Titel
Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen 1896-1912


Autor(en)
Geppert, Dominik
Reihe
Veröff. d. Deutschen Historischen Instituts London 64
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
490 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Birkner, Universität Hamburg

„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ (S. 371), notierte Kaiser Wilhelm II. am Rande eines Artikels zu jenen Reisen, die 1906/07 britische und deutsche Journalisten und damit auch die jeweiligen Länder einander näher bringen sollten. Die Initiatoren erhofften sich eine „Abrüstung der Presse“ (S. 358) in Zeiten, da die medialen Auseinandersetzungen in der Wahrnehmung der Zeitgenossen den Frieden zwischen beiden Großmächten zunehmend bedrohten. Dominik Geppert hat sich in seiner beachtenswerten Habilitationsschrift diesen Pressekriegen von 1896 bis 1912 gewidmet.

Die Zeit der Jahrhundertwende gilt als Beginn des „Jahrhunderts der Massenmedien“, als die Presse „ein Zusammenhang, ein System [...] eine Macht“ wurde. 1 Dennoch ist sie nach wie vor so gut wie unerforscht. 2 Während man weiterhin geneigt ist, Axel Schildts Diagnose einer „allgemeinen Enthistorisierung“ der Kommunikations- und Medienwissenschaft speziell für diese Epoche zuzustimmen, entdeckt die Geschichtswissenschaft zunehmend die Medien dieser Zeit als Untersuchungsgegenstand. 3 Geppert treibt diesen Trend mit seiner faktenreichen Studie weit voran.

Sein Untersuchungszeitraum beginnt gleich mit einem Paukenschlag. Der durch insgesamt sieben Englandreisen auf den britischen Inseln 4 recht beliebte deutsche Kaiser beglückwünschte am 3. Januar 1896 den Burenpräsidenten Krüger zu einem militärischen Erfolg gegen die Briten. Diese als „Krügertelegramm“ in die Geschichte eingegangenen Glückwünsche lösten den ersten Pressekrieg aus. Angeführt von der Times und ihrem Berlin-Korrespondenten Valentine Chirol, den Geppert sehr eindrücklich charakterisiert, erhob sich in der britischen Presse ein Sturm der Entrüstung. Der Kaiser erklärte sich daraufhin in einem Brief an seine „most beloved Grandmama“ (S. 109) Queen Victoria, was die britische Presse als Schuldeingeständnis deutete. Die Folge waren Protestartikel in zahlreichen deutschen Blättern. Dies ist für Geppert der erste „newspaper war“, auf dessen Langzeitwirkungen er immer wieder hinweist. Das Bild des Kaisers blieb in Großbritannien dauerhaft beschädigt und zwischen den „veröffentlichten Meinungen“ dies- und jenseits des Ärmelkanals war tiefes Misstrauen gesät. Gepperts wichtigste Erkenntnis ist, dass eine noch in der Bismarckschen Tradition der Presselenkung verhaftete deutsche Diplomatie unter den Bedingungen von Massenmedien schlicht nicht mehr funktionierte. Dennoch hielt man im Foreign Office die deutsche Presse von der Regierung, im Auswärtigen Amt umgekehrt die britische Regierung von der Presse gesteuert (S. 123, 230f.). Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen blieben für den gesamten Zeitraum prägend.

Die Presse hatte den öffentlichen Raum auch auf die bisher noch dem Arkanbereich staatlicher Herrschaft vorbehaltene Außenpolitik ausgedehnt, in Großbritannien und dem Deutschen Reich gleichermaßen. Modernes journalistisches Handeln spitzt komplexe außenpolitische Zusammenhänge zu, verdichtet sie zeitlich, personalisiert – besonders die deutsche Diplomatie war damit überfordert. Sie ist freilich aus dem ersten Pressekrieg nicht schlau geworden. Weiterhin versuchte sie die öffentliche Meinung im Reich für ihr Flottenprogramm anzuheizen, gleichzeitig aber mäßigend auf die britische Presse einzuwirken, als wären die beiden „Öffentlichkeiten“ unter modernen Kommunikationsbedingungen noch voneinander zu trennen (S. 256f., 295f.).

Doch Geppert porträtiert nicht nur eine „nervöse Weltmacht“. 5 Auf Chirol, der später Auslandschef der Times wurde, folgte George Saunders – der Kaiser nennt ihn einen „Erzschweinehund I. Klasse“ (S. 210) – als Berlin-Korrespondent. Von dort aus wetterte er gegen Deutschland und nach und nach setzte sich seine „kritische Haltung gegenüber der deutschen Politik durch“ (S. 168), vom Burenkrieg über weitere Pressefehden hin zur ersten Marokkokrise 1905. Dabei bleibt in der beeindruckenden Tiefe der Quellen an wenigen Stellen das große Ganze etwas im Hintergrund. Dennoch: Aus den Quellen heraus, aus unzähligen Briefen, Akten, Zeitungsartikeln, Leserbriefen, Erinnerungen, entwirft Geppert ein vielstimmiges Panorama, welches die Pressekriege als Medienereignisse von allen Seiten beleuchtet. So verdeutlicht er das „Zusammenwirken der Presse mit anderen Teilöffentlichkeiten“, wie Konflikte „aus der Versammlungsöffentlichkeit [...] in die Tageszeitungen hineingetragen“ und häufig dann erst im Parlament verhandelt wurden. Die Frankfurter Zeitung ‚leitartikelt’ 1902 selbstsicher: „Die Debatten sind zu zählen, in denen einmal ein anderer Gedanke produziert wird als in den Zeitungen längst ausgesprochen ist.“6 (S. 177)

