Buchpreis: Essay Kategorie Außereuropäische Geschichte

Von
Jürgen Martschukat

Essay von Jürgen Martschukat, Universität Erfurt

„Die USA in der Welt“ – so könnte die diesjährige Siegerliste in der Kategorie „Außereuropäische Geschichte“ in einem Satz beschrieben werden. Unter den fünf bestplatzierten Büchern befasst sich einzig Andreas Eckerts im Fischer-Verlag erschienener Band nicht mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Berliner Afrikahistoriker hat eine schlanke Synthese über den europäischen Kolonialismus ins Rennen geschickt und auf dem vierten Rang platziert. Kolonisation und Dekolonisation markieren ein Themenfeld, das in der historischen Forschung seit einigen Jahren bekanntlich große Aufmerksamkeit erfährt, das Eckert breit und kenntnisreich diskutiert und das auch bei der Vergabe der diesjährigen Spitzenplätze eine zentrale Rolle spielt. Bevor wir uns den ersten drei Rängen zuwenden, sei aber noch das Buch Aristide R. Zolbergs gelobt, das den fünften Platz belegt. „A Nation by Design“ befasst sich zwar ebenfalls mit den USA, behandelt mit der Geschichte der Migration aber einen Gegenstand, der es von den anderen Siegertiteln abhebt. Der New Yorker Politikwissenschaftler und langjährige Migrationsforscher Zolberg hat eine umfassende Studie vorgelegt, die kenntnis- und materialreich die Geschichte der Einwanderung in die USA von der Kolonialzeit bis in das ausgehende 20. Jahrhundert darstellt. Die Arbeit ist als Synthese der bisherigen Forschung angelegt, und sie wird in den kommenden Jahren eine Standardreferenz in der US-amerikanischen Einwanderungsgeschichte sein.

Die Besetzung des „Treppchens“ nun spiegelt die Reaktion der Geschichtsschreibung auf die angespannte internationale Konstellation unserer Gegenwart. Das Verlangen und die Notwendigkeit, das imperiale Drängen der Vereinigten Staaten, deren expansive Politik im Spiegel ihres Selbstverständnisses historisch analysieren und verstehen zu können, findet im Urteil der Jury deutlichen Ausdruck. Sämtliche Arbeiten auf den ersten drei Rängen befassen sich mit den internationalen Beziehungen der USA und erhellen den Blick auf das „American Empire“. Klaus Schwabes Buch über „Weltmacht und Weltordnung“, das auf dem dritten Rang platziert ist, sucht nach einer Synthese der US-Außenpolitik des 20. Jahrhunderts vom Spanisch-Amerikanischen Krieg bis zu George W. Bush – eine klassisch angelegte Studie, die in klarer Form und Periodisierung die USA zwischen globaler Ordnungsmacht und dem Ringen mit den eigenen Prinzipien fasst. Der Aachener Emeritus Schwabe ist einer der Wegbereiter der US-Geschichte in Deutschland und hat seine langjährige Erfahrung als Hochschullehrer und Forscher in das Buch eingebracht – ein „Lebenswerk“, wie Manfred Berg in seiner Rezension für H-Soz-Kult hervorhob.

Charles S. Maiers „Essay“, der von der Jury auf den zweiten Platz gewählt wurde, nennt das Kind dann noch deutlicher beim Namen: „Among Empires“ lautet der Titel des pointierten Buches, das im letzten Jahr bei Harvard University Press erschienen und auch als kritischer Gegenentwurf zu Niall Fergussons pointierten Schriften zu lesen ist. Maier, Historiker an der Harvard Universität, konzentriert sich auf die US-amerikanische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, auf das wachsende internationale Engagement der USA, deren Herausbildung als „Empire“. Wie schon der Titel verrät, setzt Maier das US-Empire zugleich zu andern Imperien in Beziehung, vor allem zu dem römischen und dem britischen, um entsprechend imperiale Herrschaftsstrukturen präziser herausarbeiten zu können. Eliten-Netzwerke, Grenzregime und die Bereitschaft wie Fähigkeit zum Gewalthandeln profiliert Maier als „Empire-Kriterien“ heraus, und er skizziert damit ein Muster, dem die USA unserer Gegenwart in vielerlei Hinsicht entsprechen.

