U. Rublack: Die Reformation in Europa

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Titel
Die Reformation in Europa.


Autor(en)
Rublack, Ulinka
Reihe
Europäische Geschichte
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Fischer Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
278 S.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kai Bremer, Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Universität Osnabrück

Weniger die europäische Perspektive, als vielmehr die methodische Herangehensweise ist reizvoll an Ulinka Rublacks Buch „Die Reformation in Europa“. Erstmals liegt damit nämlich ein deutschsprachiger Versuch vor, in einer Überblicksdarstellung einer prominenten Reihe - die „Europäische Geschichte“ im Fischer-Verlag - verschiedene methodische Angebote jenseits etablierter politik-, kirchen- und sozialgeschichtlicher Ansätze für die Reformationsgeschichtsschreibung in Anschlag zu bringen, etwa aus den Bereichen der Wissenssoziologie, der Kultur- und der Geschlechtergeschichte. Behandelt wird in etwa das erste Jahrhundert nach der Reformation, allerdings bleibt die kulturelle Wirkung der Reformation jederzeit bestimmender Fokus der Darstellung. Fragen etwa der Politik- oder Sozialgeschichte werden kaum berührt, wodurch das Buch insgesamt konzentriert wirkt. Gut zu lesen ist es auch wegen seines flüssigen Stils. Auf eine knappe Einleitung folgen vier Kapitel. Im ersten steht die Wittenberger Reformation im Zentrum. Darauf baut das zweite auf, das punktuell den Blick auf die Außenwirkung der Reformation richtet. Im dritten Kapitel steht die calvinistische Reformation im Mittelpunkt. Beendet wird das Buch durch Beispiele und Konkretisierungen der Frömmigkeitspraxis und zum religiösen Alltag.

In einer knappen Einleitung führt Rublack exemplarisch in die „religiöse Weltsicht“ (S. 13) der Menschen im frühen 16. Jahrhundert ein und situiert die Reformation damit als ein voraufklärerisches Ereignis von Rang, das allerdings nicht so dargestellt wird, als sei der Weg zum reformatorischen Glauben ein Erkenntnisprozess ohne irrationale Momente gewesen. Als Beispiel dafür führt sie das bekannte Flugblatt vom ‚Papstesel’ an, durch das die reformatorische Kritik am Papsttum eindrucksvoll veranschaulicht wurde. Die propagandistische Wirkungsmacht der Flugblätter wird jedoch unverhältnismäßig über-, die der Flugschriften und Traktate unterschätzt, wenn es heißt: „Mit solchen Aufrufen bewirkten Luther und Melanchthon tatsächlich grundlegende geschichtliche Änderungen: Unzählige Klöster und Konvente wurden aufgelöst, und Priester heirateten.“ (S. 12) Nicht nur, dass eine allgemeine Polemik gegen das Papsttum noch keine Kloster- oder Zölibatskritik ist. Gerade die Klosteraustritte waren für die ‚gewesenen’ Nonnen und Mönche von einer solch gewaltigen, in aller Regel auch materiell grundlegenden Qualität, dass Flugblätter dieser Art wohl kaum bei der Entscheidung zum Klosteraustritt von Bedeutung gewesen sein dürften. Vielmehr dürften die Argumente dafür auch weiterhin im konventionellen theologischen Schrifttum zu suchen sein. 1

Im ersten und ausführlichsten Kapitel schildert Ulinka Rublack die Anfänge der Reformation, bettet diese in spätmittelalterliche Kirchenkritik und vormodernen Aberglauben ein und stärkt damit, ohne dies explizit zu machen, die auf Ernst Troeltsch zurückgehende und heute vielleicht kulturwissenschaftlich zu nennende Deutungsperspektive der Reformation. Dabei orientiert Rublack sich nicht nur an Luther, sondern stellt außerdem die Verhältnisse in Wittenberg mit seiner neu gegründeten Universität vor. Von dieser Grundlage aus wird ein Gesamteindruck der frühreformatorischen Verhältnisse, der theologischen und medialen Revolutionen vermittelt, in den damit korrespondierende Praktiken wie die Religionsgespräche und Ereignisse wie der Bauernkrieg eingeordnet werden. Das dürfte vor allem jüngere, also besonders studentische Leser nicht nur wegen des Facettenreichtums, sondern auch wegen des um Anschaulichkeit und Leichtigkeit bemühten Stils ansprechen. Außerdem bereichert Rublack die Analyse der Wittenberger Verhältnisse durch einen geschlechtergeschichtlichen Abschnitt mit dem Titel „Emotionale Gefüge“, in dem sie dem Thema „Luther und die Männer“ nachspürt (S. 58). Dies läuft letztlich auf eine Schilderung des intellektuellen und politischen Sozialgefüges in Wittenberg hinaus, ergänzt um die eines um Innigkeit bemühten und vom Humanismus beeinflussten Freundschaftskultes unter den Reformatoren und den zentralen politischen Gestalten der Stadt. Durch diese Perspektive vermittelt Rublack außerdem einen präzisen Eindruck von Zusammenhalt und Zusammenarbeit in Wittenberg. Ob die Wittenberger Verhältnisse um Luther freilich derart außergewöhnlich waren, wie es Rublacks Darstellung nahe legt, muss bezweifelt werden. Gibt es überhaupt irgendeinen anderen ‚Männerzirkel’ im Reich, über den wir annähernd ähnlich gut informiert sind, um ein wertendes Urteil zu fällen? Beendet wird das erste Kapitel durch eine Darstellung der medialen Verbreitungstechniken des reformatorischen Gedankengutes. Im Gegensatz zu anderen Überblicksdarstellungen zur Reformation räumt Rublack nicht nur den gedruckten Text- und Bildmedien Raum ein, also Flugschrift und -blatt, sondern auch dem gesprochenen Wort in Gestalt der Predigt. Durch diesen einfachen wie überzeugenden Kniff gelingt es ihr, die Komplexität und Spezifik einer weitgehend durch Mündlichkeit geprägten Kommunikationskultur zu veranschaulichen.

