HistLit 2005-4: Kategorie Publikumspreis

Von
Rüdiger Hohls

Essay von Rüdiger Hohls, Humboldt-Universität zu Berlin

In der jungen Geschichte des Wettbewerbs „Das historische Buch“ hatten die Leserinnen und Leser von H-Soz-u-Kult im Sommer dieses Jahres zum dritten Mal die Qual der Wahl bei der Bestimmung der Preisträger in der Kategorie Publikumspreis. Während die Jury-Ergebnisse in zehn Epochen und thematische Bereiche aufgegliedert sind, galt es für die Subskribenten aus einem Pool von über 360 Büchern die fünf persönlichen Favoriten unter den historischen Fachbüchern des vergangenen Jahres auszuwählen. Vermutlich stellt dies eine große Hürde für viele Leserinnen und Leser dar, denn nur wenige werden die Neuerscheinungen in der dargebotenen thematischen und epochalen Breite im Blick haben. Die Voten der Subskribenten, die sich am Wettbewerb beteiligt haben, verteilen sich wohl daher auf eine große Zahl von Publikationen; die Bücher der Spitzengruppe liegen jedoch vergleichsweise eng beieinander.

Das diesjährige Ergebnis stellt für mich eine Überraschung dar, denn in den beiden vorangegangenen Wettbewerbsjahren reüssierten beim Publikumspreis – ganz im Einklang mit den Trends im Feuilleton der Tagespresse und in den elektronischen Medien – immer Bücher, die sich mit der Geschichte der NS-Diktatur, des Faschismus, des Holocausts oder mit der Erinnerungskultur und –politik hinsichtlich dieser dunklen Jahre der deutschen Geschichte beschäftigten.1 Anders in diesem Jahr: Zwei der prämierten Monografien beschäftigen sich mit der Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert (Platz 1: Christoph Marx: Geschichte Afrikas; Platz 3: Dirk van Laak: Imperiale Infrastruktur); auf Platz 4 landete die Druckfassung der Dissertation von Astrid M. Eckert, die dafür auf dem Kieler Historikertag 2004 mit dem Hedwig-Hintze Preis des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands ausgezeichnet wurde. Darin untersucht sie die Politik der westlichen Besatzungsmächte bei der Rückgabe deutschen Archivguts nach dem Zweiten Weltkrieg. Ebenfalls auf Platz 4 landete der Essayband „Der Schein der Person“ des Mediävisten Valentin Groebner, der sich mit Identifizierung, Identität und Kontrolle im Europa des Mittelalters beschäftigt. Auf Platz 2 komplettiert das „Kompendium Kulturgeschichte“ von Ute Daniel, dessen Erstauflage schon im Jahr 2001 erschien, als Kulturgeschichte noch das Schlüsselwort historiografischer Debatten war und für die Öffnung gegenüber kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen stand, das Sieger-Quintett.

Die Bewertung der Leserinnen und Leser von H-Soz-u-Kult deckt sich in diesem Jahr auffällig mit der der Jurorinnen und Juroren. Außereuropäische Geschichte, Welt- und Globalgeschichte, transnationale und transkulturelle Verflechtungsgeschichte haben gegenwärtig Konjunktur. Den Autor dieses Kommentars brachte diese Entwicklung in die prekäre Situation, sich erstmals intensiver mit Geschichte des modernen Afrika beschäftigen zu müssen. Aber wie sich zeigte, war dies eine vergnügliche und lohnenswerte Investition.

Christoph Marx lehrt außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen und legt mit der als UTB-Studienbuch konzipierten „Geschichte Afrikas“ einen exzellenten Überblick vor. Auf etwas mehr als 370 Seiten behandelt Marx – aufgelockert durch zahlreiche Abbildungen, Karten, Quellenauszüge und biografische Skizzen – in lesenswerter Weise die Geschichte eines ganzen Kontinents. Dazu kombiniert er strukturgeschichtliche Überblicke mit einer Auswahl detaillierter Einsichten in einzelne Regionen und Sonderfälle. Anders als in vielen älteren Darstellungen lehnt sich Marx nicht an Muster an, „die das 19. und 20. Jahrhundert der Geschichte Afrikas unter dem Vorzeichen der europäischen Beeinflussung gesehen haben“ (S. 12). Wie Marx schreibt, bedurften die Afrikaner nicht der Europäer, um Geschichte zu machen, Europäer standen weder am Anfang noch am Ende afrikanischer Geschichtlichkeit. Darum wählt Marx für sein Buch eine Dreiteilung, die einer afrikanischen Perspektive auf das 19. und 20. Jahrhundert gerecht wird, ohne dabei die tief greifenden Veränderungen auszublenden, die mit der Kolonialherrschaft einher gingen.

