Buchpreis: Essay Kategorie Alte Geschichte

Von
Udo Hartmann

Essay von Udo Hartmann, Universität Kiel

Aus den altertumswissenschaftlichen Publikationen der Jahre 2008/2009 prämierte die Jury des Buchpreises von H-Soz-u-Kult diesmal eine überaus abwechslungsreiche und vielgestaltige Gruppe von fünf Monographien, die im folgenden kurz vorgestellt werden sollen. Die meisten Stimmen konnte eine wichtige Arbeit zum spätantiken Kaisertum auf sich vereinigen: Sebastian Schmidt-Hofner wendet sich in seiner Dissertation dem Regierungsstil des spätrömischen Herrschers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I. zu, der sich auf Grund seiner zahlreichen überlieferten Gesetze als Fallbeispiel besonders anbietet. Neben einer Vielzahl von wertvollen Einzelergebnissen liefert die Arbeit einen wichtigen Beitrag in der Diskussion um den Regierungsstil des römischen Kaisers. In Auseinandersetzung mit dem Bild in der älteren Forschung über den spätantiken „Zwangsstaat“, in dem der Kaiser mit gesetzgeberischen Maßnahmen in alle Lebensbereiche seiner Untertanen regulierend eingegriffen habe, und vor dem Hintergrund der Untersuchungen Fergus Millars über den Regierungsstil des Augustus in der Kaiserzeit, der keine langfristigen, strategischen Pläne entworfen, sondern nur auf akute Probleme und Anfragen reagiert habe, analysiert Schmidt-Hofner in „Reagieren und Gestalten“ die Gesetze und Reformmaßnahmen Valentinians. Dieser galt in der bisherigen Forschung als ein Paradebeispiel für einen dirigistisch agierenden spätantiken Herrscher. Überzeugend kann Schmidt-Hofner aufzeigen, dass auch Valentinian in erster Linie in seiner Regierungspraxis reagierte: Die überwiegende Mehrzahl seiner Gesetze waren wie in der hohen Kaiserzeit Antworten auf Anfragen von Untertanen oder Beamten, in denen der Kaiser älteres Recht lediglich bekräftigte oder in Hinblick auf die konkrete Situation explizierte: die Gesetze hatten also zumeist reagierenden und affirmativen Charakter. Einige von der älteren Forschung als wirtschafts- und sozialpolitischer Dirigismus gewertete Maßnahmen (etwa in der Frage der Standesbindung oder des Kolonats) kann Schmidt-Hofner als affirmative Gesetzgebung enthüllen.

Andererseits zeigt sich in verschiedenen gesetzgeberischen Maßnahmen, dass Valentinian auch von sich aus, ohne vorhergehende Anfrage, Reformen durchführte, die so einen planvollen, konzeptionellen Gestaltungswillen des Herrschers erweisen. Innovatives, planendes Agieren zeigt sich etwa in der Münzreform oder in der Reorganisation des Systems der Limesversorgung. Aber auch Vorschriften, die als Reaktionen auf konkrete Probleme oder Anfragen erlassen wurden, konnten innovativen Charakter haben; hier verweist Schmidt-Hofner etwa auf Maßnahmen gegen Korruption oder zur Stärkung der munizipalen Selbstverwaltung. In seiner Untersuchung kommt Schmidt-Hofner zu dem Schluss, dass der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers jenseits der Dichotomie von bloßem Reagieren und dirigistischem „Zwangsstaat“, jenseits der Kategorien von Reagieren und Agieren als ein dynamisches Ineinandergreifen von Reaktion und programmatischer Gestaltung mit innovativen Maßnahmen zu verstehen ist. Diese „erhöhte gestalterische Dynamik“ in der Spätantike und die graduelle Intensivierung staatlichen Agierendes gegenüber der Kaiserzeit könnten für Schmidt-Hofner auch eine Erklärung für den hohen Entwicklungsgrad des spätantiken Staates mit seiner ausgefeilten Bürokratie liefern. Zugleich bietet Schmidt-Hofner ein methodisches Instrumentarium zur Interpretation der Kaisergesetze, das sowohl den jeweiligen Geltungsanspruch als auch den historischen Kontext ihrer Entstehung mitberücksichtigt. Irritierend ist allenfalls, dass die Regierung seines Bruders Valens und die Fragen der Religionspolitik aus der Untersuchung weitgehend ausgeklammert werden.

