G. Schwerhoff: Zungen wie Schwerter

Cover
Titel
Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650


Autor(en)
Schwerhoff, Gerd
Reihe
Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven 12
Erschienen
Konstanz 2005: UVK Verlag
Anzahl Seiten
361 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jaser, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Rede von der Blasphemie hat wieder Konjunktur. Im Zeitalter des ‚iconic turn’ ist es wohl kein Zufall, dass im Mittelpunkt der jüngsten Blasphemie-Debatte die Sprache der Bilder stand: Angesichts der umstrittenen Mohammed-Karikaturen und der TV-Aufnahmen von weltweit aufgebrachten Muslimen reagierten die europäischen Medien mit dem gleichsam beschwörenden Verweis auf die prinzipiell unantastbare Meinungs- und Pressefreiheit der westlichen Demokratien. Kann der vermeintlich laxe Umgang mit der Blasphemie im säkularen Westen demnach in seiner historischen Perspektive als Fortschritts- und Modernisierungserzählung präsentiert werden? Ist die Kunst der Blasphemie gar ein „Signum der Moderne“ (S. 7)? Nein, meint Gerd Schwerhoff schon auf den ersten Seiten seiner Studie über Blasphemie in den alteuropäischen Gesellschaften, eine simple „Entgegensetzung von ‚frommer Vormoderne’ und ‚lästernder Moderne’“ sei „verkürzt“ (S. 8). Insofern helfen lineare Entwicklungsmodelle nicht weiter, vielmehr ist nach Schwerhoff eine „Neubestimmung der Religionsgeschichte“ (ebd.) geboten, welche die Blasphemie in ihre jeweiligen historischen Kontexte einordnet – eine Aufgabe, der sich Schwerhoff in dieser gestrafften Version seiner Bielefelder Habilitationsschrift von 1996 stellt. 1

Bewusst verzichtet Schwerhoff auf eine allgemeingültige Definition des fluiden Begriffs ‚Blasphemie’, der ohnehin „in der Regel nicht eine Selbstbeschreibung des eigenen Verbalverhaltens, sondern eine abwertende Fremdbeschreibung“ (S. 13) bezeichnet. Stattdessen versucht er, über den gelehrten Diskurs der zeitgenössischen Wahrnehmung der Gotteslästerung und damit der „Geschichte eines Stigmas“ (S. 16) näher zu kommen. Sowohl in den theologischen als auch in juristischen Debatten kommt Blasphemie als Zuschreibung daher, die sich weniger auf visuelle Produkte wie Karikaturen, sondern vielmehr auf Sprechhandlungen bezieht. Dabei markiert das 13. Jahrhundert einen entscheidenden „Wendepunkt“ (S. 118): Theologen/innen und Juristen/innen bemühten sich seither um eine systematische Reflexion und eine diskursive Abgrenzung des Phänomens der Blasphemie von anderen Redeweisen. Von hier aus gelingt Schwerhoff ein in zweifacher Hinsicht innovativer Durchbruch durch das Dickicht der Blasphemiegeschichte: Erstens leistet er „multiperspektivisch“ (S. 13) eine Zusammenschau von bisher meist getrennt behandelten Quellengattungen – theologische Abstraktionen und Zeugnisse aus der Rechtspraxis. Zweitens verfolgt er die Blasphemiediskurse in ihren Kontinuitäten und Wandlungen über die angebliche Wasserscheide der Reformation hinweg und vermeidet auf diese Weise eine freischwebende Analyse, wie sie beispielsweise Alain Cabantous jüngst vorgelegt hat. 2

