Buchpreis: Essay Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit

Von
Lars Behrisch

Essay von Lars Behrisch, Stefan Gorißen und Karin Gottschalk, Universität Bielefeld

Nur alte Hüte in der Frühneuzeitforschung? Wenn man sich die Themen der für den Buchpreis von H-Soz-u-Kult ausgewählten Titel ansieht, könnte man meinen, das Innovationspotential des Faches sei erschöpft. Die ausgewählten Titel bieten, was man von je her von der Frühneuzeitforschung erwartet: Sie beschäftigen sich mit den Themenfeldern Politik, Religion und Ökonomie. Aber es lohnt sich, genauer hinzusehen. Die Perspektive ist kulturgeschichtlich bereichert und differenziert – es geht, mit anderen Worten, um eine Kulturgeschichte der Politik, der Religion und des Konsums. Dabei ist der kulturgeschichtliche Blick bereits so geschärft, dass zunehmend Synthesen versucht werden.

Das Buch von Timothy C. W. Blanning zur „Kultur der Macht und Macht der Kultur“ war in der Originalversion bereits vor fünf Jahren auf der Bestenliste des H-Soz-u-Kult-Buchpreises. Es handelt sich um eine vergleichende Kulturgeschichte der Macht in Großbritannien, Frankreich und Deutschland (vor allem Österreich und Preußen). Dabei geht es zum einen, ganz in Habermas’ Sinne, um die Entstehung einer politischen Öffentlichkeit und um den Niedergang des (französischen) Absolutismus. Zum anderen – und in Verbindung damit – geht es um die Entstehung nationaler Identitäten. Blanning macht in seinen Ausführungen, um den H-Soz-u-Kult-Rezensenten zu zitieren, „mit der kulturgeschichtlichen Absicht Ernst […], politische Veränderungen in ihren Abhängigkeiten von kulturellen Veränderungen zu analysieren.“ Seine spezielle Aufmerksamkeit gilt dabei musikgeschichtlichen und musiksoziologischen Zusammenhängen. Etwas kritischer formuliert, gelingt es dem Werk, „die alte Fortschrittsgeschichte aus tausend kulturgeschichtlichen Anekdoten neu zusammenzusetzen“ (Barbara Stollberg-Rilinger in der Süddeutschen Zeitung).

Der Beitrag von Johannes Burkhardt zur neuen Edition des ‚Gebhardt’ trägt den Titel „Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648 – 1763“. Damit ist ein Programm ausgedrückt, das im Rahmen der Diskussion des letzten Jahrzehnts um Natur und Bedeutung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gelesen werden muss: War dieses merkwürdige Staatsgebilde fähig, die Koexistenz verschiedener Teilstaaten zu gewährleisten und Einfluss auf das friedliche Zusammenleben ihrer Einwohner zu nehmen? Burkhardts Antwort fällt deutlich positiv aus. Nicht als Macht- und Kriegsstaat, wohl aber als Rechts- und Friedensstaat war das ‚Alte Reich’ durchaus erfolgreich – und eine Möglichkeit politischer Organisation, die in vieler Hinsicht auch heute noch Vorbild sein kann. Damit leistet die Studie einen Beitrag zur Analyse der politischen Kultur Europas. Das Buch verfolgt sowohl die innere Verfassungs- und Institutionengeschichte des Reiches als auch die äußeren Herausforderungen, vor die es sich gestellt sah und die es – jedenfalls in der behandelten Zeit – zu meistern verstand.

Den ersten Rang vor diesen beiden Synthesen belegt jedoch Thomas Maissens Buch über die "Geburt der Republic". Das "c" am Ende des zentralen Wortes ist Programm: Nicht um ein zeitloses staatstheoretisches Modell "Republik" geht es dem Autor, sondern um die Genese eines republikanischen Staatsverständnisses, die in den zeitgenössischen Gebrauchsweisen und -kontexten des Wortes erkennbar wird. Auf der Grundlage einer historisch-semantischen Analyse vorwiegend verbaler, aber auch zeremonieller und bildlicher Repräsentationen von "Republic" arbeitet Maissen einen Wandel des politischen Selbstverständnisses der Eidgenossenschaft im 17. Jahrhundert heraus. Trotz dieser Fokussierung auf die Eidgenossenschaft ist die Untersuchung von einer gesamteuropäischen Perspektive geprägt: Es geht um die Positionierung des Freistaates innerhalb Europas, zwischen Reichsgedanken und Souveränitätsidee, um die Ausbildung eines europäischen Völkerrechts. Maissen zeigt dabei, wie weit der "Republicaner" des 17. Jahrhunderts von "Kommunalismus" oder "Republikanismus" entfernt war, und macht deutlich, welche Erkenntnismöglichkeiten eine sprachpragmatische Analyse politischen Vokabulars bietet.