Das Jubiläum der Schlacht im Teutoburger Wald wird in diesem Jahr nicht nur durch eine große Ausstellung in Detmold, Kalkriese und Haltern gefeiert, sondern auch durch eine Vielzahl an neuen Publikationen zu diesem Ereignis und den römisch-germanischen Beziehungen begleitet. Bereits im letzten Jahr erschien eine für ein breiteres Publikum bestimmte Darstellung der Schlacht im Teutoburger Wald aus der Feder von Reinhard Wolters, einem ausgewiesenen Kenner der Materie. Sein Buch schildert nicht nur die Lebensläufe der beiden Protagonisten, Arminius und Varus, sowie die Details des Kampfes im saltus Teutoburgiensis, sondern stellt das Geschehen auch in den größeren Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Germanen und Römer seit Caesar, beleuchtet ausführlich die Hintergründe der Varus-Katastrophe sowie den vorausgehenden Prozess der beginnenden Provinzialisierung Germaniens und führt den Leser schließlich in die moderne Rezeption des zum „Deutschen Hermann“ gewordenen Cheruskers Arminius und seiner „Befreiung Germaniens“ ein. Ausgewogen betrachtet Wolters die archäologischen Zeugnisse zum Schlachtort, dessen Lage in den letzten Jahren heftige und oft recht polemisch geführte Diskussionen auslöste. Seine nicht ganz zu unrecht kritische Position zu Kalkriese äußert Wolters dabei in wohltuend vorsichtigen Worten. Was auf lange Sicht, 2000 Jahre später, als historischer Einschnitt oder epochale Wende erscheinen mag, war für Augustus, auch dies zeigt Wolters überzeugend auf, eher ein „Betriebsunfall“, der keineswegs einen grundlegenden Wandel in der Germanienpolitik markiert. Aus der Fülle der populärwissenschaftlichen Publikationen zum Jubiläum kann man daher zu recht der überaus kenntnisreich verfassten und gut lesbaren Arbeit von Wolters einen ersten Rang zubilligen.

Auf den dritten Platz kam das jüngste Werk des Altmeisters Christian Meier. Der nunmehr bereits 80jährige Münchener Althistoriker bringt mit „Kultur, um der Freiheit willen“ einen ersten Auszug aus seinem Beitrag zur Alten Welt für die „Siedler Geschichte Europas“. In diesen ersten beiden Kapiteln des auf sieben Teile ausgelegten Bandes zum Altertum stellt Meier einem breiteren Leserkreis die griechische Archaik vom Ende der mykenischen Kultur bis zum Beginn der Perserkriege vor. In einem ersten Kapitel fragt er zudem sehr differenziert nach den Anfängen Europas in der griechischen Geschichte und kommt letztlich zu dem Schluss, dass die Kultur der alten Griechen als Frühgeschichte Europas, als ein Präludium anzusehen sei. Auf gewohnt höchstem sprachlichem Niveau führt Meier den Leser quellennah und mit vielen Bezügen auf die spätere europäische Geschichte in die Welt der griechischen Frühzeit ein. Er unterstreicht dabei das Besondere der Griechen, die Entstehung des Politischen und einer Verfassung ohne Herrscher, eines Bürgerverbandes der Freien, die ihre Welt selbst formten, sowie die das Allgemeine anstrebende Rationalität der Griechen und ihre einzigartige Kultur, und wirft kurze Seitenblicke auf die vielfältigen Beeinflussungen und Anregungen durch den Orient. Viele Sichtweisen mögen eher traditionell sein, doch hat Christian Meier zweifellos auch mit seinem neuen Buch einen anregenden und intellektuell überaus anspruchsvollen Text vorgelegt, in dem der Leser auf jeder Seite die Faszination der Griechen erfährt. Man darf also auf seine Fortsetzung der Geschichte der Alten Welt gespannt sein.

Nach diesen Einführungen und Überblicken trägt das Buch auf dem vierten Platz, Frank Kolbs opulentes Werk „Burg – Polis – Bischofssitz“, in dem in umfassender Weise die Ergebnisse der von 1989 bis 2001 durchgeführten Feldforschungen auf dem Gebiet der Siedlungskammer von Kyaneai in Lykien vorgelegt werden, einen ganz anderen Charakter: Das Buch bietet zwar auch eine Synthese zur Geschichte dieser lykischen Region in Kleinasien, geografisch heute unweit der türkischen Südküste gelegen, illustriert aber vor allem die Mühen der Ebene altertumswissenschaftlicher Detailforschung. Kolb rekonstruiert in seinem reich mit Abbildungen und Plänen illustrierten Band die Geschichte des im Mittelalter aufgegebenen Siedlungsplatzes Kyaneai vom 7./6. Jahrhundert v.Chr. bis in die Zeit der Seldschuken. Das heute weitgehend mit Macchie überwachsene Gebiet ist nach der Aufgabe nie wieder überbaut worden, so dass die antiken und byzantinischen Baustrukturen sich ungewöhnlich gut und in außergewöhnlicher Dichte erhalten haben. Kolbs Forschergruppe konnte daher in Lykien die Entwicklung der antiken und byzantinischen Siedlungs- und Infrastrukturen des Poliszentrums und des Umlandes mit seinen zahlreichen Gehöften auf hervorragende Weise studieren und einen faszinierend direkten Blick in die Lebenswelten der Bewohner werfen. Der Band spannt dabei in einer detaillierten und genauen Einzelbetrachtung der Stätten den Bogen von lykischen Burgsiedlungen und Gehöften über die hellenistische und kaiserzeitliche Polis mit ihrer Chora, ihren ländlichen Gemeinden und Weilern sowie die spätantike Stadt bis zur byzantinischen Bischofsresidenz und der Auflösung der Polisorganisation. Die Forschungsergebnisse gestatten nicht nur die Erfassung von Strukturen und Kultur des städtischen Zentrums, sondern ermöglichen in außerordentlicher Weise auch einen Einblick in die ländlichen Siedlungen und Gehöfte und die Interdependenzen zwischen Zentralorten und Umland. Die Erfassung der ländlichen Siedlungsplätze, Wege und wirtschaftlichen Anlagen, der Kultplätze und Gräber aus den verschiedenen Zeitepochen von der Archaik bis ins Mittelalter zeigt die Veränderungen in der ländlichen Besiedlung, der landwirtschaftlichen Produktion, der Bevölkerungsdichte und den sozialen Strukturen auf, belegt den Prozess der Hellenisierung, die Prosperität in der Kaiserzeit, die Auflösung der Polisstrukturen im 6. Jahrhundert sowie Niedergang und Siedlungskontinuitäten bis in mittelbyzantinische Zeit. Kolbs Band bringt so einen wertvollen Beitrag für unsere Kenntnis der siedlungsgeschichtlichen und wirtschaftlichen Mikrostruktur einer kleinasiatischen Region.

