J. Stadelmann: «Concentrationslager» Büren an der Aare 1940– 1946

Cover
Titel
«Concentrationslager» Büren an der Aare 1940– 1946. Das größte Flüchtlingslager der Schweiz im Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Stadelmann, Jürg; Krause, Selina
Erschienen
Baden 1999: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
Preis
€ 34,77
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Susanna Bühler

Der Buchumschlag schockiert: Baracken und ein Wachturm, wie man es von Fotos deutscher Konzentrationslager kennt, und dann der Titel: «Concentrationslager» Büren an der Aare 1940–1946. Tatsächlich liess die Armee 1940 im Seeland ein umzäuntes Lager mit 120 Baracken für 6000 Menschen, konkret polnische Internierte, errichten. In der Namensgebung und dem Bauplan richtete man sich wohl nach deutschem Vorbild, wobei die Schweizer Behörden zu diesem Zeitpunkt den Begriff «Concentrationslager» nicht mit einem Vernichtungslager in Zusammenhang brachten, sondern mit Gefängnissen und Arbeitslagern. Da die Internierten an der Flucht gehindert werden mussten, lag ein gefängnisähnliches Konzept nahe. Es zeigte sich rasch, dass ein solches Grosslager eine Fehlkonstruktion war. Der Raum war viel zu eng, die hygienischen Verhältnisse waren schlecht, und vor allem hatte man keine Beschäftigung für die Insassen vorgesehen, was sich auf die Stimmung verheerend auswirkte und eine Meuterei auslöste. Im März 1942 wurde das Lager als militärisches Interniertenlager aufgegeben. Den Höchststand an Insassen hatte es im März 1941 mit 3500 Mann erreicht. Trotz der schlechten Erfahrungen wurde es auch in den folgenden Kriegsjahren immer wieder notfallmässig als Flüchtlingslager verwendet. Auf die polnischen Internierten folgten jüdische Zivilflüchtlinge, dann italienische Militärflüchtlinge und schliesslich nach Kriegsende russische Heimkehrverweigerer.

Im Lager in Büren an der Aare waren schätzungsweise 7000 bis 8000 Personen einquartiert; es war das grösste und am längsten benutzte Flüchtlingslager der Schweiz. Dennoch ist es im kollektiven Bewusstsein kaum mehr präsent. Das vorliegende Buch holt die Erinnerung zurück. Dem Autorenteam ging es in erster Linie darum, den konkreten Lageralltag zu dokumentieren, zu fragen, wer die Insassen waren, aber auch, wie sich die Bewacher und Lagerleiter verhielten und wie die ansässige Bevölkerung reagierte. Dementsprechend beschränken sich die Informationen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund auf das Notwendige und es wurde darauf verzichtet, Sekundärliteratur einzubeziehen. Die Darstellung stützt sich auf umfangreiche Primärquellen, unter anderem Augenzeugenberichte von Lagerinsassen sowie von Bewachern und Personen aus dem Städtchen. Sehr reich ist das Fotomaterial. Da die Quellenlage zur «Polenlager»-Zeit am besten ist, wird diese Phase am detailliertesten behandelt. Entstanden ist eine anschauliche Dokumentation, die ein breites Publikum anspricht und auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Das Autorenteam bleibt erfreulicherweise nicht in der Beschreibung stecken, sondern bemüht sich in den zusammenfassenden «Schlussbemerkungen» auch um eine Beurteilung. Die Bilanz ist nicht nur, aber eher negativ. Auch unter Berücksichtigung der Zeitumstände muss das Lager als Fehlleistung bezeichnet werden. Sicher hatten die Verantwortlichen keinerlei böswillige Absichten, doch führte das Fehlen jeglichen psychologischen Einfühlungsvermögens zu unangepasster Behandlung der Flüchtlinge. Für unsere Zeit bleibt mitzunehmen, dass die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen ohne Beschäftigung höchst problematisch ist.

Zitierweise:
Susanna Bühler: Rezension zu: Stadelmann, Jürg; Krause, Selina: «Concentrationslager» Büren an der Aare 1940–1946, Baden, hier+jetzt, 1999, 134 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 3, Bern 2000, S. 119.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 3, Bern 2000, S. 119.

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