- und Alpwirtschaft, Motorisierung und alle Arten der Aus- und Weiterbildung.

Besonders hervorzuheben ist die Bebilderung des Buchs. Jeder Beitrag weist
drei bis vier, häufig farbige Illustrationen auf, meist ein Porträt der besprochenen Person, ferner Landschaftsansichten, Genreszenen, Plan- und Textausschnitte, Fotos usw. Auf Hochglanzpapier wurde verzichtet, was dem rustikalen Gegenstand auch besser entspricht; ebenso widerspiegelt das moderne Layout mit grosszügiger Randspalte für Biografien und Bildlegenden die Aufgeschlossenheit der OGG für Neues.

Die «Porträts» werden von einer einleitenden Übersicht über die Entwicklung
der Gesellschaft von der Reformsozietät zur bäuerlichen Bildungsinstitution und einem Anhang mit Forschungsstand, Anmerkungen, Bibliografie und Personenverzeichnis umrahmt.

Insgesamt vermittelt das Buch wissenschaftliche Erkenntnisse auf leicht lesbare Art und in attraktivem Gewand, sodass die Lektüre über die Vereinsmitglieder hinaus ein breiteres Publikum zu interessieren vermag. Die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen der Universität und einem traditionsreichen Verein hat zu einem «Produkt» geführt, das ebenso schön ist wie die Produkte auf dem Buchumschlag nützlich sind.

Zitierweise:
Emil Erne: Rezension zu: Stuber, Martin; Moser, Peter; Gerber-Visser, Gerrendina; Pfister, Christian [Hrsg.]: Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe. Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG (1759−2009). Unter Mitarbeit von Dominic Bütschi, Bern/Stuttgart/Wien, Haupt Verlag, 2009. 309 S., durchgehend ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 1, Bern 2009, S. 56ff.