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Titel
Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert


Herausgeber
Daniel, Ute
Erschienen
Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Fraund, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

Die Beschäftigung mit Bildern, ihrer Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte ist in den Geschichtswissenschaften nicht erst seit dem 11. September 2001 und dem Irak-Krieg 2003 „in“, aber sie hat sich seither weiter intensiviert. Die Geschichte der Kriegsberichterstattung lebt von dieser Hinwendung zum Bild. Das belegt eine große Anzahl neuerer Publikationen zu diesem Themenkomplex.1 Der vorliegende Band ist das Produkt eines von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) geförderten Projekts, das sich mit der Geschichte der Kriegsberichterstattung befasste. Teilweise basiert diese Publikation auch auf der Sektion „Geschichte der Kriegsberichterstattung“ des Kieler Historikertages 2004.

Der Titel „Augenzeugen“ zeigt bereits die grobe Zielrichtung: Es geht hier weniger um eine konsistente Geschichte der Kriegsberichterstattung als um das problematische Verhältnis zwischen Militär und Medien. Gleichwohl werden Kriege aus drei Jahrhunderten berücksichtigt – vom Siebenjährigen Krieg bis zum Irak-Krieg. Damit unterscheidet sich dieses Buch zumindest auf den ersten Blick von der breiten Masse der einschlägigen Publikationen, deren historischer Horizont meist nur vom Krimkrieg bis zum zweiten Golfkrieg von 1991 reicht.

Bei einem Untersuchungszeitraum von etwa 250 Jahren ist es selbstverständlich, dass nur ausgewählte Kriege und Aspekte behandelt werden können. So ist dieses Buch in erster Linie als „Einstiegshilfe konzipiert, die ein unwegsames, durch historische Detailforschung erst noch zu vermessendes Gelände mit einigen sicheren Trittstufen versehen soll“ (S. 10). Dennoch – und das ist der Hauptkritikpunkt – erliegen die Autoren/innen der Versuchung, sich in der Mehrzahl auf das an Kriegen so reiche 20. Jahrhundert zu stürzen: Von neun Aufsätzen befassen sich fünf mit diesem Zeitraum. So weist die Publikation doch einen ganz ähnlichen Horizont auf wie andere Publikationen zu diesem Themenbereich auch.

Die Herausgeberin Ute Daniel beschreibt in ihrem Aufsatz die Berichterstattung über den Krimkrieg. Dabei schildert sie auch die politische Situation in England selber. Durch Hinweise zur Geschichte der englischen Presse wird die Geschichte des Krimkrieges besser verständlich; so belegt Daniel etwa die kriegstreiberische Rolle der „Times“.

Frank Becker untersucht in seinem Aufsatz „Deutschland im Krieg von 1870/71 oder die mediale Inszenierung der nationalen Einheit“ die Mechanismen, mit denen Deutschland als Nation in diesem Krieg medial geschaffen wurde. Auf dem Schlachtfeld sollte aus der deutschen Kleinstaaterei eine Nation erwachsen – sowohl politisch als auch gesellschaftlich. Hierzu mussten Gesellschaft und Armee eine „unauflösliche Einheit bilden“ (S. 76). Dies konnte nur durch eine enge und emotionale Berichterstattung über diesen Krieg und gleichzeitig durch eine ebenso enge Berichterstattung aus der Heimat gelingen: „Zwischen Abschied und Heimkehr ist nichts geschehen, was nicht im wechselseitigen Einverständnis erfolgt wäre.“ (S. 80)

In seinem Aufsatz über den Burenkrieg erläutert Andreas Steinsieck den Einsatz von Film und Fotografie als Neuerung in der Berichterstattung über Kriege. Almut Lindner-Wirsching zeigt, dass im Ersten Weltkrieg beide Seiten mit dem Mittel der Zensur gearbeitet haben und die Arbeitsbedingungen der Journalisten/innen auf beiden Seiten der Front ähnlich waren.

Der Spanische Bürgerkrieg war laut Gerhard Paul ein „Krieg der Fotografen“. Die Fotoreporter auf beiden Seiten suchten sich mit ihren Bildern zu übertrumpfen. Auch der technikgeschichtliche Aspekt kommt bei Paul nicht zu kurz: Er kann zeigen, wie die leichteren und kleineren Kameras die Reporter/innen mobiler machten; zudem ermöglichte die Entwicklung hochempfindlicher Filme bessere und dramatischere Bilder von der Front. Bilder vom Krieg wurden in den Medien etwas vollkommen Normales, Alltägliches.

Kay Hoffmann schildert in seinem Aufsatz zur Kriegsberichterstattung der „Deutschen Wochenschau“ zum einen die Produktionsbedingungen bis hin zur Abnahme bzw. dem Eingriff in die Produktion durch Goebbels. Zum anderen arbeitet er heraus, wie die Ästhetik der Wochenschau auch nach dem Krieg noch etliche Jahre lang stilbildend war.

