Buchpreis: Essay Kategorie Alte Geschichte

Von
Udo Hartmann

Essay von Udo Hartmann, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel / Humboldt-Universität zu Berlin

Die Jury des Buchpreises von H-Soz-u-Kult stellte aus den altertumswissenschaftlichen Veröffentlichungen des letzten Jahres eine sehr interessante und ausgewogene Liste zusammen, in der sowohl althistorische Überblicksdarstellungen, die den aktuellen Forschungsstand reflektieren, als auch innovative Arbeiten jüngerer Wissenschaftler, die mit einem frischen Blick auf antike Zeugnisse schauen, vereint sind: Unter den prämierten althistorischen Publikationen finden sich drei Dissertationen sowie drei Zusammenfassungen und Überblicke zu wichtigen Fragestellungen der hellenistischen, römischen und spätantiken Geschichte. Die Liste spiegelt so auch Breite und Themenvielfalt althistorischer Forschung. Wie in den vergangenen Jahren bleibt dabei die Spätantike eines der wichtigen Forschungsfelder, ihr sind immerhin drei der prämierten Veröffentlichungen gewidmet. Alle sechs Publikationen bewegen sich auf der Höhe der gegenwärtigen Forschung und wenden sich an ein wissenschaftliches Fachpublikum; an ein breiteres Publikum gerichtete populärere Darstellungen sind in diesem Jahr dagegen nicht vertreten.

Einen zweifellos verdienten ersten Platz erhielt die spannende Studie von Steffen Diefenbach zu Heiligenmemoria und kollektiven Identitäten im spätantiken Rom. Seine in Münster eingereichte Dissertation „Römische Erinnerungsräume“ versteht sich als Beitrag zur Erinnerungs- und Identitätsforschung und untersucht methodisch fundiert den Zusammenhang von christlicher Heiligenmemoria und Formierung kollektiver Identitäten in Rom zwischen der Mitte des 3. und dem Beginn des 6. Jahrhunderts, wobei Diefenbach die ganze Breite der literarischen, epigraphischen und archäologischen Quellen heranzieht. Diefenbach streicht die Heiligenerinnerung als wichtiges Moment im kulturellen und urbanistischen Transformationsprozess Roms von der Kaiserzeit ins Frühe Mittelalter heraus. Er spannt dabei einen Bogen von der identitätsstiftenden Funktion der Mahlfeiern zum Gedenken an die Märtyrer in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts über die bauliche Umgestaltung Roms unter Constantin, der in seinen Sakralbauten den Kaiserkult mit dem christlichen Toten- und Heiligenkult verbinden wollte, und die Rolle der Märtyrermemoria in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts bis zur Bedeutung der Heiligen als legitimierende und identitätsstiftende Bezugspunkte in der Entstehung eines polyzentrischen Stadtraums im 5. Jahrhundert, in dem Rom in einzelne städtische Zentren zerfiel und sich eine Sakraltopographie mit mehreren Kultzentren herausbildete. Diefenbachs innovative Studie nutzt somit in hervorragender Weise das methodische Instrumentarium der kulturwissenschaftlichen Erinnerungsforschung für eine überaus anregende Untersuchung der identitätsstiftenden Rolle des Heiligenkults und der Totenmemoria sowie der Entstehung einer christlichen Sakraltopographie im spätantiken Rom.

