C. Pfister: Am Tag danach

Cover
Titel
Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000


Herausgeber
Pfister, Christian
Erschienen
Bern 2002: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
263 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Bähler

Dieses Jahr durften wir einen ausserordentlich trockenen und warmen Sommer geniessen – oder wir litten unter der ungewohnten Hitze. Die Medien stellten Fragen, die wir seit einiger Zeit bei ausserordentlichen Naturereignissen gewohnt sind: Ist dies schon früher einmal vorgekommen, zumindest seit es Messungen gibt? Ist unser umweltbelastendes Verhalten schuld daran? Besonders drängend tauchen solche Fragen jeweils bei Naturkatastrophen auf, die Millionenschäden anrichten und manchmal auch Menschenleben kosten.

Mit dem historischen Aspekt von Naturkatastrophen und Naturgefahren sowie
deren Bewältigung beschäftigt sich ein Sammelband, den Christian Pfister im Vorjahr herausgegeben hat. Im Einstiegskapitel bietet der Herausgeber eine sehr gut lesbare Einführung, die sich mit wissenschaftsgeschichtlichen und -theoretischen Aspekten befasst sowie den Begriff Naturkatastrophe unter die Lupe nimmt. Jeder Naturkatastrophe liegt ein naturbedingtes Extremereignis zu Grunde, was jedoch nicht bedeutet, dass jedes Extremereignis auch unweigerlich eine Katastrophe zur Folge hat. Ein wichtiges Element und gemeinsames Kennzeichen von Katastrophen ist, dass sich die Betroffenen aus eigener Kraft nicht mehr zu helfen wissen, also Unterstützung von aussen brauchen. Pfisters Konzept geht weit über eine rein naturwissenschaftliche Analyse der Ereignisse hinaus. Mit einem sozialhistorischen Zugang legt er mit seinem Team neue Erkenntnisse vor. Die einzelnen Buchbeiträge befassen sich damit, wie die Gesellschaft mit solchen Ereignissen umging, wie sie diese interpretierte oder welche konkreten Massnahmen die Menschen jeweils ergriffen. Neben dem Umgang der direkt Betroffenen mit ihrer Situation gehen die Autorinnen und Autoren auch der Frage nach, wie die übrige Bevölkerung auf Naturkatastrophen reagierte. Die Erfolge der Spendenaktionen für die Opfer zeugen von der breiten Solidarität mit den Betroffenen. So trugen Katastrophen und ihre Bewältigung entscheidend zur Entwicklung eines schweizerischen Nationalgefühls im 19. Jahrhundert bei.

Die 14 Artikel sind kurz, inhaltlich gehaltvoll und reich illustriert. Für Bernerinnen und Berner ist der Artikel von Martin Stuber besonders interessant. Er geht auf die Resonanz ein, welche Naturkatastrophen im Korrespondenznetz des Berner Gelehrten Albrecht von Haller auslösten. Dabei ist der Begriff Naturkatastrophe weit gefasst: Neben Erdbeben und Überschwemmungen zählt Martin Stuber auch Seuchen und Hungerkrisen dazu, da im Verständnis der frühen Neuzeit all diese Ereignisse ähnlich – als Strafen Gottes – interpretiert wurden. In der Aufklärung gewann der naturwissenschaftliche Umgang mit Naturkatastrophen an Bedeutung: Indem diese zum wissenschaftlichen Forschungsgegenstand avancierten, sollten sie dem Einflussbereich menschlichen Handelns zugänglich werden. Martin Stuber geht der Frage nach, welche Bedeutung den beiden konkurrenzierenden Deutungsmustern in Hallers Briefkontakten zuzuschreiben ist.

Die übrigen Beiträge decken ein weites inhaltliches Gebiet ab und befassen sich mit unterschiedlichen Themen wie den Bergstürzen von Goldau 1806 und Elm 1881, Hochwassern, Grossbränden, der Entwicklung der Schweizer Katastrophenhilfe im Ausland 1950–1970 oder traditionellen Lawinen-Schutzbauten in den Waadtländer Voralpen. Dank Querverweisen zwischen einzelnen Artikeln und einem abschliessenden Synthesekapitel von Christian Pfister ist ein sehr lesenswertes, in sich geschlossenes Werk entstanden, das Naturkatastrophen in ein neues Licht rückt.

Zitierweise:
Anna Bähler: Rezension zu: Pfister, Christian (Hrsg.): Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000, Bern, Haupt, 2002, 263 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 65, Nr. 4, Bern 2003, S. 222f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 65, Nr. 4, Bern 2003, S. 222f.

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