Einem bislang eher vernachlässigtem Themenfeld der römischen Sozialgeschichte wendet sich das fünfte prämierte Buch zu: Ann-Cathrin Harders untersucht in ihrer Dissertation „Suavissima soror“ die Bruder-Schwester-Beziehungen in der römischen Republik. Auf der Grundlage einiger gründlich analysierter Fallbeispiele aus dem stadtrömischen Senatsadel zeigt sie einerseits auf, welches normative Rollenverhalten aus Respekt vor der familiären pietas jeweils von den Geschwistern erwartet wurde, und erörtert andererseits die Bedeutung der Geschwisterbeziehungen in der sozialen Vernetzung der römischen Familien. Insbesondere der verheirateten Frau kam in ihrer Doppelrolle als Schwester und Gattin eine entscheidende Funktion als Scharnierstelle zwischen ihrer Geburtsfamilie und der Nuptialfamilie beim Aufbau eines Beziehungsgeflechts unter den Familienverbänden auf horizontaler Ebene zu. Die Autorin unterstreicht die integrative und stabilisierende Funktion dieser familiären Vernetzung, vor allem in der senatorischen Führungsschicht. Verantwortung und Sorge des Bruders um die Schwester, enge Bindung der verheirateten Schwester an den Bruder sowie Kooperation zwischen den Schwägern konstituierten enge Beziehungen zwischen den bilateral verbundenen Familien. Harders unterstreicht dabei, dass die Verwandtschaft neben Freundschaft und Patronage in der Republik eine der Säulen der römischen Sozialordnung bildete.

Auch in diesem Jahr spiegelt die Preisliste in erster Linie die Breite und Vielfalt der Publikationsfelder in der Alten Geschichte wider. Neben bekannten Namen und dem in diesem Jahr omnipräsenten Germanensieg im Jahr 9 n.Chr. zeichnete die Jury erfreulicherweise auch zwei innovative Arbeiten aus, die in den nächsten Jahren zweifellos weitere Forschungen anregen werden: Schmidt-Hofners Buch zum spätantiken Kaisertum fordert zum weiteren Nachdenken über den Regierungsstil der römischen Kaiser auf, Ann-Cathrin Harders Monographie zu den Bruder-Schwester-Beziehungen fügt eine weitere wichtige Facette in die Rekonstruktion der römischen Gesellschaft ein und wird die Diskussion über das komplexe System der sozialen Beziehungen und Hierarchien in Rom befruchten.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2009“ wurden in der Kategorie „Alte Geschichte“ folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Schmidt-Hofner, Sebastian: Reagieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I., München: C.H. Beck 2008. Rezension von Muriel Moser, in: H-Soz-u-Kult, 03.08.2009 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-094>.

2. Wolters, Reinhard: Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien, München: Verlag C.H. Beck, 2008. Rezension von Peter Kehne, in: H-Soz-u-Kult, 08.12.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-210>; und von David B. Cuff, in: Bryn Mawr Classical Review, 2009.07.74 <http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-07-74.html>.

3. Meier, Christian: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge - Anfang Europas?, München: Siedler Verlag 2009. Rezension von Tanja Itgenshorst, H-Soz-u-Kult, 24.08.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-151>.

4. Kolb, Frank: Burg – Polis – Bischofssitz. Geschichte der Siedlungskammer von Kyaneai in der Südwesttürkei, Mainz: Philipp von Zabern Verlag 2008.

5. Harders, Ann-Cathrin: Suavissima soror. Untersuchungen zu den Bruder-Schwester-Beziehungen in der römischen Republik (= Vestigia 60), München: C.H. Beck Verlag 2008. Rezension von Roxana Kath, in: H-Soz-u-Kult, 07.09.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-176> und von Michael Hesse Witten, Bryn Mawr Classical Review, 2009.04.29 <http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-04-29.html>.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Alte Geschichte, In: H-Soz-Kult, 22.09.2009, <www.hsozkult.de/text/id/texte-1156>.
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