M. Gosteli: Vergessene Geschichte

Titel
Vergessene Geschichte. Illustrierte Chronik der Frauenbewegung 1914–1963


Herausgeber
Gosteli, Marthe; Zürcher, Regula
Erschienen
Bern 2000: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Bähler

Marthe Gosteli, die bekannte Berner Frauenrechtlerin und Gründerin des Gosteli-Archivs, ist die Herausgeberin einer über 1000 Seiten starken illustrierten Chronik der Frauenbewegung 1914–1963 in zwei Bänden. Es handelt sich dabei um eine mit Illustrationen ergänzte Neuauflage der Chroniken der schweizerischen und internationalen Frauenbewegung, die zwischen 1914 und 1963 insgesamt 39-mal im «Jahrbuch der Schweizer Frauen» erschienen sind. Heute sind diese vergriffen und nur noch in einigen Bibliotheken einsehbar.

Die Chroniken der Frauenbewegung wurden von Regula Zürcher sorgfältig und nur sanft redigiert. Da die Originaltexte von verschiedenen Autorinnen stammen und in einem Zeitraum von rund 50 Jahren erschienen sind, ist ihr Erscheinungsbild uneinheitlich. Die Redaktorin nahm deshalb einige Veränderungen vor, die allerdings nur formale Aspekte betreffen, nicht aber den Inhalt. Damit bleiben uns die Chroniken als Quellentexte erhalten. Das vorliegende Werk ist jedoch weit mehr als eine simple Quellenedition. Nummerierte Anmerkungen und eckige Klammern enthalten Zusatzinformationen und Erklärungen der Redaktorin. Die Stichwörter in der Marginalienspalte, das Orts- und Länderregister sowie das Namenregister am Schluss des zweiten Bandes erleichtern die Suche nach bestimmten Personen und Themen. Allerdings fehlt ein Sachregister, das es erlauben würde, Themen wie zum Beispiel die Haltung der Frauenbewegung zur Abtreibungsfrage ohne längeres Suchen zu verfolgen. Die vielen interessanten Illustrationen, die den Quellentexten beigefügt und mit spannenden Legenden versehen wurden, lassen die zwei Bände zu einem äusserst anregenden Lesebuch werden.

Die Chroniken behandeln ein weites Themenspektrum, welches die Frauenbewegung damals und zum Teil noch heute beschäftigt. Im Zentrum steht – wie könnte es anders sein – der Kampf um die fehlenden politischen Rechte. Immer wieder werden Vorstösse von Männern auf parlamentarischer Ebene, Aktivitäten von Frauengruppen und -vereinen in den verschiedenen Regionen der Schweiz zur Erlangung des Stimm- und Wahlrechts beschrieben, diesbezügliche Strategien diskutiert und Zwischenbilanz gezogen. So zum Beispiel in der Chronik von 1945/46: «Echt schweizerische Vielfalt spiegelt sich im abgestuften Vorgehen, im differenzierten Fordern, das sich dem örtlich Gegebenen und Möglichen anpasst. In einigen Kantonen geht man aufs Ganze los, auf die volle politische Gleichberechtigung der Frau, so in beiden Basel, Genf, St. Gallen, Zürich und im Wallis. In andern begnügt man sich für den Anfang mit einem partiellen oder Gemeindestimmrecht, wieder andernorts will man mit einem aktiven und passiven Wahlrecht der Frau beginnen. Als ‹Meisterinnen in der Beschränkung› erweisen sich die Bernerinnen: sie arbeiten auf ein bloss fakultatives Gemeindestimmrecht hin.»

Auch weitere Fragen nehmen einen wichtigen Platz in den Chroniken ein, so zum Beispiel die Forderung der Lohngleichheit für Mann und Frau, die Probleme des «Doppelverdienertums» und der Frauenerwerbsarbeit ganz allgemein, die Mädchenbildung, die Dienstbotenfrage und damit verbunden die hauswirtschaftliche Ausbildung der Mädchen und vieles mehr. Ausserdem nehmen die Autorinnen der Chroniken gelegentlich Stellung zu politischen Vorlagen, wie zum Beispiel zur Einführung der AHV. Immer wieder werden besondere Leistungen von Frauen herausgestrichen, sei es im Sport, in der Wissenschaft oder in der Politik. Es ist unmöglich, hier alle Gebiete zu erwähnen, die gestreift werden. Interessant ist es mitzuverfolgen, welche Themen wann Hochkonjunktur hatten. Kurz, die Chronik der Frauenbewegung ist eine Fundgrube für alle, die sich für die Frauengeschichte des 20. Jahrhunderts interessieren.

Zitierweise:
Anna Bähler: Rezension zu: Gosteli, Marthe; Zürcher, Regula (Hrsg.): Vergessene Geschichte. Illustrierte Chronik der Frauenbewegung
1914–1963, Bern, Stämpfli, 2000, 1062 S., ill.. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 4, Bern 2000, S. 203f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 4, Bern 2000, S. 203f.

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