Auf den nächsten drei Plätzen folgen wichtige Publikationen aus dem Jahr 2007, die breiter angelegte Überblicke zu bestimmten althistorischen Themenfelder bieten. Mit seiner Monographie „The Alamanni and Rome“ legt John F. Drinkwater eine fundiert verfasste Synthese der neueren Forschungsergebnisse zu den Alamannen von ihrem ersten Auftreten, das er unter Caracalla verortet, bis zu ihrer Integration ins Frankenreich unter Chlodwig vor; im Mittelpunkt steht dabei die Interaktion zwischen dem spätantiken Römischen Reich und den Alamannen. Die Vielzahl an archäologischen Arbeiten zu den Alamannen in Südwestdeutschland, die in erster Linie von deutschen Forschern stammen, werden in diesem Buch erstmals einem englischsprachigen Publikum in konziser Weise vorgestellt, wodurch dieses Buch zweifellos den Charakter eines Standwerkes erhalten wird. Drinkwater gibt allerdings nicht nur einen Überblick zum Forschungsstand, sondern bezieht auch in zahlreichen umstrittenen Fragen kenntnisreich Stellung. Er betrachtet detailliert die Herausbildung der Alamannen – für ihn eine Gruppe von Germanenstämmen an Rhein und oberer Donau, die erst von den Römern zu einer Einheit zusammengefasst und so bezeichnet wurden –, erörtert die Zeugnisse für ihre frühen Siedlungen und ihre gesellschaftlichen Strukturen und untersucht die komplexen Beziehungen zwischen den Alamannen und Rom. Dabei nimmt Drinkwater sowohl den Dienste der Germanen in der römischen Armee als auch die Konflikte mit Rom im 3. bis 5. Jahrhundert in den Blick, wobei er die reale Bedrohung der römischen Grenzen durch die Alamannen als eher gering einschätzt; die antiken Zeugnisse über ihre Gefährlichkeit gingen auf römische Propaganda zurück, mit denen die Kaiser ihre Position als Germanensieger legitimiert und den Unterhalt der riesigen Armee gerechtfertigt hätten. Ein qualitätsvoller Anmerkungsapparat gibt Zugang zu den antiken Quellen und den wichtigen neueren Forschungsarbeiten; er zeugt von den profunden Kenntnissen des Autors.

Die Plätze 3 und 4 des diesjährigen Buchpreises belegen Sammelwerke zur Kulturgeschichte des Hellenismus und zur römischen Armee. Die von Gregor Weber herausgegebene „Kulturgeschichte des Hellenismus“ füllt eine Lücke in der deutschsprachigen Forschungslandschaft: Der Band vereint 18 Beiträge, in denen namhafte deutsche Althistoriker in prägnanter und gut lesbarer Form über die Grundzüge der Ereignis- und Verfassungsgeschichte des Hellenismus informieren und sodann in die verschiedensten Aspekte der Kulturgeschichte von Alexander dem Großen bis zum Untergang des Ptolemäerreiches einführen. So bietet der Band gelungene Überblicke zu den neuen Residenzstädten und dem höfischen Leben, zu Rolle und Bild der Frau, zu den religiösen Vorstellungswelten und Kulten, zur Blüte von Philosophie und Wissenschaft, zu wirtschaftlichem Wachstum, Urbanisierung und Monetarisierung, zur Kriegskultur, zum Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen im Spannungsfeld von Abgrenzung, Interaktion, Akkulturation und Integration sowie zur Literatur und Kunst im Hellenismus und schließlich auch zur Hellenisierung Roms. Die Spannbreite der Fragestellungen erfüllt so die Erwartungen an eine moderne Kulturgeschichte. Zahlreiche Abbildungen und Zitate aus den Quellen lockern den Text auf. Die materialreichen Beiträge bieten mithin eine anschauliche und leicht fassliche Zusammenschau zur Kulturgeschichte des Hellenismus auf neuestem Forschungsstand.

Innerhalb der Reihe „Blackwell Companions to the Ancient World“ erschien ein von Paul Erdkamp herausgegebenes Companion zur römischen Armee, das auf gut 570 Seiten einen umfassenden Überblick von der römischen Frühzeit bis Justinian gibt. In den von maßgeblichen Experten für die römische Militärgeschichte verfassten, gut strukturierten 29 Artikeln wird knapp, aber sehr gründlich sowohl über Organisation, Kommandostruktur, Logistik und Strategie als auch über die verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Aspekte der römischen Armee informiert. Die Artikel nehmen zugleich das Heer in seiner historischen Entwicklung in den Blick, wobei ein deutlicher Schwerpunkt allerdings auf der gut dokumentierten Armee der Kaiserzeit und beginnenden Spätantike liegt (S. 181–476: „The Empire. Actium to Adrianopel“). Es lässt sich kaum ein Punkt denken, der hier nicht zur Sprache kommt: Der Leser erfährt so etwa auch das Wichtigste zur Veteranenansieldung in der Republik, zur kaiserzeitlichen Flotte, zu den Zeugnissen für die Verwaltung der Armee, zur kaiserlichen Siegespropaganda, zu Versorgung, Unterkunft, Familienbeziehungen und Religion der Soldaten des Kaiserreiches oder auch zu den spätantiken foederati. Kurze Endnoten und Literaturhinweise ergänzen die informativen Beiträge, die einen hervorragenden Einstieg in die komplexe Thematik der Armee Roms, ihrer Entwicklungsphasen und ihrer Bedeutung für die römische Gesellschaft bieten.