Der Journalismus in Großbritannien war damals weiter entwickelt, die Presse unabhängiger und gerade weil „die britische Regierung nicht in das redaktionelle Tagesgeschäft eingriff, konnte sie in Ausnahmesituationen erfolgreich intervenieren.“ (S. 283) Ein eindrucksvolles Beispiel für die Andersartigkeit britischer Flottenpropaganda ist „The Invasion of 1910“. Der umtriebige Autor William Le Queux beschrieb mit freundlicher Beratung von General Lord Roberts schlachtenreich einen deutschen Überfall auf Großbritannien. Der Verleger Northcliffe änderte für diese Fortsetzungsgeschichte in seinem Massenblatt Daily Mail die Marschroute: „Die Invasoren sollten sich an die größeren Städte halten und nicht durch entlegene Provinzdörfer marschieren, deren Kaufkraft nicht ins Gewicht fiel.“ (S. 309) Mithilfe solcher Beispiele legt Geppert anschaulich die mehrdimensionalen Handlungszusammenhänge offen, verknüpft sie und macht so nachvollziehbar, wie journalistische, politische, militärische und verlegerische Interessen ineinander griffen und die geschürte Kriegsangst die Flottenrüstung ebenso beförderte wie die Verkaufszahlen der Daily Mail. Dass diese Geschichte in der deutschen Übersetzung mit einem Sieg der Angreifer endete, verschärfte die britische Panik weiter, so dass der ‚Panthersprung nach Agadir’ wieder einen Presskrieg auslöste.

Auch nach der zweiten Marokkokrise 1911 gab es wieder Entspannungsversuche, doch wie schon bei den Journalistenreisen 1906/07 waren die Effekte recht gering. Denn es ging eben nicht nur um durch die moderne Massenpresse aufgebauschte Missverständnisse zwischen den beiden Großmächten, sondern um handfeste Interessengegensätze, vor allem in der Flottenpolitik.

Brillant ist deshalb die augenscheinliche Lücke, die Geppert zum Kriegsausbruch lässt, denn die beiden letzten Jahre vor dem Krieg waren in Sachen Pressebeziehungen „von ungewöhnlicher Harmonie und Friedfertigkeit geprägt“ (S. 27). Gepperts Pressekriege sind somit kein Beitrag zur Kriegsursachenforschung 7, sondern eine hervorragende, international vergleichende historische Arbeit zur Rolle der Medien in der internationalen Politik vor der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen:
1 Vgl. Schildt, Axel, Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit, in: GuG 27 (2001), S. 177-206; Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1, München 1990, S. 797.
2 Vgl. Requate, Jörg, Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: GuG 25 (1999), S. 5-32, hier S. 6, Anm. 6.
3 Schildt, Axel, Massenmedien, S. 182. Vgl. generell u.a. Bösch, Frank; Frei, Norbert (Hrsg.), Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, sowie Hodenberg, Christina von, Konsens und Krise – Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen 2006. In seiner Rezension beklagt der Wiener Kommunikationswissenschaftler Langenbucher neidvoll, dass „außerhalb des Faches endlich Kommunikationsgeschichte geschrieben wurde.“ Langenbucher, Wolfgang R., Rezension von: Hodenberg Christina von, Konsens und Krise, in: Publizistik 52 (2007), S.114-115. Speziell zum Kaiserreich vgl. u.a. Kohlrausch, Martin, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Diplomatie, Berlin 2005 und Bösch, Frank, Das Private wird politisch: Die Sexualität des Politikers des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in: ZfG (2004), S. 781-801. Zum Vergleich von Großbritannien und Deutschland ferner Bösch, Frank, Zwischen Populärkultur und Politik – Britische und deutsche Printmedien im 19. Jahrhundert, in: AfS 45 (2005), S. 549-584, sowie (noch immer unverzichtbar) Requate, Jörg, Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995.
4 Auch Geppert erklärt gleich in seiner ersten Fußnote, dass er die Begriffe „England“ und „Großbritannien“ synonym verwendet (S. 1). Dennoch sei hier auf Winston Churchill verwiesen, der sich nach einem Treffen mit Ribbentrop 1937 beschwerte: „Auf dem Kontinent nennt man unser Land immer noch häufig ‚England’.“ Vgl. Churchill, Winston, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, Bern 1949, S. 276.
5 Ullrich, Volker, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871-1918, Frankfurt am Main 1997.
6 Der britische Journalist W. T. Stead äußerte schon 1886 unter der Überschrift „Gouvernment by Journalism“ eine ähnliche Beobachtung. Vgl. Bösch, Frank, Volkstribune und Intellektuelle: W. T. Stead, Maximilian Harden und die Transformation des politischen Journalismus in Deutschland und Großbritannien, in: Clemens Zimmermann (Hrsg.), Politischer Journalismus, Öffentlichkeiten und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2006, S. 99-120. Zu den nach wie vor wenig untersuchten genuin journalistischen Aspekten vgl. ebd. die Beiträge von Jörg Requate und Barbara Duttenhöfer.
7 Vgl. hierzu Rosenberger Bernhard, Zeitungen als Kriegstreiber? Die Rolle der Presse im Vorfeld des Ersten Weltkrieges, Köln u.a. 1998.