Aus dem theologischen Diskurs lässt sich eine allgemeine Definition entnehmen, die aus den großen scholastischen Kompendien des 13. Jahrhunderts stammt und Blasphemie als Wortsünde, als schlechtes, ehrverletzendes Reden über Gott charakterisiert. Auf dieser definitorischen Grundlage erfolgte die strafrechtliche Profilierung des Blasphemie-Delikts. Sorgfältig zeichnet Schwerhoff die bekannten Etappen nach: Den Startschuss setzen wiederum zu Beginn des 13. Jahrhunderts fast zeitgleich eine päpstliche Dekretale, königliche Gesetze und städtische Statuten. Die weitere Entwicklung, insbesondere im Deutschen Reich, bestimmten nicht die mäßig engagierten geistlichen Gerichte, sondern weltliche Obrigkeiten: Im 14. und 15. Jahrhundert vor allem die Städte, die im strafrechtlichen Kampf gegen die Blasphemie ein „symbolische[s] Exerzierfeld obrigkeitlicher Moralpolitik“ (S. 139) sahen. Im 16. und 17. Jahrhundert folgten Gesetzesoffensiven des Reiches und der Territorien.

Während die Gesetzgebungs- und Sanktionierungskonjunktur bereits weitgehend erschlossen ist, gestaltet sich die Suche nach Erklärungsfaktoren schwieriger: Der häufig vorgebrachte Dreisatz von historischer Krisenerfahrung, vergeltungstheologisch vermittelter Angst vor dem Gotteszorn und obrigkeitlichem Normierungsanspruch ist Schwerhoff zufolge in seiner vermeintlichen Allgemeingültigkeit kritisch zu hinterfragen, zumal mit Blick auf das Spätmittelalter. Nur am Rande streift Schwerhoff daher Faktoren wie den Schutz der städtischen Schwurgemeinschaft vor einer möglichen Profanierung durch das blasphemische Schwören und stellt eine tatsächliche Zunahme von Blasphemiedelikten in den Städten in Frage. Zu begrüßen ist auch, dass Schwerhoff die theologische und juristische Perzeption der Gotteslästerung nicht als repressive Einbahnstrasse beschreibt. Vielmehr macht er immer wieder auf Bruchstellen und Ambivalenzen aufmerksam: Neben der Perhorreszierung, etwa wenn blasphemische Äußerungen als körperliche Verletzung Gottes imaginiert werden, stehen im theologischen Diskurs auch Strategien der Bagatellisierung und Differenzierung: man lernt zu unterscheiden zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Blasphemie und wertet letztere als lässliche Sünde. Auch die Kriminaljustiz lässt eine „überwiegend episodische Strafpraxis“ (S. 304) erkennen, in deren Repertoire Geldbußen, Ehrenstrafen, Stadtverweisen und spiegelnde Körperstrafen standen. Die fehlende Anzeigebereitschaft der Bevölkerung komplettiert das Bild eines eher geringen Repressionserfolges der Obrigkeiten angesichts der „alltägliche[n] Praxis der Blasphemie“ (ebd.).

Im zweiten Hauptteil seiner Untersuchung widmet sich Schwerhoff den unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Gotteslästerung und profiliert dabei das blasphemische Verhalten als soziale Praxis im Bourdieuschen Sinne, wobei die historischen Akteure in ihren jeweiligen Kontexten in den Blick geraten. In einem weiten Analysebogen werden lästerliche Schwüre und blasphemische Flüche als sozial produzierte Sprechakte vorgestellt, wobei insbesondere die Flüche auf eine Herabwürdigung des Gegners abzielen, ohne allerdings zwangsläufig als magische Bedrohung wahrgenommen zu werden – nur am Ende einer hochkomplexen Deutungskette mit vielen Variablen wurde aus einem Fluch eine gefährliche Verwünschung. Dabei lässt sich das „variationsreiche Repertoire blasphemischer Reden, Gesten und Taten“ (S. 254) auf einen „gleichsam universalisierten Basiscode“ (S. 281) zurückführen; denn Blasphemie ist, so lautet Schwerhoffs zentrale These, zunächst und in erster Linie eine theatralische Selbstinszenierung, die eine flexible Semantik aufweist und vor allem in Konfliktsituationen zur Inszenierung von Macht, Souveränität und äußerster Konfliktbereitschaft dient.