Die beiden fünften Plätze des Buchpreises teilen sich zwei an der Freien Universität Berlin angenommene althistorische Dissertationen: die Arbeit von Tankred Howe über „Vandalen, Barbaren und Arianer bei Victor von Vita“ und die Untersuchung von Julia Wilker zur herodianischen Dynastie im 1. Jahrhundert n.Chr. Ins vandalische Nordafrika des ausgehenden 5. Jahrhunderts führt die Dissertation von Tankred Howe, der erstmals eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte des Vandalenreiches und der Beziehungen zwischen Vandalen und provinzialrömischer Bevölkerung sowie zwischen Katholiken und Arianern unter Geiserich und Hunerich eingehend untersucht: die Historia persecutionis Africanae provinciae, die wohl 487/88 abgefasste Geschichte der Verfolgung der katholischen Kirche durch die arianischen Vandalenkönige aus der Feder des Bischofs Victor von Vita. In seiner Arbeit, die Victors Bild der Vandalen in den Mittelpunkt stellt, zeigt Howe, dass der Autor, der seine Glaubensbrüder zur Standfestigkeit auffordern möchte, bewusst einen Gegensatz von Arianern und Vandalen bzw. Barbaren auf der einen und Romani und catholici auf der anderen Seite konstruiert, der die realen Verhältnisse stark vereinfacht und etwa katholische Vandalen unterschlägt; der eindeutig negativen Darstellung der Verfolger steht dabei die positive der Verfolgten gegenüber. Howe kann überzeugend die Darstellungsabsicht Victors herausarbeiten: In dieser suggestiven Gleichsetzung von Ethnie und Konfession ist für Victor das ethnische Kriterium eher sekundär, die Verfolger werden als Arianer, Vandalen und Barbaren stilisiert, um so den ganzen Katalog der Barbarentopik für ihre negative Darstellung nutzen und die Vandalenkönige als vom Teufel geführte Tyrannen charakterisieren zu können; Victors Barbarentopik ist für Howe so eher eine „Infidelentopik“. Der Autor streicht in seiner Untersuchung zugleich die religionspolitischen Ziele des Vandalenkönigs Hunerich heraus, der sein Reich analog zu den entsprechenden Bemühungen der Kaiser unter einer Religion einigen wollte. Die Historia persecutionis kündet dabei für Howe vom Erfolg dieser aggressiven Missionierungsbemühungen, den Victor in apologetischer Tendenz unter Hinweis auf die Standfestigkeit der afrikanischen Katholiken mit aller Vehemenz minimieren möchte. Howes hervorragende Studie bietet somit sowohl eine eingehende Analyse des Textes, seiner Darstellungsmuster, Argumentationsstrukturen und Intentionen im Kontext der religiösen Auseinandersetzungen im Vandalenreich als auch eine profunde Untersuchung der selbstbewussten Religionspolitik der Vandalenkönige am Ende des 5. Jahrhunderts.

