Titel
Aarewasser. 500 Jahre Hochwasserschutz zwischen Thun und Bern


Autor(en)
Hügli, Andreas
Erschienen
Bern 2007: Ott Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hans-Rudolf Egli

In der vorliegenden Publikation wird die Fluss- und Landschaftsgeschichte des Aaretals seit 1500 dargestellt, wobei das Schwergewicht auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Es ist die Geschichte einer sehr naturnahen Flusslandschaft, die sich zu einem Siedlungs- und Verkehrskorridor entwickelt hat, sowie die Geschichte des Umgangs mit Natur und Naturgefahren. Dabei spielen die Ursachen und Folgen der Flussverbauungen, die weit über den Hochwasserschutz hinausgehen, eine zentrale Rolle. Grundlage der Darstellung sind hauptsächlich die schriftlichen Quellen im Berner Staatsarchiv. Karten, Pläne und Bilder wurden vorwiegend zur Illustration beigezogen. Die Untersuchung entstand als Lizentiatsarbeit am Historischen Institut der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Christian Pfister.1)

Im 1. Kapitel werden die Aarelandschaft und die gewerbliche Nutzung inklusive Schiffsverkehr ab 1500 beschrieben, wobei die flächenhaften Angaben erst aus dem 19. Jahrhundert überliefert sind. Entsprechend sind auch die Hochwasser und Überschwemmungen (2. Kapitel) erst ab dem 18. Jahrhundert in grösserer Zahl bekannt. Der Kampf gegen die Überschwemmungen setzte erst eigentlich im 18. Jahrhundert ein, beginnend mit der Umleitung der Kander in den Thunersee (1711–1714), wodurch die Voraussetzungen zur Entsumpfung der Thuner Allmend geschaffen wurden, gleichzeitig aber die Hochwassergefahr in Thun selbst und im Aaretal bis Bern anstieg. Der Autor zeigt in den folgenden Kapiteln eindrücklich die grossen Schwierigkeiten, ein Werk zu realisieren, das die Möglichkeiten der einzelnen Bauern und der einzelnen Gemeinden bei weitem überstieg. Trotz der neuen technischen Erkenntnisse im Gewässerbau war es nicht möglich, das Gesamtprojekt zu planen und umzusetzen. Der Kanton war nicht bereit, die Führungsrolle zu übernehmen und insbesondere die Finanzierung langfristig zu sichern. Es blieb vor allem im Abschnitt zwischen Bern und Münsingen (1825–1859) weitgehend bei Einzelmassnahmen, wobei vielfach die Verbesserungen am einen Ort die bereits realisierten Massnahmen an einem andern Ort wieder zunichte machten. Erst mit der Unterstützung des Bundes konnte ein Gesamtprojekt für die Kanalisierung der Aare zwischen Thun und Uttigen (ab 1871) realisiert werden. Dabei ging es nicht mehr in erster Linie um die Sicherung der Aareschifffahrt, sondern um den Schutz des Agrarlandes in der nun intensiver genutzten Aareebene sowie um die Sicherung der Eisenbahnlinie, die 1859 bis Thun eröffnet worden war. Die zunehmende Zahl an Überschwemmungen ab etwa 1850 hatte die Einsicht und die Bereitschaft zur Hochwasserschutzpolitik auf Bundes- und Kantonsebene wesentlich gefördert.

Während rund 100 Jahren erfüllte die Aarekorrektion die Erwartungen weitgehend, was zur Folge hatte, dass die Siedlungen und die Infrastrukturanlagen immer mehr in der Aareebene und in Flussnähe erbaut wurden, besonders der Flugplatz Belpmoos (ab 1929) und die Autobahn Bern–Thun (1973 eröffnet). Grosse Überschwemmungen am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts förderten die Erkenntnis, dass der Aare zwischen Thun und Bern langfristig wieder mehr Raum gegeben werden muss, damit weitere Hochwasser nicht wieder Millionenschäden anrichten.

Das Buch schliesst mit der Darstellung des Projektes «Aarewasser», das die
teilweise Renaturierung der Aare und gleichzeitige Aufwertung des Aartales als Erholungslandschaft bis ins Jahr 2030 anstrebt.

Gesamthaft ist die vorliegende Publikation eine wertvolle Zusammenstellung
der Entscheide und Massnahmen zu den Aarekorrektionen im Abschnitt zwischen Thun und Bern. Die zahlreichen Originalzitate und die Abbildungen sind sehr illustrativ. Der Text ist aber insgesamt recht mühsam zu lesen, weil die Themen additiv aufeinander folgen, die übergeordnete Fragestellung zu wenig deutlich verfolgt wird und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Massnahmen nur teilweise herausgearbeitet sind. Die zu zahlreichen, farbig unterlegten Textkästen sind entweder eigentliche Exkurse, d.h. inhaltliche Ergänzungen, oder aber Ausschnitte aus dem ursprünglichen Fliesstext. Die Anordnung der Quellenangaben am Ende der einzelnen Kapitel ist wenig leserfreundlich. Zu bedauern ist, dass die 2006 publizierte Dissertation von Marc Zaugg 2) zum Philosophiewandel im Wasserbau, dargestellt auch am Beispiel der Aare zwischen Thun und Bern, nicht berücksichtigt werden konnte. Mit einem sorgfältigen Lektorat hätten einige Widersprüche und Fehler vermieden werden können. So steht beispielsweise auf der Seite 157, dass mit baulichen Massnahmen die Abflusskapazität um bis zu 200 m3/s vergrössert werden soll, dass aber 2007 beschlossen wurde, nur die Variante Objektschutz weiterzuverfolgen. Die 230 000 Zentner zu 52,01 kg, die im Jahr 1825 transportiert wurden, entsprechen nicht 12 Tonnen, sondern 12 000 Tonnen (Anmerkung S. 25).

1) Hügli, Andreas: «Die Schlange im eigenen Busen nähren.» Die Korrektion der Aare zwischen Thun und Bern im 19. Jahrhundert. Lizentiatsarbeit in Schweizer Geschichte (Historisches Institut der Universität Bern 2002).

2) Zaugg Stern, Marc: Philosophiewandel im schweizerischen Wasserbau – zur Vollzugspraxis des nachhaltigen Hochwasserschutzes. (Humangeographie, Bd. 20) Zürich 2006.

Zitierweise:
Hans-Rudolf Egli: Rezension zu: Hügli, Andreas: Aarewasser. 500 Jahre Hochwasserschutz zwischen Thun und Bern. Bern, Ott Verlag, 2007. 175 S., 37 Abb. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 70, Nr. 4, Bern 2008, S. 61f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 70, Nr. 4, Bern 2008, S. 61f.

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