Im zweiten Kapitel stehen, das mag im ersten Moment überraschen, Einzelpersonen im Zentrum: Karl V., Erasmus von Rotterdam, Ulrich Zwingli, Margarete von Navarra, Martin Bucer. Rublack nutzt deren unterschiedliche Lebenswege und -stationen, um die Ausbreitung der Reformation zunächst im Reich und sodann im gesamten Europa, aber auch die Widerstände dagegen verständlich zu machen. So wird der in manch anderer Reformationsgeschichte recht kurz erwähnte Schmalkaldische Krieg in das Kapitel zu Martin Bucer eingewoben, wodurch es Rublack überzeugend gelingt, die Krisensituation des Luthertums nach Luthers Tod zu veranschaulichen und gleichzeitig den Kreis der präsentierten Reformatoren gezielt zu erweitern. Von Bucer ausgehend, nimmt Rublack sodann die Ausbreitung der reformatorischen Lehre in Europa in den Blick, was jedoch teilweise sehr knapp ausfällt: Der Abschnitt „Verankerungen der europäischen Reformation“ wird auf nicht einmal vier Seiten abgehandelt - ergänzt um die Abschnitte „Der Süden“ und „Ostzentraleuropa“ auf ebenfalls je vier Seiten. Da erwartet der Leser von einem Buch der Reihe „Europäische Geschichte“ doch deutlich mehr Informationen.

Allerdings muss bei dieser Kritik berücksichtigt werden, dass Rublack sich im dritten Kapitel der Genfer Reformation zuwendet. Dies geschieht unter Rückgriff auf Weber und ist mit einer ersten Fokussierung auf Fragen der Glaubenspraxis verbunden. Auf die sich anschließende Biografie Calvins und einen Überblick über die Genfer Verhältnisse folgt die europäische Perspektive, da die wichtigsten Stationen des Calvinismus durch Europa nachgezeichnet werden: Frankreich, die Niederlande, Ungarn und Transsilvanien und der Hofcalvinismus in Brandenburg. Dadurch wird gleichzeitig auch der Zeithorizont bis zum Vorabend des Dreißigjährigen Krieges erweitert.

Im letzten und vierten Kapitel wendet sich Rublack den „Alltagswahrheiten“ (S. 248) zu; ein schillerndes Kapitel, in dem einzelne Geschichten aus dem behandelten Zeitraum erzählt werden, die Einblick in die nachreformatorischen Lebenswelten und in die Alltagskultur erlauben, wodurch Rublack auf eindrucksvolle Weise das in den vorhergehenden Kapiteln Ausgeführte anschaulich macht und konkretisiert. Die Verfasserin zeigt sich in diesem Kapitel als würdige Nachfolgerin Robert Scribners. 2 Damit rückt zum Abschluss dieses Buches noch einmal die Glaubenspraxis in den Mittelpunkt des Interesses, was in prägnanten Abschnitten etwa zur Predigt und zum kirchlichen Gesang mündet. Die Entwicklungen innerhalb der alten Kirche berücksichtigt Rublack allerdings nicht, was durch den Hinweis auf Ronnie Po-chia Hsias Buch über die „Gegenreformation“ entschuldigt wird. 3 Solch faszinierende Einblicke in die Glaubenspraxis, wie sie Rublack liefert, gewährt dieser freilich nicht, so dass diese Auslassung mit deutlichem Bedauern zur Kenntnis genommen werden muss.

Anmerkungen:
1 Zentral ist Luthers „De votis monasticis iudicium“ (in: WA 8, S. 573-669); zur Rezeptionsgeschichte vgl. Schilling, Johannes, Gewesene Mönche. Lebensgeschichten in der Reformation, München 1990; Rüttgardt, Antje, Die Diskussion um das Klosterleben von Frauen in Flugschriften der frühen Reformationszeit, in: Anne Conrad (Hg.), ‚In Christo ist weder man noch weyb’. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform, Münster 1999, S. 69-94.
2 Ulinka Rublack lehrt in Cambridge Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit; vgl. auch ihre Danksagung S. 273.
3 Po-chia Hsia, Ronnie, Gegenreformation, Die Welt der katholischen Erneuerung 1540-1770, Frankfurt am Main 1998.

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