Buchpreis: Essay Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit

Von
Lars Behrisch

Essay von Lars Behrisch und Stefan Gorißen, Universität Bielefeld

Bei der Auswahl der besonders herausragenden Publikationen des Jahres 2005 wurden, mehr noch als im vergangenen Jahr, Arbeiten mit europäischer Reichweite gekürt. Dies drückt sich bereits in der Titelgebung von drei der fünf Spitzenreiter aus: „Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften“, „Herrschaft in Europa“, „Herrschaftsvermittlung im alten Europa“. Keiner der dieses Jahr prämierten Titel ist regionalspezifisch – denn neben den genannten, explizit länderübergreifenden Büchern stehen zwei Arbeiten, die sich geistes- und theoriegeschichtlichen Fragestellungen widmen. Die diesjährigen ‚Sieger‘ sind aber nicht nur räumlich, sondern auch samt und sonders zeitlich übergreifend: Wie ebenfalls bereits in der Titelgebung ausgedrückt, greifen sie meist ins Mittelalter aus – in zwei Fällen führte dies sogar zur Doppelplatzierung in beiden epochalen Kategorien der Bestenliste.

Doch damit nicht genug mit den Gemeinsamkeiten der ausgewählten Bücher. So ist das in der Bestenliste insgesamt auffällige Interesse an Sammelbänden im Bereich der Frühen Neuzeit besonders ausgeprägt. Darin drückt sich ein allgemeines Bedürfnis nach Internationalität der Forschung ebenso aus wie die Neugier an Interdisziplinarität – wie sie natürlich auch der Arbeit des Ägyptologen Jan Assmann zu Mozart zuzubilligen ist. Schließlich ist zumindest den ersten drei prämierten Titeln der Anspruch gemeinsam, einen weiten Leserkreis zu erreichen. Dafür stehen denn auch schnittige Titel: Wer greift nicht neugierig nach einem Buch, das „Zungen wie Schwerter“ oder „Die Macht des Königs“ heißt?

Inhaltlich ist die Konzentration auf die politische Geschichte unverkennbar, genauer auf die Kulturgeschichte von Politik und Herrschaft: Eine solche Kulturgeschichte kann an der monarchischen Spitze ansetzen, aber auch die Mechanismen der Umsetzung und Vermittlung von Herrschaft auf der Ebene der Verwaltung zum Gegenstand haben. Den Möglichkeiten einer Kulturgeschichte des Politischen geht auch der Versuch einer multiperspektivischen Neubewertung des Werks von Norbert Elias nach – mit dem Anliegen, dessen kultursoziologische Betrachtung des Hofes kritisch zu aktualisieren.

Auf den ersten Platz gesetzt wurde jedoch die Untersuchung von Gerd Schwerhoff zur „Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften“. Auch hier handelt es sich um ein Musterbeispiel moderner Kulturgeschichte – einer Kulturgeschichte des Religiösen, die rechts-, theologie- und sozialgeschichtliche Fragestellungen und Erkenntnisse einerseits nicht ausblendet, andererseits aber auch nicht bei ihnen Halt macht. Die vielfältige Art und Weise, wie Männer und Frauen mit religiösen Werten und Symbolen umgingen, ist für den Autor auch ein Schlüssel zur Erschließung ihrer Ängste und Hoffnungen, ihrer Konflikte und ihrer semantischen Potentiale. Prämiert wurde das Buch allerdings auch deshalb, weil Schwerhoff für sein Thema eine Syntheseleistung mit einem umfassenden zeitlichen und räumlichen Horizont erbracht hat, die zweifelsohne in absehbarer Zeit nicht eingeholt werden wird.

Bernhard Jussen ist es gelungen, in einem Band zahlreiche Stationen der monarchischen Herrschaft über mehrere Jahrhunderte hinweg, ja womöglich die „Weg- und Wendemarken in der Entwicklung des europäischen Königtums“ zu markieren. Politik-, kultur- und sozialgeschichtliche Fragestellungen stehen auch hier in enger und fruchtbarer Wechselbeziehung: Nur so kann das komplexe Verhältnis der Herrscher zu ihren Verwandten, zu unterschiedlichen sozialen Gruppen und zu den politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Institutionen der Zeit angemessen analysiert und beschrieben werden. Die überwiegende Zahl der Beiträge bezieht sich auf das Mittelalter und nur vier auf die Frühe Neuzeit im engeren Sinne, was den Wert der Platzierung zusätzlich unterstreicht.