Infolgedessen ist die Frage nach den sozialen Kontexten dieses kommunikativen Codes unumgänglich, die Schwerhoff zu verschiedenen gesellschaftlichen Szenarien bündelt. So war der klassische Anlass für eine Gotteslästerung das Glückspiel: An den Spieltischen der Wirtshäuser und Tavernen führten Alkoholgenuss und das oft als übernatürliches Wirken wahrgenommene Zufallsprinzip zu einer Häufung blasphemischer Ausdrücke, die allerdings in diesem Fall auch gemeinschaftsstiftende Funktionen besaß, da Frauen in den einschlägigen Kriminalakten deutlich unterrepräsentiert sind, kann Gotteslästerung dabei auch als „Code der Männlichkeit“ (S. 284) beschrieben werden, der „die Rolle des harten, furchtlosen Mannes“ (ebd.) reproduzierte – nicht von ungefähr waren es vor allem Kriegsleute und Adelige, die ihre professionelle Gewaltbereitschaft und ihren herrschaftlichen Habitus durch blasphemische Äußerungen unterstützten. Am anderen Ende der gesellschaftlichen Hierarchie gehörte Gotteslästerung „geradezu zum Rollenset mancher Marginalisierter und Außenseiter“ (S. 287), in diesem Fall freilich aus einer Position der Schwäche und Ohnmacht heraus.

Es ist gerade diese soziale, räumliche und geschlechtsspezifische Kontextualisierung des Phänomens ‚Blasphemie’, die Schwerhoffs Darstellung in ganz besonderer Weise auszeichnet. Mit einem solchen flexibilisierten Interpretationsrahmen lassen sich starre Entwicklungsnarrative ebenso vermeiden wie pauschale Erklärungsansätze, die die Blasphemie als frühen Indikator des Unglaubens und des Atheismus verorten. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass über diesen Fokus auf die soziale Produktionsweise der Gotteslästerung die blasphemischen Sprechakte selbst etwas aus dem Blickfeld geraten: Es fehlen weithin Reflexionen über die mediale Disposition der Blasphemie, die als mündliche performance – folgt man Jack Goody – im Vergleich zur schriftlichen Artikulation einen engeren Bezug zur Realität aufweist und einer „power over matter“ Bahn bricht. 3 Hier hätte ein kurzer Seitenblick auf die reiche Oralitätsforschung genügt, um die gewinnbringende Kennzeichnung der Blasphemie als Machtgeste auch von ihrem medialen Befund her zu unterstreichen. Ebenso bleibt die Sprechakttheorie als Analyseinstrument in Schwerhoffs Untersuchung merkwürdig blass: Obwohl blasphemische Äußerungen immer wieder mit dem Label ‚Sprechakt’ versehen werden, wird das methodische Potential dieses Theorieangebots nur unzureichend genutzt; gerade die Präzisierungen Searles oder die soziologische Öffnung der Sprechakttheorie durch Bourdieu hätten für die phänomenologische Kategorisierung des blasphemischen Sprechens fruchtbar gemacht werden können. 4 Trotz dieser Bedenken hat Schwerhoff mit seiner Untersuchung für eine praxeologische Neuorientierung der Blasphemieforschung wichtige und entscheidende Impulse gesetzt.

Anmerkungen:
1 <http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2004/617/pdf/Zentraldokument.pdf> (18.4.2006).
2 Cabantous, Alain, Geschichte der Blasphemie, Weimar 1999.
3 Goody, Jack, Literacy, criticism and the growth of knowledge, in: ders., The domestication of the savage mind, Cambridge 1977, S. 36-51, hier S. 46.
4 Bourdieu, Pierre, Was heißt sprechen? Zur Ökonomie des sprachlichen Tausches, 2. Aufl. Wien 2005.