F. Rexroth: Deutsche Geschichte im Mittelalter

Cover
Titel
Deutsche Geschichte im Mittelalter.


Autor(en)
Rexroth, Frank
Reihe
C. H. Beck Wissen
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
121 S.
Preis
€ 7,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Frank Rexroth hat sich mit dem vorliegenden Buch der überaus schwierigen Aufgabe gestellt, rund 700 Jahre deutscher Geschichte im Mittelalter in extremer Komprimierung darzustellen. Auf 114 Seiten im kleinen Oktav-Format durchmisst er die Periode von Karl dem Großen bis zum Wormser Reichstag von 1495, und dies für das Publikum einer Schriftenreihe, deren Titelspektrum von ‚Allergien’ bis ‚Zweiter Weltkrieg’ reicht. Hier ist Popularisierung fachwissenschaftlicher Ergebnisse auf hohem Niveau gefragt; anders als in Frankreich, wo man sich auch als Forscher/in mit „haute vulgarisation“ einen Namen machen kann – was wären Georges Duby oder Jacques Le Goff ohne ihrer Bücher für eine breite Leserschaft? –, ist der Stellenwert solcher Vermittlungsleistungen bei deutschen Historiker/innen eher gering. Für differenzierte Analysen und einen ausgedehnten wissenschaftlichen Apparat ist hier kein Platz. Gefragt sind vielmehr geschickte Auswahl und gekonnte Reduzierung der Komplexität, ohne allzu freilich allzu viel an gedanklicher Tiefe aufzugeben.

Rexroth gliedert sein Buch in vier Kapitel und einen Epilog. Im ersten Kapitel widmet er sich der Gegenstandsbestimmung. Die Begriffe ‚Mittelalter’, ‚deutsch’ und ‚Deutsche Geschichte des Mittelalters’ werden charakterisiert. Dabei legt der Autor zwei wesentliche Prämissen fest: Er will erstens immer wieder die Sichtweise der Zeitgenossen suchen und zweitens keine Einheitsgeschichte des Reiches liefern, sondern die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen, Kultur und Formen des Politischen betonen. Die folgenden Kapitel (Vom Karolingerreich zum Reich der Deutschen; Das Reich bis zum Ende der Stauferzeit; Das Reich im späten Mittelalter, 1250-1495) bieten zwar geläufige Orientierungen an Dynastiewechseln und Zäsuren der politischen Geschichte, sind intern aber jeweils durch den der Ereignisgeschichte mindestens gleichwertigen Blick auf gesellschaftliche Grundprägungen gekennzeichnet. Unter dem Stichwort ‚Sozialmodelle’ werden für das frühe Mittelalter Stände, Familien und Gilden, für das Hochmittelalter Adelsherrschaft, Friedensbewegung und Kirchenreform, schließlich für den Ausklang des Mittelalters die allmähliche Ausbildung einer dualistischen, von Herrscher und Ständen getragenen Reichsverfassung behandelt. Diese strukturellen Annäherungen werden durch intensivere Blicke auf bestimmte Grundphänomene wie die höfische Kultur, die Gruppenkultur des Spätmittelalters sowie Frömmigkeit und Universitäten noch vertieft. Mit der Beschreibung des 15. Jahrhunderts als gestreckte Reformphase, in der sich der Aufstieg des Hauses Österreich vollzieht, wird der Boden für einen Anschlussband bereitet.

In der Form des knappen Epilogs kehrt Rexroth schließlich unter dem Titel „Die Humanisten entdecken die deutsche Nation“ zu wesentlichen Ausgangsfragen zurück: nach der Einheit und der Zusammengehörigkeit jenes politischen Gebildes, das als mittelalterliches Reich zwar zunehmend Konturen des Deutschen annimmt, ohne jedoch eine Nation im modernen Sinne zu sein. Diese beiden abschließenden Seiten wirken wie die kulturell verankerte Relativierung der Ergebnisse territorialer Vereinheitlichung, die mit der Schilderung des Wormser Reichstags von 1495 in verfassungsgeschichtlicher Hinsicht erreicht schienen. Hinweise zum Weiterlesen – keine Liste der zuvor synthetisierten Fachliteratur! –, ein Verzeichnis der Kaiser und Könige von den Ottonen bis zu Maximilian I. und ein Personenregister beschließen den Band.

Die Leser/innen werden zuverlässig in die Grundzüge einer deutschen Geschichte eingeführt, in der die Karolingerzeit nur als Entwicklungsvorlauf dient. Sie steht nicht unter dem Primat der politischen Ereignisse, sondern verfolgt durchgehend das Wechselspiel von gesellschaftlichen Bedingungen und politischen Handlungsmöglichkeiten. Statt auf Verfassungsstrukturen setzt Rexroth auf zeitgenössische Deutungsmuster und prägende Mentalitäten, um das Funktionieren von „Staatlichkeit“ zu erläutern. Dieses Innehalten im Ablauf der Ereignisschilderung gibt dem Text ein durchgängiges Fundament. Dem Leser vermittelt es nicht nur Einblicke in Kultur und Gesellschaft des deutschen Mittelalters, es versetzt ihn in die Lage, die andersartige Welt dieser Zeit in Ansätzen zu begreifen.

Dem unerbittlichen Zwang zur Komprimierung dürften sehr selten auftretende gedankliche Brüche geschuldet sein. Warum etwa Alexander III. „brilliant“ (S. 73) war, erfährt man nicht. Doch sind dies Kleinigkeiten, die angesichts der höchst respektablen Leistung des Verfassers bei Auswahl, Konzeption und sprachlicher Präsentation des Stoffes, nicht ins Gewicht fallen.

Frank Rexroth ist den durch die Vorgaben der Reihe gewiesenen Weg sehr konsequent gegangen. Dafür gebührt ihm allseits Anerkennung. Dabei ist ein Buch entstanden, das zu lesen lohnt und Freude macht.

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