D. Schläppi: Die Zunftgesellschaft zu Schmieden in Bern zwischen Traditi

Titel
Die Zunftgesellschaft zu Schmieden in Bern zwischen Tradition und Moderne. Sozial-, struktur- und kulturgeschichtliche Aspekte von der Helvetik bis ins ausgehende 20. Jahrhundert


Autor(en)
Schläppi, Daniel
Reihe
(Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 81)
Erschienen
Bern 2001: Historischer Verein des Kantons Bern, Staatsarchiv des Kantons Bern
Anzahl Seiten
566 S.
Preis
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Die dreizehn stadtbernischen Zünfte sind sehr geschichtsbewusste Körperschaften, die bei Jubiläen oder aus anderen Anlässen ihre Geschichte schreiben liessen. Das neuste Beispiel dafür ist das Werk über die Zunftgesellschaft zu Schmieden. Der Zunftrat übertrug dieses Vorhaben dem Historiker Daniel Schläppi, der im Rahmen seiner Dissertation die Geschichte der Schmieden im 19. und 20. Jahrhundert erforschte. Er untersuchte die Zunft primär mit sozialgeschichtlichen Methoden. Im Gegensatz zu anderen Zunftgeschichten beschränkte er sich zudem auf die letzten zwei Jahrhunderte – eine mutige und lobenswerte Vorgabe seiner Auftraggeber, denn diese Zeit wurde bisher in den Zunftgeschichten meist nur am Rand dargestellt. So entstand ein facettenreiches Bild der Zunft, das auch wichtige Grundzüge der burgerlichen Oberschicht Berns wiedergibt.

Nach einer Einleitung zum methodischen Vorgehen und den Quellen schildert
der Autor die Entwicklung der Zunft im Rahmen der politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts. Trotz massiven Auseinandersetzungen mit den Liberalen gelang es der Burgergemeinde und den burgerlichen Zünften, wesentliche materielle Güter und gewisse Privilegien ins Industriezeitalter hinüberzuretten. In zwei zentralen Kapiteln untersucht Schläppi die soziale Zusammensetzung der Zunftangehörigen und die Einburgerungspolitik. Dabei zeigt sich, dass die Schmiedenzunft ganz klar von Angehörigen der Oberschicht dominiert wird. Anhand der Analyse der Einburgerungen wird deutlich, dass vorwiegend erfolgreiche Zuzüger eingeburgert wurden, die in der bernischen Wirtschaft, in der Forschung oder im Bildungswesen Ausserordentliches geleistet hatten. Nach diesen stark quantitativ orientierten Kapiteln widmet sich Daniel Schläppi der Mentalität, der Organisationsstruktur, dem Finanzwesen, dem Fürsorge- und Vormundschaftswesen sowie dem geselligen Leben der Schmiedenzunft. Damit entsteht auch für Aussenstehende ein interessantes Porträt dieser Gesellschaft.

Einer der zentralen Abschnitte des Buches, der auch den Titel «Zwischen Tradition und Moderne» rechtfertigt, versteckt sich im Kapitel zum Finanzwesen. Auf gut zehn Seiten schildert der Autor die Geschichte der Zunftliegenschaft. Vor dem Bahnzeitalter lag das Gebäude etwas peripher an der Markt- und Zeughausgasse. Mit dem Bau der Eisenbahn und der Tramlinien ins Kirchenfeld und in den Breitenrain wurde die Altstadt oberhalb des Zeitglockenturms zum Geschäftszentrum, wo die Bodenpreise exponentiell anstiegen. Vor dem Ersten Weltkrieg beschloss die Zunft, das denkmalgeschützte Vorderhaus an der Marktgasse niederzureissen und an seiner Stelle ein neues Geschäftshaus hochzuziehen. Die Räume vermietete man einem Warenhaus, was damals einen Affront gegenüber dem lokalen Gewerbe darstellte. Mit diesen Entscheiden gegen traditionelle Werte vollzog die Zunft einen Mentalitätswandel. Sie packte die Chance, ihre Rendite aus der Zunftliegenschaft zu optimieren, und verfolgte damit eine kapitalistische Anlagestrategie. Dadurch wurden die Erträge aus der Liegenschaft zum wichtigsten Einnahmeposten und sicherten den finanziellen Spielraum der Zunft bis heute. Dass nicht alle Zünfte sich den neuen Gegebenheiten anzupassen wussten, zeigt das Beispiel der Zunft zu Webern. Diese verkaufte 1911 ihre Liegenschaft an der Marktgasse und erwarb dafür ein Haus an der Gerechtigkeitsgasse, wo die Erträge langfristig gesehen viel geringer waren. Dieser Rückzug an die zentrale Gasse des Ancien Régime leitete den ökonomischen Abstieg der Webernzunft ein.

Die Entscheidungen, sich der Moderne zu öffnen, wurden stark von führenden Persönlichkeiten innerhalb der Schmiedenzunft geprägt. Da die Zunftgremien alle ehrenamtlich besetzt waren, boten sie auch einen Gestaltungsspielraum für Männer, die sich in diesen leitenden Positionen engagierten. Da die Schmieden im Vergleich zu anderen Zünften relativ viele neue Familien in ihre Reihen aufnahm, erstaunt es nicht, dass neue Ideen hier leichter eine Mehrheit fanden.

Wer sich mit bernischer Gesellschaftsgeschichte befasst, erhält von Daniel Schläppi sehr viel neues Material präsentiert, das bisher noch nicht aufgearbeitet wurde. Er schliesst auf einer Mikroebene an die Publikation von Albert Tanner über das Bürgertum in der Schweiz im 19. Jahrhundert an. Wer einen schnellen Überblick erhalten möchte, ist angesichts der Materialfülle vielleicht etwas überfordert. Immerhin hat Schläppi einen grossen Teil der Zusatzinformationen in die Fussnoten verbannt, die oft ungefähr einen Drittel der Buchseiten einnehmen. Das Register und das detaillierte Inhaltsverzeichnis ermöglichen aber trotzdem ein gezieltes Auffinden von Informationen über Personen, Ereignisse und Entwicklungen.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Schläppi, Daniel: Die Zunftgesellschaft zu Schmieden in Bern zwischen Tradition und Moderne. Sozial-, struktur- und kulturgeschichtliche Aspekte von der Helvetik bis ins ausgehende 20. Jahrhundert, Bern, Historischer Verein des Kantons Bern, Zunftgesellschaft zu Schmieden, 2001 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 81), 566 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 3, Bern 2002, S. 135f.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 3, Bern 2002, S. 135f.

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