Julia Wilkers umfangreiche Arbeit untersucht detailliert die Geschichte der von der Forschung bislang eher vernachlässigten herodianischen Dynastie von der Provinzialisierung Judaeas im Jahre 6 n.Chr. bis zum Ende der Dynastie mit dem Tod des letzten Königs Agrippa II. in den 90er Jahren des 1. Jahrhunderts. Mit stupender Gelehrsamkeit geht sie dabei allen Fragen nach, die sich mit den Nachfolgern Herodes’ des Großen und der Provinz Judaea bis zum jüdischen Aufstand verbinden. Wilker streicht dabei insbesondere die Bedeutung der Dynastie in den Beziehungen zwischen Rom und der jüdischen Bevölkerung bis zum jüdischen Aufstand heraus. Die Herodianer, die sich als Juden verstanden und zugleich von den Kaisern als loyale Verbündete Roms angesehen wurden, regierten nach der Provinzialisierung Judaeas – sieht man einmal von einem kurzen Intermezzo unter Agrippa I. ab (41–44) – lediglich benachbarte Regionen, übten aber als Klientelfürsten und zugleich Repräsentanten und Patrone der Juden in Judaea und in der Diaspora eine wichtige Vermittlerfunktion zwischen dem Kaiser und seinen jüdischen Untertanen aus. Diese erhielt schließlich unter Claudius mit dem Amt der Oberaufsicht über den Tempel in Jerusalem auch eine institutionelle Form, für die es sonst keine Parallele im Römischen Reich gab. Die Herodianer waren damit auch in der Provinz Judaea eine einflussreiche Größe. Mit dem jüdischen Aufstand und ihrer klaren Positionierung auf der Seite Roms verloren sie indes diese Vermittlerrolle. Die beiden Berliner Dissertationen erschließen in einem umfangreichen und überaus fundierten Anmerkungsapparat die gesamte Palette der antiken Quellen sowie der modernen Forschung und bieten zudem eine gründliche Erörterung nahezu jedes in der Forschung diskutierten Problems. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die beiden mit dem fünften Platz prämierten Bücher im kleinen, aber für die Althistorie immer wichtigeren Antike-Verlag erschienen sind; die Prämierung stellt zweifellos eine Anerkennung für die engagierte Arbeit dieses Verlages dar.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2008“ wurden in der Kategorie „Alte Geschichte“ folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Diefenbach, Steffen: Römische Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identitäten im Rom des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr. (= Millennium-Studien 11), Berlin u.a.: de Gruyter 2007.
Rezension von Monika Schuol, in: H-Soz-u-Kult von, 11.09.2008 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-154>.

2. Drinkwater, John F.: The Alamanni and Rome 213-496 (Caracalla to Clovis), Oxford u.a.: Oxford University Press 2007.
Rezension von Philipp von Rummel, in: H-Soz-u-Kult, 15.02.2008 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-130>. Weitere Rezensionen von Hendrik Dey, in: Bryn Mawr Classical Review, 2007.06.24 <http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2007/2007-06-24.html>; Marcus Reuter, in: plekos, 28.04.2008 <http://www.plekos.uni-muenchen.de/2008/r-drinkwater.pdf>.

3. Weber, Gregor (Hrsg.): Kulturgeschichte des Hellenismus. Von Alexander dem Großen bis Kleopatra, Stuttgart: Klett-Cotta 2007.
Rezension von Eike Faber, in: H-Soz-u-Kult, 16.09.2008 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-166>.

4. Erdkamp, Paul (Hrsg.): A Companion to the Roman Army (= Blackwell Companions to the Ancient World: Ancient History), Malden u.a.: Blackwell Publishing 2007.
Rezension von Josef Löffl, in: H-Soz-u-Kult, 06.11.2007 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-105>. Weitere Rezension von Yann Le Bohec, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 <http://www.sehepunkte.de/2007/07/10975.html>.

5. Howe, Tankred: Vandalen, Barbaren und Arianer bei Victor von Vita (= Studien zur Alten Geschichte 7), Frankfurt am Main: Verlag Antike 2007.
Rezension für Roland Steinacher, in: H-Soz-u-Kult, 15.09.2008 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-161>. Weitere Rezension von Ulrich Lambrecht, in: plekos, 18.04.2008 <http://www.plekos.uni-muenchen.de/2008/r-howe.pdf>.

5. Wilker, Julia: Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr. (= Studien zur Alten Geschichte 5), Frankfurt am Main: Verlag Antike 2007.
Rezension von Helga Botermann, in: H-Soz-u-Kult, 16.10.2007 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-045>. Weitere Rezension von J. Andrew Overman, in: Bryn Mawr Classical Review, 2008.07.63 <http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2008/2008-07-63.html>.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Alte Geschichte, In: H-Soz-Kult, 22.09.2008, <www.hsozkult.de/text/id/texte-1007>.
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