Der erste Teil ist mit „Expansion“ überschrieben und behandelt den Zeitraum von 1800 bis ca. 1900 als eine Phase der Umwälzungen. „Die Protagonisten des Wandels waren bis zum Ende der 1870er Jahre Afrikaner, den Europäern fiel nur eine randständige Rolle zu.“ (S. 14) Der zweite Teil, „Lebenswelten unter kolonialer Herrschaft“, behandelt die Formierung und den Ausbau der kolonialen Staaten in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts und thematisiert den Umbau der regionalen und lokalen Machtbalancen, den Infrastrukturausbau, die Kommerzialisierung der Landwirtschaft und die Inanspruchnahme der ökonomischen und kulturellen Ressourcen. Der dritte Teil mit dem Titel „Brüche und Kontinuitäten“ behandelt die Zeitgeschichte seit etwa 1930, als infolge der Weltwirtschaftskrise und der Machtverschiebungen durch den Zweiten Weltkrieg die Machtbalance zugunsten der Afrikaner kippte. Marx beschreibt in fünf Unterkapiteln die Entwicklung der Entkolonisierung, den Patronagestaat, den Einbruch der Wirtschaft, Erfolg und Scheitern der Demokratisierungsbewegung und die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen Afrikas am Ende des 20. Jahrhunderts.

Beim zweiten Buch unter den Preisträgern, das sich auch einem Aspekt der afrikanischen Geschichte widmet, handelt es um die Habilitationsschrift des Jenaer Historikers Dirk van Laak mit dem Titel „Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880-1960“. Habilitationsschriften sind nicht so handlich wie Studienbücher und fordern dem Leser mehr ab. Van Laaks Buch ist in sechs Kapitel unterteilt, dessen erstes sich mit der sich wandelnden Bedeutung des Infrastrukturbegriffs seit den 1870er-Jahren beschäftigt. An der Überschrift des letzten Kapitels, „Zauberlehrlinge“: Infrastruktur und Entwicklungshilfe, lässt sich der Zielführung der Monografie ablesen. Generell geht es der Studie weniger um die koloniale Praxis in den von Deutschland annektierten Gebieten Afrikas, sondern um die deutschen Phantasien, Projektionen und Planungen, wie Afrika infrastrukturell zu erschließen sei. Bekanntlich war Deutschland ein Spätstarter unter den europäischen Kolonialmächten, und die hellblau eingefärbten Flecken auf Kolonialkarten Afrikas nahmen sich vergleichsweise bescheiden aus gegenüber den typischerweise mit violett und rosa markierten Arealen für Frankreich und Großbritannien. Obendrein hielt sich die Kolonialbegeisterung in Deutschland bis auf wenige Phasen in Grenzen, zumal die afrikanischen Besitzungen für Staat und Gesellschaft durchweg ein Zuschussgeschäft waren. Dennoch – und dies belegt van Laak anschaulich und materialreich – kam Afrika als Projektionsfläche für deutscher Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und Militärs über Jahrzehnte größere Bedeutung zu als gemeinhin angenommen. Als Zugang zur Thematik wählt der Autor die koloniale Wirkungsmächtigkeit von Infrastruktur, mit der die europäischen Mächte ihre „kulturelle Potenz“ untermauerten. Dabei geht van Laak von der Beobachtung aus, dass sich der religiös geprägte missionarische Impuls des 19. Jahrhunderts in eine zivilisatorische, teilweise rassistische Sendungsidee transformierte, deren sichtbarster Ausdruck die weltweite wirtschaftliche und technische Erschließung darstellte. Die imperiale Infrastruktur bildete die Voraussetzung für das rasche Durchdringen des vermeintlich „dunklen“ Kontinents.

Anmerkung:
1 So lagen beim Publikumspreis 2003 gemeinsam auf Platz 1 die Bücher von: Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamts, Hamburg 2002 und Reichardt, Sven: Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln [u.a.] 2002. Beim Publikumspreis 2004 landete auf Platz 1 das Buch von: Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003 und auf Platz 2 das Buch von: Bajohr, Frank: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jh., Frankfurt am Main 2003. Die kompletten Listen sind auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis>.

Zitation
HistLit 2005-4: Kategorie Publikumspreis, In: H-Soz-Kult, 07.10.2005, <www.hsozkult.de/text/id/texte-658>.
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