Lars Klein stellt die gängige Lesart in Frage, dass die Presse mit ihrer Berichterstattung über den Vietnamkrieg diesen in der amerikanischen Bevölkerung so unpopulär gemacht habe, dass die Regierung schließlich gezwungen gewesen sei, ihn zu beenden. Problematisch an Kleins Artikel ist, dass er sich – auch bei der Wiedergabe historischer Fakten – zu sehr auf die Memoiren der beteiligten Journalisten/innen verlässt. So gibt er, den Journalisten David Halberstam zitierend, die Zahl der amerikanischen Soldaten in Vietnam im Jahr 1960 mit 600 an (S. 194). Den offiziellen Zahlen zufolge waren es Ende 1960 dagegen 900 GIs.2 Zudem teilt Klein den Krieg in Vietnam etwas seltsam ein. Nach seiner Definition ist erst ab den Ereignissen im Golf von Tonking (August 1964) bis 1975 vom Vietnamkrieg zu sprechen. Doch schon vorher gab es massive Gefechte in Vietnam, die als Kriegsereignisse einzustufen sind. In der Gesamtaussage kann man Klein dagegen zustimmen: „Tatsächlich […] sind die Bedeutung journalistischen Berichtens für die Medienberichterstattung einerseits und sein Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft andererseits zwei völlig verschiedene Dinge – und letzterer war gering.“ (S. 212)

Der Aufsatz des Marburger Medienwissenschaftlers Karl Prümm fällt im Vergleich zu den anderen Aufsätzen des Bandes etwas ab. Schon der Titel „Die Definitionsmacht der TV-Bilder. Zur Rolle des Fernsehens in den neuen Kriegen nach 1989“ ist ziemlich unscharf. Folgt man der Definition Herfried Münklers, kann man zumindest den zweiten Golfkrieg nicht als „neuen“ Krieg bezeichnen.3 Ferner haben sich in jenen 17 Jahren seit 1989 dermaßen viele Kriege ereignet, dass eine genaue Analyse kaum zu leisten ist. Wünschenswert wäre hier eine engere zeitliche und begriffliche Begrenzung. Zudem bleibt für die Analyse das Grundproblem bestehen, dass im Fernsehen oftmals Sequenzen zu sehen sind, die mangels anderen Materials genommen werden mussten. Wenn keine anderen Bilder zu bekommen sind, dann muss der Redakteur eben diejenigen Bilder verwenden, die er zur Verfügung hat, seien sie auch der Propaganda verdächtig. Die Analyse der Fernsehsendungen ist daher kein hinreichendes Mittel, um dem Phänomen der Kriegsberichterstattung nachzuspüren. Irritierend wirkt in Prümms Artikel außerdem, dass er sich dem Irak-Krieg ausführlich widmet, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien aber beinahe ignoriert.

Insgesamt hinterlässt dieser Band einen positiven Eindruck. Von den angesprochenen Schwächen abgesehen bietet er eine interessante und lehrreiche Lektüre, die zum Weiterdenken anregt und deutlich zeigt, wie leicht Journalisten/innen zu willfährigen Sprachrohren von Politik und Militärs werden können. Der Band verdeutlicht aber auch, welche Hybris den Medien bisweilen innewohnt: Die Wahrnehmung der Kontrollfunktion geht immer mehr mit der Erkenntnis einher, dass aus dieser Funktion reale Macht erwächst – wobei die Selbstsicht der Medien, pazifizierend zu wirken, oft im Widerspruch zur Medienrealität steht.

Anmerkungen:
1 Davon seien nur einige genannt: Young, Peter; Jesser, Peter, The Media and the Military. From the Crimea to Desert Strike, Basingstoke 1997; Becker, Jörg, Medien im Krieg, in: Albrecht, Ulrich; Becker, Jörg (Hgg.), Medien zwischen Krieg und Frieden, Baden-Baden 2002, S. 13-26; Bussemer, Thymian, Medien als Kriegswaffe. Eine Analyse der amerikanischen Militärpropaganda im Irak-Krieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 53 (2003) H. 49-50, S. 20-28; Büttner, Christian; Gottberg, Joachim von; Metze-Mangold, Verena (Hgg.), Der Krieg in den Medien, Frankfurt am Main 2004; Paul, Gerhard, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004; Knieper, Thomas; Müller, Marion G. (Hgg.), War Visions. Bildkommunikation und Krieg, Köln 2005.
2 Vgl. <http://www.globalsecurity.org/military/ops/vietnam2.htm>.
3 Münkler, Herfried, Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 2002.

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