G. Andrey: Louis d’Affry 1743–1810

Titel
Louis d’Affry 1743–1810. Premier landamman de la Suisse. La Confédération suisse à l’heure napoléonienne


Autor(en)
Andrey, Georges; Czouz-Tornare, Alain-Jacques
Erschienen
Genève 2003: Slatkine Reprints
Anzahl Seiten
Preis
ISBN
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Rudolf Maurer

Vor 60 Jahren schrieb Fred de Diesbach ein Lebensbild d’Affrys, sorgfältig, doch zu wenig professionell; und der Landammann der Schweiz erscheint hier als eine Art Pétain der Jahre 1940–1944. Aus dieser Typoskript gebliebenen Arbeit zitieren Andrey und Czouz-Tornare wiederholt und ausgiebig; als Spezialisten haben sie aber die Materie von Grund auf neu erforscht und ausführlich dargestellt – in privaten und öffentlichen Archiven, auch in Paris. Sie haben viel Sekundärliteratur herangezogen, allerdings nicht immer das Wesentliche. Im Freiburger Staatsarchiv liegen auch Privatbriefe d’Affrys, vor allem an seine Schwester und an seine Lieblingsenkelin. Soweit hier ersichtlich, sind diese «billets» recht unergiebig und wirken irgendwie unbeholfen – ganz im Gegensatz zu den offi ziellen Verlautbarungen des Schultheissen und Landammanns.

Schon der Titel des Kapitels über d’Affrys seit 1753 in Paris verbrachten Werdejahre («A l’ombre du père») deutet an, dass sein Vater, Louis Auguste Augustin d’Affry (1713–1793), die eindrücklichere Persönlichkeit war; nur dank ihm, der in königlichen Diensten höchste militärische und diplomatische Stellen bekleidet hatte, machte der Sohn, der wohl ebenfalls Freimaurer war, Karriere als Offi zier in Frankreich. Und dennoch waren die Zeitgenossen – mit der unüberhörbaren Ausnahme Laharpes – des Lobes voll für d’Affry und sahen in ihm die ideale Verbindung eines Versailler Höflings und eines soliden Schweizer Patriziers. Seine Courtoisie war ausgesucht, seine Diplomatie meisterhaft; wenn er einzugreifen genötigt war, geschah dies mit Samthandschuhen. Politisch ausschlaggebend war aber, dass ihm Napoleon vertraute und ihn erstaunlich zuvorkommend behandelte. D’Affry seinerseits trieb die angesichts der Machtverhältnisse verständliche Ergebenheit gegenüber dem Ersten Konsul und Kaiser bis an die Grenze zur Unterwürfigkeit.

1803, in den vier Monaten nach der Unterzeichnung der Mediationsakte in Paris, führte d’Affry von Freiburg aus als eine Art Diktator à la romaine die neue Ordnung in der Schweiz ein. Will man Andreys origineller, doch etwas forcierter Formel folgen, so war d’Affry anschliessend Teil eines «Triumvirats», das auch die nach Herkommen und Habitus vergleichbaren Amtskollegen in Bern und Zürich, Niklaus Rudolf von Wattenwyl und Hans von Reinhard, umfasste. Doch darin erschöpft sich die Sicht dieses Autors auf die «Grosse Mediation», wie er sie nennt, nicht; vielmehr ist er zu deren «Ehrenrettung» angetreten. Das kann aber nur gelingen, indem er Belastendes herunterspielt, so auch das Wüten der Obrigkeit im Zürcher Bockenkrieg 1804.

Auf die Frage, ob die Schweiz damals schon ein Bundesstaat war, wird hier nicht näher eingetreten. Hingegen lobt der sprachpolitisch engagierte Andrey die Modernisierung des föderalen Gefüges und auch den «Aufstieg» des Französischen (das die «Triumviren» untereinander ausschliesslich pfl egten) – was aber wohl schon für die Zeitgenossen die Abtrennung weiter Teile der französischen Schweiz nicht aufwiegen konnte.

Nach dem Tuileriensturm hatte sich d’Affry senior aus der Schlinge der Revolutionäre ziehen und zum würdevollen Abgang auf sein Gut bei Echallens zurückziehen können. Schon etwas vorher hatte sich d’Affry selbst aus Paris auf sein Gut in Prehl oberhalb von Murten abgesetzt. Von dort aus war es nicht weit zur Landstrasse beim Beinhaus der Schlacht von 1476, wo er Ende 1797 «zufällig» den auf seiner Durchreise durch eine Panne aufgehaltenen Bonaparte traf.

Prehls Nachbargemeinde Münchenwiler wurde trotz langer Widerborstigkeit
Freiburgs 1807 als Exklave, zusammen mit Clavaleyres, wieder bernisch. Der Streitfall belastete die Beziehungen der Triumvirn d’Affry und von Wattenwyl. Doch bei der Wahl des Generals für den Grenzschutz 1805 war d’Affry hinter den Berner zurückgetreten; schlohweiss geworden, war er jetzt nicht mehr belastbar. 1807 erlitt er im Grossen Rat einen (geheim gehaltenen) Schlaganfall.

Die Leserschaft erfährt hier auch von d’Affrys austarierter Oligarchie in Freiburg, von zäher Ranküne einiger Standesgenossen, von Opposition im Greyerzerland. Alles handeln die beiden Autoren fl üssig und geistvoll ab, allerdings nicht ohne Längen, vor allem Czouz-Tornare. Auf die 200. Wiederkehr von d’Affrys zweitem Landammannjahr 2009 soll eine deutsche Version dieses gehaltvollen Bandes erscheinen, die auch bildungsgeschichtliche Aspekte einbezieht.

Zitierweise:
Rudold Maurer: Rezension zu: Andrey, Georges; Czouz-Tornare, Alain-Jacques: Louis d’Affry 1743–1810. Premier landamman de la Suisse. La Confédération suisse à l’heure napoléonienne, Genève, Slatkine, 2003, 420 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 4, Bern 2004, S. 230f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 4, Bern 2004, S. 230f.

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