Wie die beiden zuletzt genannten Arbeiten wählt auch der von Stefan Brakensiek und Heide Wunder herausgegebene Band zur „Herrschaftsvermittlung im alten Europa“ die Strategie, exemplarische Aspekte der Thematik auszuleuchten, um einer umfassenden vergleichenden Geschichte der Verwaltungskultur im frühneuzeitlichen Europa den Weg zu weisen. Die Beiträge des Bandes zeigen, dass die moderne Historiographie der Verwaltung das staubige Image ihrer Vorgänger endgültig abgeschüttelt hat: Nicht die Hierarchie der Institutionen, nicht die Segmentierung der Verwaltungsaufgaben, nicht die Prozeduren der Beamtenbestallung stehen im Vordergrund. Die Kulturgeschichte der Verwaltung nimmt diese Wissensbestände auf, doch sie verbannt sie in die Fußnoten, und fragt, wie Staaten und Städte, Herrschaftsverbände und Kommunen im Inneren funktionierten, wie sie kommunizierten und sich in ihre Umwelt integrierten – und wie sie von dieser wahrgenommen wurden.

Den Wert eines „Klassikers der Kulturwissenschaften“ für die kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung neu auszuloten, diese Aufgabe hat sich der mit interdisziplinärem Zuschnitt operierende, von Claudia Opitz herausgegebene Band „Höfische Gesellschaft im Zivilisationsprozeß“ gesetzt. Auch wenn Elias’ modernisierungstheoretisch aufgeladene Interpretation der „Höfischen Gesellschaft“ von der Forschung zwischenzeitlich in manchem Punkt überwunden wurde, so zeigen mehrere der hier versammelten Beiträge doch eindrücklich, dass seine Begriffe „Figuration“ und „Interdependenz“, die die Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Individuum markieren, noch heute die Forschung zu inspirieren vermögen.

In eine andere thematische Richtung weist Jan Assmanns Studie zur „Zauberflöte“, erschienen aus gegebenem kalendarischen Anlass. Der Autor weist sich hier als Kenner der Musik und ihrer Geschichte aus, bietet aber vor allem eine neue Form der Geistes- und Religionsgeschichte der Musik, wenn er Mozarts Oper und Musik in das Dreieck Ägyptenromantik – Mysterienspiel – Freimaurerei stellt. Sein Begriff der „Mythopolitik“ bietet ein über den Fall Mozart hinausreichendes Interpretationsangebot zum aufgeklärten Absolutismus, das die in den letzten Jahren so oft herausgestellte Bedeutung von Symbolen, Riten und Mythen für Machanspruch und Herrschaftswillen frühneuzeitlicher Herrscher in einem eingängigen Konzept bündelt.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2006“ wurden in der Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Schwerhoff, Gerd, Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650, Konstanz 2005. Rezension von Christian Jaser, in: H-Soz-u-Kult, 04.07.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7346>.
2. Assmann, Jan, Die Zauberflöte. Oper und Mysterium, München 2005. Rezension von Reinhard Mehring, in: H-Soz-u-Kult, 17.11.2005 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7075>.
3. Jussen, Bernhard (Hrsg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005. Rezension von Barbara Stollberg-Rilinger, in: H-Soz-u-Kult, 11.09.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7419>.
4. Opitz, Claudia (Hrsg.), Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozess. Norbert Elias' Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln 2005. Rezension von Jan Hirschbiegel, in: H-Soz-u-Kult, 18.11.2005 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=5288>.
5. Brakensiek, Stefan; Wunder, Heike (Hrsg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln 2005. Rezension von Gerd Schwerhoff, in: H-Soz-u-Kult, 07.10.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7140>.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Geschichte der Frühen Neuzeit, In: H-Soz-Kult, 19.07.2006, <www.hsozkult.de/text/id/texte-783>.
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