K. Utz: Waldenser, Hexen und Rebellen

Titel
Waldenser, Hexen und Rebellen. Biographien zu den Waldenserprozessen von Freiburg im Üchtland (1399 und 1430)


Autor(en)
Utz Tremp, Katrin
Reihe
(Freiburger Geschichtsblätter. Sonderband)
Erschienen
Freiburg i.Ü.: 1999: Academic Press
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Martin Zahnd

Ende 1403 berichtet der berühmte Wanderprediger Vinzenz Ferrer in einem Brief an seinen Oberen, er sei von Bischof Guillaume de Menthonay eingeladen worden, in der Diözese Lausanne zu predigen, weil es in den Tälern des savoyisch-alemannischen Grenzgebietes viele Häretiker gebe, die es auf den rechten Glaubenspfad zurückzuführen gelte. Ob damit ausdrücklich der Raum Freiburg angesprochen worden ist, lässt sich nicht entscheiden; bemerkenswert ist aber doch, dass es 1399, 1429, 1430 und 1437 in Freiburg zu Inquisitionsprozessen gekommen ist, die sich hauptsächlich mit Fragen der (waldensischen) Häresie befasst haben. Mit diesen Prozessen, mit den beauftragten Inquisitoren Humbert Franconis (1399) und Ulrich von Torrenté (1429/30), den Angeklagten, dem städtischen und ländlichen Umfeld und mit den strittigen Glaubensfragen befasst sich seit vielen Jahren Kathrin Utz Tremp. Noch in diesem Jahr soll bei den «Monumenta Germaniae Historica» in München ihre Edition der erhaltenen Prozessakten von 1430, der zusammenfassenden Schlussurkunde von 1399 und der einschlägigen Freiburger Seckelmeisterrechnungen mit Hinweisen auf die Prozesse der Jahre 1429, 1430 und 1437 erscheinen.

In Zusammenhang mit ihrer Arbeit an diesen Prozessmaterialien hat nun Kathrin Utz Tremp eine Fülle von Informationen zu den 108 als mutmasslichen Häretikern von der Inquisition Befragten (61 Männer, 47 Frauen) zusammengetragen, hat sie identifiziert und für alle auf Grund akribischer Recherchierarbeit in Notariatsregistern, Bürgerbüchern, Seckelmeisterrechnungen und weiteren Quellen eigentliche Biografien oder zumindest Biografieausschnitte erstellt. Diese 108 Biografien machen nach einer kurzen Einleitung (S. 13–24) den Hauptteil (S. 25–591) des vorliegenden Buches aus, dessen Informationsfülle durch eine umfangreiche Bibliografie (S. 593–600) in einen grösseren Forschungszusammenhang eingebettet und durch ein detailliertes Orts- und Personenregister (S. 601–663) erschlossen wird.

Spätestens seit Emmanuel LeRoy Laduries Publikation über die Bevölkerung Montaillous im frühen 14. Jahrhundert ist den Historikern klar geworden, wie wichtig es ist, die Lebenswirklichkeit auch der «kleinen» Leute zu thematisieren, und wie wertvoll für derartige Unternehmungen gerade Prozessunterlagen (also beispielsweise Inquisitionsakten) sind. So liefert uns denn auch Kathrin Utz Tremp mit ihren 108 Biografien einen detailreichen Einblick in den Alltag von Freiburgern (vornehmlich aus der Stadt Freiburg selber), der, abgesehen von allen kirchenrechtlichen und kirchengeschichtlichen Fragestellungen, Menschen in ihren familiären, geselligen, wirtschaftlichen und kulturellen Einbindungen erkennen lässt, welche der Historiker sonst kaum wahrnimmt. Denn die Menschen, die sich 1399 und 1430 vor der Inquisition zu verantworten hatten, waren nicht in erster Linie Ketzer, sondern vorerst einmal ganz einfach gewöhnliche Freiburgerinnen und Freiburger. Ihre «waldensische Häresie» beschränkte sich denn auch weitgehend auf die Leugnung des Fegefeuers und der sich daraus herleitenden Ablehnung von Stiftungen zu Gunsten Verstorbener. Interessant ist die breite soziale Streuung der Befragten: Neben kleinen Handwerkern und deren Frauen mussten sich auch Ratsherren, Inhaber von städtischen Ämtern, erstaunlich viele Kaufleute, ja selbst der Stadtpfarrer Wilhelm Studer und seine Geschwister vor den geistlichen Richtern verantworten. Bemerkenswert ist zudem, dass der Ausgang der beiden Prozesse nicht so ganz mit der landläufigen Vorstellung über das Wirken der Inquisition übereinstimmen will: Abgesehen davon, dass die Inquisition im Bistum Lausanne genau besehen erst mit diesen Rechtsfällen installiert worden ist (!), wurde im Prozess von 1399, der gleichsam als Ausläufer des Berner Waldenser-Prozesses des gleichen Jahres angesehen werden kann, niemand verurteilt, es wurden keine Strafen verhängt. Und auch im Prozess von 1430 wurde der grösste Teil der (meist auf Grund von Denunziationen) Angeklagten freigesprochen, bei vielen verlief sich die Sache im Sande; mehrere hatten Bussen von 10 bis 500 Pfund an die Stadtkasse zu entrichten, einige wenige erhielten Gefängnisstrafen (maximal zwei Jahre) und ein einziger (Peter Sager) wurde 1430 als Rückfälliger zum Tode verurteilt, weil er zwar im Berner Prozess von 1399 der Häresie abgeschworen hatte, danach aber zur alten waldensischen Ketzerei zurückgekehrt war.

Insgesamt legt Kathrin Utz Tremp eine Fülle von genauestens belegtem prosopografischem Material vor, das nicht nur der angekündigten Edition der Prozessakten das notwendige farbige Alltagsrelief verleihen wird, sondern darüber hinaus zu eigenständigen sozial-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Studien anregt. Das Buch ermöglicht neue Zugänge zum spätmittelalterlichen Freiburger Alltag – dafür ist zu danken!

Zitierweise:
Urs Martin Zahnd: Rezension zu: Utz Tremp, Kathrin: Waldenser, Hexen und Rebellen. Biographien zu den Waldenserprozessen von Freiburg im Üchtland (1399 und 1430), Freiburg i.Ü., Universitätsverlag, 1999 (Freiburger Geschichtsblätter. Sonderband), 663 S. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 4, Bern 2000, S. 195f.

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Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 4, Bern 2000, S. 195f.

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