Synthesen unterschiedlicher Machart scheinen derzeit also in der Außereuropäischen Geschichte angesagt zu sein, „große Würfe“, die auf Fragen der Gegenwart zwar nicht unbedingt Antworten geben, aber doch eine Orientierung innerhalb von akuten Problemlagen bieten. Und nimmt man das diesjährige Urteil der Jury zum Maßstab, so scheinen Historiker (und tatsächlich sind auf den ersten neun Plätzen ausschließlich Bücher aus der Feder männlicher Autoren gelistet; erst auf dem zehnten Rang folgt Sabine Dabringhaus’ „Geschichte Chinas“) in der Regel erst dann preisverdächtige Bücher schreiben zu können, wenn sie auf ein langes Forscherdasein zurückblicken.

Umso erfreulicher ist es, dass die Goldmedaille im Jahr 2006 an eine originäre Forschungsarbeit eines noch jungen Historikers geht. Der Gewinner des Wettbewerbs „Außereuropäische Geschichte“ ist in diesem Jahr der Bremer Historiker Marc Frey mit seinem Buch über „Dekolonisation in Südostasien“. Die Studie ist zunächst als Habilitationsschrift an der Universität zu Köln entstanden und dann im Oldenbourg Verlag erschienen. Wie der Untertitel genauer erläutert, analysiert der Autor das Verhältnis der Vereinigten Staaten zur „Auflösung der europäischen Kolonialreiche“. Frey, der an der Jacobs Universität in Bremen forscht und lehrt, fokussiert seine Arbeit nicht nur geografisch (auf Indochina, Indonesien und Malaya), sondern auch zeitlich auf die 1930er- bis 1960er-Jahre. Damit kann er uns detailliert und pointiert vorführen, worauf Eckert in seinem breit angelegten Überblick verwiesen hat: nämlich wie Dekolonisierung und Kolonisierung Hand in Hand gehen, oder präziser: wie die Auflösung der europäischen Kolonialreiche in Südostasien mit der Durchsetzung eines informellen US-amerikanischen Imperialismus einhergingen. Die US-amerikanische Kritik an der europäischen Kolonialherrschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete für die Kolonisierten alles andere als das Ende „westlicher“ Einflussnahme, sondern vielmehr deren Modernisierung und Ausdifferenzierung. Eine Fortschreibung der Kontrolle der nun „unabhängigen“ südostasiatischen Staaten, die aus US-amerikanischer Sicht vor allem vor dem Hintergrund des aufziehenden Kalten Krieges notwendig war, schien andere Strategien als diejenigen zu erfordern, die in der Tradition eines althergebrachten europäischen Kolonialismus standen.

Marc Frey verschränkt asiatische, europäische, und nordamerikanische Geschichte ineinander und zeigt in einer vielschichtigen Analyse deren Interdependenzen wie Wechselwirkungen auf. Sein Buch steht für eine Außereuropäische Geschichte, die global denkt und global argumentiert, und es bleibt zu hoffen, dass es viele weitere Studien inspirieren wird.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2007“ wurden in der Kategorie Außereuropäische Geschichte folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Frey, Marc: Dekolonisierung in Südostasien. Die Vereinigten Staaten und die Auflösung der europäischen Kolonialreiche, München 2006. Rezension von Dirk Sasse, H-Soz-u-Kult, 10.01.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-024>.
2. Maier, Charles S.: Among Empires. American Ascendancy and its Predecessors, Cambridge, Mass. u.a. 2006. Rezension von Anne Friedrichs, H-Soz-u-Kult, 02.03.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=8121>.
3. Schwabe, Klaus: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte, Paderborn u.a. 2006.Rezension von Manfred Berg, H-Soz-u-Kult, 11.08.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-105>.
4. Eckert, Andreas: Kolonialismus, Frankfurt am Main 2006. Rezension von Sebastian Conrad, H-Soz-u-Kult, 06.03.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-154>.
5. Zolberg, Aristide R.: A Nation by Design. Immigration Policy in the Fashioning of America, New York, NY u.a. 2006.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Außereuropäische Geschichte, In: H-Soz-Kult, 20.07.2007, <www.hsozkult.de/text/id/texte-911>.
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