Buchpreis: Essay Kategorie Außereuropäische Geschichte

Von
Thoralf Klein

Essay von Toralf Klein, Universität Konstanz

„Die USA in der Welt“ – dieses Motto des Vorjahresessays von Jürgen Martschukat kann fast unverändert als Leitmotiv des diesjährigen Wettbewerbs in der Kategorie Außereuropäische Geschichte dienen. Denn auf den Spitzenplätzen hat die Jury den Trend des vergangenen Jahres mit großer Deutlichkeit fortgeschrieben. Wieder zeugen drei Titel zur US-Geschichte auf den ersten drei Plätzen von der Priorität, die der westlichen Supermacht unter den nicht-europäischen Gesellschaften in der deutschen Geschichtswissenschaft eingeräumt wird (2007 war allerdings noch ein weiterer USA-bezogener Titel unter den ersten fünf). Wiederum ist Andreas Eckert auf einen der vordersten Plätze vorgestoßen. Und eine weitere Tendenz scheint sich gegenüber dem vergangenen Jahr noch verstärkt zu haben: Ob dies den Juroren bewusst war oder nicht, es wurden vor allem solche Titel prämiert, die sich in aktuelle gesellschaftliche Diskussionszusammenhänge einordnen lassen. Dazu passt auch, dass sich auf den ersten fünf Plätzen kein Titel findet, der in die Zeit vor 1500 zurückgreift. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass im Zentrum der Aufmerksamkeit für die außereuropäische Geschichte schon seit längerem nicht mehr die Spezifik der unterschiedlichen Weltkulturen steht. In diesem Jahr finden sich entsprechende Titel – Gudrun Krämers „Geschichte des Islam“ sowie die Geschichte des Chinesischen Kaiserreichs von Rainer Hoffmann und Hu Qiuhua – erst auf den Plätzen 8 und 9. Prämiert werden in erster Linien solche Studien, die die geteilte Geschichte in der einen, sich globalisierenden Welt thematisieren.

Bereits der Fünfplatzierte, Cemil Aydins „The Politics of Anti-Westernism in Asia. Visions of World Order in Pan-Islamic and Pan-Asian Thought“, nimmt ausdrücklich auf Fragen der unmittelbaren Gegenwart Bezug. Wie Aydin in seiner Einleitung selbst ausführt, ist der nahe liegende, aber dennoch selten durchgeführte Vergleich zwischen dem Osmanischen Reich und Japan von den Ereignissen des 11. September 2001 inspiriert. Vor dem Hintergrund der Diskussion über den angeblich antimodernen Islamismus zeigt Aydin in einem historischen Längsschnitt, wie antiwestliches Denken in Ländern mit ganz unterschiedlichen kulturellen Traditionen unter den intellektuellen Eliten entstehen und sich entwickeln kann. Er betont dabei, dass dieses Denken weder eine kulturkonservative Reaktion auf die westliche Moderne noch ein Akt des Widerstandes gegen den Imperialismus darstellt. Indem Aydin aufzeigt, in welchem Maße westliches Denken den Bezugspunkt panislamischer und panasiatischer Intellektueller bildete, konfrontiert er die Leser implizit mit der Frage, ob der heutige Islamismus tatsächlich das radikal Andere des säkularen Westens ist.

Der Afrikahistoriker Andreas Eckert, im vorigen Jahr für eine Überblicksdarstellung des deutschen Kolonialismus ausgezeichnet, landet in diesem Jahr mit seiner Monographie „Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokratie, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920-1970” erneut auf dem vierten Platz. Auch Eckert geht von einer aktuellen Debatte aus, in diesem Fall der Diskussion über den Staatszerfall in Afrika, den er jedoch vielmehr als eine Krise des kolonialen Staates begreift. Eckert verdeutlicht dies mit seiner eingehenden Analyse des einheimischen Verwaltungspersonals in Tanzania im Übergang von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit. Ohne die afrikanischen Bürokraten von aller Verantwortung freizusprechen, zeigt er die strukturellen und kulturellen Belastungen, die sich aus der Übernahme kolonialer Verwaltungstraditionen ergaben. Nachdem die Kolonialgeschichte in Deutschland in den letzten Jahren hin zu einer bloßen Nabelschau der metropolitanen Gesellschaften abzudriften drohte, ist es besonders erfreulich, dass Eckerts umfassende und gründliche Untersuchung die Aufmerksamkeit ausdrücklich (erneut) auf die Folgen des Kolonialismus für die Kolonisierten lenkt.

Auf den ersten Blick überraschend ist der dritte Platz für Thomas Benders „A Nation Among Nations. America’s Place in World History“. Denn Bender hat hier in erster Linie US-amerikanische Debatten im Blick, schreibt er doch gegen den dort seiner Meinung nach vorherrschenden Exzeptionalismus in Geschichts-Textbüchern an. Ausgehend von der Grundprämisse, dass eine Nation niemals ihren eigenen historischen Kontext bilden kann, zeigt Bender anhand einer Reihe von Schwerpunktthemen auf, wie die Geschichte der USA immer schon mit globalen Tendenzen verflochten war. Dies ist Geschichte in weltbürgerlicher Absicht und mit pädagogischer Zielsetzung: Denn mit seinem Ansatz will Bender in seinem Land zugleich die Grundlagen eines Kosmopolitismus legen, wie ihn seiner Auffassung nach das Leben in der globalisierten Welt von heute erfordert. Trotz dieses spezifischen Rahmens ist die Art und Weise, wie Bender Global- und Nationalgeschichte verbindet, höchst innovativ und auch für deutsche Historiker vorbildhaft.