Die Frage nach dem Zusammenhang von Gewalt und Religion steht nicht erst seit dem 11. September 2001 auf der Tagesordnung, gewaltsame Auseinandersetzungen um den rechten Weg gehören zur Geschichte beinahe aller Religionen und Konfessionen. Welche vielfältigen Dimensionen und Problemkreise das Thema beim Blick auf Westeuropa in der Frühen Neuzeit impliziert, führt der von Kaspar von Greyerz und Kim Siebenhüner herausgegebene Band anhand zahlreicher Beispiele vor Augen. Neue, herkömmliche Deutungen revidierende Erkenntnisse werden hier nicht geboten, die eigentliche Leistung des Buches besteht darin, Phänomene wie das Martyrium und den Religionskrieg, die Gotteslästerung und die Inquisition oder das Passionsspiel und Selbstdeutungen unter dem Begriff der „Gewalt“ zusammenzuführen. In dieser aufschlussreichen Perspektivierung liegt der innovative Gehalt des Bandes.

Die historiographische Deutung des Katholizismus in der Frühen Neuzeit erfolgte in den vergangenen Jahrzehnten meist als Differenzbestimmung zu den protestantischen Kulturen. Konzepte wie das der Konfessionalisierung und Disziplinierung oder die Diskussion um Max Webers Protestantismusthese bestimmen den Katholizismus meist als Abweichung vom oder zumindest Reaktion auf den protestantischen Weg in die Moderne. Peter Hersche hat in einer großen zweibändigen Darstellung "Muße und Verschwendung", die es nur knapp nicht unter die Top 5 der Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit gebracht hat, erstmals den faszinierenden Versuch gewagt, ein Bild der europäischen katholischen Kulturen und Gesellschaften unter dem Leitbegriff des „Barock“ zu zeichnen, das den frühneuzeitlichen Katholizismus konsequent aus seinen eigenen Ansprüchen und Perspektiven interpretiert. Hersche führt den Leser nicht nur behutsam in die fremde Welt katholischer Frömmigkeit mit Bruderschaften, Riten und Symbolen, seine große darstellerische Leistung zeigt sich vor allem darin, dass er diese konsequent im Zusammenhang mit materiellen Grundlagen, sozialer Stratifizierung und wissenschaftlichen Orientierungen verknüpft. Der Autor hat sich an eine große Synthese gewagt und damit ein historiographisches Textgenre bedient, um das es in den vergangenen Jahren eher schlecht bestellt war.

Evelyn Welchs "Shopping in the Renaissance" schließlich entwirft ein facettenreiches Bild des Kaufens und Verkaufens in den (groß)städtischen Gesellschaften der italienischen Renaissance. Auf vielfältiger Quellenbasis, die archivalische Dokumente ebenso wie Dichtung und Malerei umfasst, analysiert Welch kulturelle, soziale, ökonomische und kunstgeschichtliche Aspekte. Auf diese Weise gelingt es ihr, Konsumverhalten, obrigkeitliche Aufsicht, Zeiten, Orte und Organisationsformen des Verkaufs, Wertvorstellungen und soziale Netze aufeinander zu beziehen. Welchs Studie leistet nicht allein einen überzeugenden Beitrag zu einer kulturelle und soziale Aspekte integrierenden Wirtschafts- und Konsumgeschichte, sondern nimmt die Renaissance als Epoche des Wandels in den Blick: Jenseits des demografischen Wandels, der Steigerung von Nachfrage und Angebot sowie des Einflusses des Tridentinums macht sie Kontinuitäten vom Spätmittelalter bis zum Massenkonsum der Moderne aus.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2007“ wurden in der Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Maissen, Thomas: Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, Göttingen 2006.
2. Burkhardt, Johannes: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648 - 1763 [Handbuch der deutschen Geschichte / Gebhardt., Bd. 11; hrsg. von Wolfgang Reinhard], Stuttgart 2006.
3. Blanning, Timothy C. W.: Das Alte Europa 1660 - 1789. Kultur der Macht und Macht der Kultur, Darmstadt 2006.
4. Greyerz, Kaspar; Siebenhüner, Kim (Hrsg.): Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen (1500 - 1800), Göttingen 2006. Rezension von Joachim Eibach, 17.08.2007 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-126>.
5. Welch, Evelyn S.: Shopping in the Renaissance. Consumer Cultures in Italy 1400 - 1600, New Haven u.a. 2005.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit, In: H-Soz-Kult, 18.07.2007, <www.hsozkult.de/text/id/texte-916>.
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