Ch. Stuber: «Eine fröhliche Zeit der Erweckung für viele»

Titel
Eine fröhliche Zeit der Erweckung für viele. Quellenstudien zur Erweckungsbewegung in Bern 1818–1831


Autor(en)
Stuber, Christine
Reihe
Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie, 69
Erschienen
Bern 2000: Peter Lang/Bern
Anzahl Seiten
Preis
€ 71,20
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Robert Barth, Stadt- und Universitätsbibliothek

«Die Berner Erweckungsbewegung ist in der Geschichtsschreibung immer wieder dargestellt worden», stellt die Verfasserin gleich zu Beginn fest und fasst denn auch alle wesentlichen Ereignisse aufgrund der ersten diesbezüglichen Abhandlung von Albert Immer (1870) zusammen. Lohnt sich da eine weitere Arbeit über den – modern gesprochen – «evangelikalen Flügel» des bernischen Protestantismus? Immerhin ist dieser Bereich namentlich dank den Arbeiten von Rudolf Dellsperger und Andreas Lindt der weitaus am besten erforschte Teil des bernischen Protestantismus vom Ende des 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die Fakten sind bekannt: Der aus Genf stammende Prediger Antoine Jean-Louis Galland wirkt 1816–1824 in Bern und löst eine Erweckungsbewegung aus, zu der übrigens auch die 1817 aus dem Kanton ausgewiesene Juliane von Krüdener beiträgt. Galland ist in allen Schichten erfolgreich, er zieht namentlich auch Frauen an. Privatandachten blühen zuerst in der Stadt, dann in Landgemeinden auf. Eine Minderheit will nur noch «in Gemeinschaft der Heiligen», nicht aber «mit Hurern und Ehebrechern das Abendmahl geniessen» und gründet 1828 eine eigene religiöse Gemeinschaft, die «Eglise de Dieu». Was zwei Jahre später unter der Regenerationsverfassung möglich gewesen wäre, lässt die Obrigkeit in der Restauration nicht zu: 1829 verurteilt der Geheime Rat 21 Dissidenten. Die Kantonsfremden werden ausgewiesen, die andern in ihre Heimatgemeinde im Kanton geschickt, vier Bernburgerinnen verwarnt und, da sie sich uneinsichtig zeigen, unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Zum letzten Mal ist hier die Berner Staatsgewalt der Staatskirche mit juristischen Massnahmen zur Erhaltung ihres Monopols zu Hilfe geeilt.

Christine Stuber zieht «viele bislang unbekannte handschriftliche und gedruckte Quellen» bei, rollt den Fall neu auf und will ihre Ergebnisse mit denjenigen der neueren Forschung vergleichen (namentlich von Erich Beyreuther, Max Geiger, Ulrich Gäbler und Peter van Rooden). Die Autorin fasst vorerst Ereignisse und Strömungen in Grossbritannien, Genf und Basel zusammen, welche die Erweckung in Bern beeinflusst hatten. Sie beschreibt aber auch Bewegungen, welche der eigentlichen Erweckung in den bernischen Territorien vorausgehen. Tatsächlich war ja das Terrain unter anderem durch die Herrnhuter Brüdersozietät, die Heimberger Brüder, die Freunde der Christentumsgesellschaft sowie durch die Traktat- und Bibelgesellschaft vorbereitet.

Den eigentlichen Kern der Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit der Theologie der wichtigsten Vertreter der Erweckungsbewegung, wobei natürlich die Ekklesiologie, die Lehre von der Kirche, im Zentrum steht. Damit kann auch die eingangs gestellte Frage positiv beantwortet werden. Dargestellt werden vorab Antoine Jean-Louis Galland, dann aber auch Auguste Schaffter, Jeremias Lorsa, Ami Bost und Karl von Rodt. Weitere Akteurinnen und Akteure der Erweckungsbewegung werden sehr detailliert vorgestellt.

In einem Nachwort wird Bilanz gezogen. Dies freilich geschieht nicht immer zur vollen Befriedigung des bis dahin geduldigen Lesers. Werden zuvor biografische Details manchmal sehr breit ausgelegt, so wird die Arbeit nun plötzlich etwas kurzatmig:Dem «Vergleich mit dem Pietismus» wird gerade noch eine gute Seite zugestanden; zwei Seiten müssen für den «Vergleich mit der neueren Forschung» genügen. Und dieser befriedigt nicht ganz: Es kommt zu keiner richtigen Auseinandersetzung mit den in Kapitel I,3 präsentierten Vertretern der neueren Forschung. Es gäbe zudem noch einige andere Exponenten, die sich für Vergleiche angeboten hätten, wie ein Blick in die Enzyklopädie Deutscher Geschichte (Bd. 48: Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, von Gerhard Besier. München, 1998, S. 86ff.) zeigt. Mindestens Wolfgang Schieder mit seinen wichtigen Beiträgen zur Geschichte der Erweckungen und des Vereinsprotestantismus hätte noch beigezogen werden müssen. Die Dissertation schliesst mit rund 60 hilfreichen Kurzbiografien und gut 30 Seiten Quellentexten.

Trotz diesen kritischen Bemerkungen soll die eigentliche Leistung der Autorin nochmals hervorgehoben sein: Waren bisher die äusseren Fakten der Erweckungsbewegung der Jahre 1818–1831 weitgehend bekannt, so hat Christine Stuber die theologische Motivation einer grossen Zahl von damaligen Akteuren herausgearbeitet und dabei in aufwändiger Kleinarbeit biografisches Material zusammengetragen.

Mit dieser im Kern theologiegeschichtlichen Arbeit wird eine weitere Facette des «evangelikalen Flügels» im Berner Protestantismus des 19. Jahrhunderts beleuchtet. Bei dieser Gelegenheit darf man aber auch einmal anmerken, dass die übrigen Bereiche der Geschichte der evangelisch-reformierten Kirche der Stadt Bern in den vergangenen 200 Jahren weitgehend unerforscht sind: so zum Beispiel die Entwicklung der kirchlichen Strukturen in einer rasch wachsenden Stadt, die Auseinandersetzung mit neuen Bevölkerungsgruppen und neuen kirchlichen Gemeinschaften sowie Probleme der Entkirchlichung und Säkularisierung. Die beiden grossen Arbeiten von Kurt Guggisberg (Bernische Kirchengeschichte. Bern, 1958; Bernische Kirchenkunde. Bern, 1968) sind auf den ganzen Kanton fokussiert und geben auf diese Fragen keine näheren Auskünfte. Fast alle anderen in der Stadt Bern ansässigen Denominationen haben eine Darstellung ihrer Geschichte – darunter seit 1999 namentlich auch die römisch-katholische Kirche (Boesch, Angelika et al.: Katholisch Bern von 1799 bis 1999. Bern, 1999). Für die reformierte Stadtkirche fehlen selbst die Grundlagen dafür. Ein erstaunlicher Befund angesichts von zwei theologischen Fakultäten und einem historischen Institut an der hiesigen Universität!

Zitierweise:
Robert Barth: Rezension zu: Stuber, Christine: «Eine fröhliche Zeit der Erweckung für viele». Quellenstudien zur Erweckungsbewegung in Bern 1818–1831, Bern, Peter Lang, 2000 (Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie, 69). Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 3, Bern 2000, S. 115f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 62, Nr. 3, Bern 2000, S. 115f.

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