Der zweite Platz geht an ein Buch, das ebenso synthetisch angelegt ist, ansonsten aber den größtmöglichen Kontrast zu dem von Bender bietet: In seinem „Essay“ mit dem Titel „Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus“ untersucht Michael Hochgeschwender ein spezifisch amerikanisches Phänomen, das aus europäischer und deutscher Sicht sehr befremdlich erscheint: den enormen Einfluss von Religion im Allgemeinen und von bestimmten protestantischen Strömungen im Besonderen, der hierzulande erst in der Ära George W. Bush in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit getreten ist. Dabei hat Hochgeschwender stets mehr im Blick als nur das Verhältnis von Religion und Politik. Vielmehr geht es ihm um die gesellschaftliche Bedeutung des Evangelikalismus unter den besonderen politischen Rahmenbedingungen der USA. Ähnlich differenziert wie Aydin behandelt Hochgeschwender das Verhältnis von Moderne und (scheinbarer) Antimoderne, wobei er elegant und souverän theologie-, ideen- und sozialgeschichtliche Ansätze ineinander verwebt.

Mit deutlichem Abstand vor der Konkurrenz hat Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung „Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam“ den Sieg davongetragen. Von den fünf erstplatzierten Autoren ist Greiner der einzige, der nicht explizit auf die Inspiration durch eine aktuelle Debatte verweist. Und tatsächlich wird bei der Lektüre deutlich, dass dem Buch jahrelange Archivstudien zugrunde liegen (wie überhaupt in diesem Jahr originäre Forschungsarbeiten, zumindest auf den vorderen Plätzen, die Überblicksdarstellungen ausgestochen haben), die seine Genese fernab jeder tagespolitischen Aktualität verorten. Dennoch steht es im Zusammenhang mit aktuellen Problemlagen, drängen sich Assoziationen zum Irakkrieg doch geradezu auf; einen weiteren Kontext bildet die Erinnerung im Zusammenhang mit dem 40jährigen „Jubiläum“ der 68-er Bewegung.

Greiner bietet keine chronologische Übersicht über die politischen und militärischen Vorgänge. Vielmehr geht er mittels eines systematischen Zugriffs dem Phänomen von Brutalität und Gewalteskalation aus der Perspektive des US-Militärs nach. Nacheinander nimmt Greiner unterschiedliche Gruppen von Akteuren in den Blick – politische Entscheidungsträger, Generale, Offiziere, Soldaten, Juristen. Darüber hinaus analysiert er im Detail eine Reihe von Einsätzen, bei denen Kriegsverbrechen begangen wurden, allen voran das berüchtigte Massaker von My Lai im Frühjahr 1968. Differenziert benennt Greiner die verschiedenen Ursachen, deren Zusammenwirken derartige Grenzüberschreitungen möglich machte: ideologische Verblendung, eine zum Scheitern verurteilte Strategie, eine lernunfähige Generalität, mangelnde Autorität von Vorgesetzten, die Einsatzbedingungen in einem asymmetrischen Krieg, in dem klare Fronten nicht erkennbar waren, und schließlich die nur widerwillige juristische Aufarbeitung. Greiner ist immer nah bei den historischen Akteuren – was seiner glänzend geschriebenen Darstellung eine große Dichte und Spannung verleiht –, ohne die großen Zusammenhänge aus dem Blick zu verlieren. Gerade die minutiöse Erfassung institutioneller und situativer Kontexte fordert zum Vergleich heraus und vermittelt Impulse für die weitere Erforschung kollektiver militärischer Gewalt.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2008“ wurden in der Kategorie „Außereuropäische Geschichte“ folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Greiner, Bernd: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam, Hamburg 2007.
Rezension von Lars Klein, in: H-Soz-u-Kult, 21.01.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-052>.

2. Hochgeschwender, Michael: Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt am Main [u.a.] 2007.
Rezension von Uta Andrea Balbier, in: H-Soz-u-Kult, 15.04.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-042>.

3. Bender, Thomas: A nation among nations. America's place in world history, New York, NY 2006.
Rezension von Kiran Klaus Patel, in: H-Soz-u-Kult, 16.03.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-182>.

4. Eckert, Andreas: Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920 – 1970, München [u.a.] 2007.
Rezension von Hubertus Büschel, in: H-Soz-u-Kult, 22.05.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-124>.

5. Aydin, Cemil: The politics of anti-Westernism in Asia. Visions of world order in Pan-Islamic and Pan-Asian thought, New York 2007.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Außereuropäische Geschichte, In: H-Soz-Kult, 25.09.2008, <www.hsozkult.de/text/id/texte-1005>.
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