F. Bindernagel u.a.: Das Magdeburger Aussenlager der Brabag

Titel
Ein KZ in der Nachbarschaft. Das Magdeburger Außenlager der Brabag und der "Freundeskreis Himmler"


Autor(en)
Bindernagel, Franka; Bütow, Tobias
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Wolters, Hannover

Kürzlich haben Tobias Bütow und Franka Bindernagel ein Buch über ein Außenlager des KZ Buchenwald, das KZ „Magda“ in Magdeburg, vorgelegt. Die Autoren behandeln darin nicht nur die Geschichte des Lagers. Sie spannen einen Bogen von der Gründung der Braunkohle-Benzin-AG (Brabag) über den „Freundeskreis Heinrich Himmler“, das Wiederaufbauprogramm „Geilenberg“ des Rüstungsministeriums und die Deportation der ungarischen Juden bis zu jenen Häftlingen, die in Magdeburg-Rothensee für die Brabag Zwangsarbeit leisten mussten.

Die Brabag wurde 1934 gegründet und hatte ihren Sitz am Schinkelplatz 1 in Berlin. Sie war einer jener Betriebe, die im Rahmen der wirtschaftlichen Autarkiebestrebungen des nationalsozialistischen Deutschlands entstanden und unmittelbar staatlich gefördert wurden. Die Brabag produzierte synthetischen Treibstoff, von dem schon in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre angenommen wurde, dass er von entscheidender Bedeutung für einen kommenden Krieg sein würde. Unter der Ägide Hjalmar Schachts schlossen sich daher führende Industrielle der Kohle- und Mineralölbranche zusammen. Staat und Partei nahmen starken Einfluss auf die Belange der Brabag. Dem Aufsichtsrat gehörte Wilhelm Keppler an, Hitlers engster Wirtschaftsberater jener Jahre. Der vierköpfige Vorstand wurde aus Heinrich Koppenberg, dem Chef der Junckers-Werke, Carl Krauch, dem I.G. Farben-Vorstand und renommierten Chemiker und Spezialisten für Hydrierverfahren, Alfred von Vollard-Bockelberg, dem ehemaligen Chef des Heereswaffenamtes und Fritz Kranefuß, einem Vertrauten Himmlers, der dessen „Freundeskreis“ organisierte, gebildet.

Kranefuß spielte innerhalb des „Freundeskreises“ eine zentrale Rolle und muss als einer der häufig unterschätzten Funktionsträger innerhalb der SS gelten. Seine Biografie ist bis heute kaum erforscht. Wie Himmler im Oktober 1900 geboren, teilte Kranefuß die Erfahrungen der „Kriegsjugendgeneration“. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und mehreren Jahren Berufserfahrung in den 1920er-Jahren erhielt Kranefuß, protegiert durch seinen Onkel Wilhelm Keppler, eine leitende Position in der Wirtschaftsabteilung des „Verbindungsstabes der NSDAP“ unter Rudolf Hess. Da er sich als befähigt erwies, wurde der erst 34-jährige Kranefuß in den Vorstand der Brabag berufen. Dies bedeutete nicht nur einen „wichtigen Karrieresprung“, sondern auch „die erste Bewährungsprobe in einer Scharnierposition zwischen Wirtschaft und Politik“ (S. 44), wie Bütow und Bindernagel betonen. Diese ihm bereits in den frühen 1930er-Jahren zugewiesene Rolle sollte Kranefuß mit großem Engagement spielen.

Der „Freundeskreis Himmler“ war ein „wirtschaftspolitisch motiviertes Elitenetzwerk“, so Bütows und Bindernagels Befund (S. 50). Bei seinen Zusammenkünften trafen sich Akteure aus der Wirtschaft, der SS und der Ministerialbürokratie, die gemeinsame Interessen ausloteten, Informationen austauschten und Entscheidungen forcierten. Der „Freundeskreis“ war, wie Bütow und Bindernagel anhand vieler Beispiele nachweisen können, weit mehr als ein bloßer Spendenverein Himmlers. Seine Mitglieder hörten zusammen Vorträge wie beispielsweise von Heydrich im RSHA über die „Feinde des Nationalsozialismus“ oder, auf Wunsch Himmlers, von Otto Ohlendorf über den „Einsatz auf der Krim“, der zudem auch einen Film zum Thema vorführen ließ. 1936 und 1939 besuchten die Mitglieder des „Freundeskreises“ die Konzentrationslager Dachau und Sachsenhausen. Sie wussten daher auch sehr genau über die Möglichkeiten des Einsatzes von KZ-Häftlingen in deutschen Unternehmen Bescheid. Als in der zweiten Hälfte des Kriegs der Arbeitskräftemangel immer drückender wurde, profitierte eine steigende Zahl von Firmen von der Zwangsarbeit der Häftlinge. Im Herbst 1944 waren es mindestens 400.000, die vor allem in der Rüstungsindustrie arbeiten mussten. Betrieben wurde der „Häftlingsverleih“ von dem durch Oswald Pohl geleiteten SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg. Dessen Abteilungsleiter, Gerhard Maurer (Abt. Arbeitseinsatz der Häftlinge), verhandelte mit Fritz Kranefuß und Erich Würzner, dem Magdeburger Brabag-Betriebsdirektor, direkt über die Zuteilung von Häftlingen (S. 71).

Da die synthetische Treibstofferzeugung für die Kriegsführung von grundsätzlicher Bedeutung war, etwa 90 Prozent des kriegsnotwendigen Flugbenzins wurde im Hydrierverfahren erzeugt, wurden auch die Brabag-Werke Teil des so genannten „Geilenbergprogramms“. Dieses Wiederaufbauprogramm des Rüstungsministeriums unter der Führung von Edmund Geilenberg diente der schnellen Wiederherstellung von besonders wichtigen Produktionsanlagen. In einer Zeit, als selbst KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte nicht mehr in beliebiger Zahl verfügbar waren, konnte Geilenberg deren Einsatz kurzfristig anordnen. Allein in den vier Hydrieranlagen der Brabag wurden von Ende Mai bis Oktober 1944 nahezu 10.000 KZ-Häftlinge eingesetzt. Die meisten von ihnen waren ungarische Juden, unter ihnen Imre Kertesz, der im Brabag-Werk in Zeitz arbeitete. Zivile Ingenieure der Unternehmen, die so genannten „Werksbeauftragten“, koordinierten die Arbeit der Häftlinge vor Ort. Diesem bisher weitgehend unbekannten Bereich der Verzahnung von KZ-System und Kriegswirtschaft gehen Bütow und Bindernagel am Beispiel der Brabag und des Hydrierwerks in Magdeburg gezielt nach und zeigen dabei auf, dass die „Werksbeauftragten“ über das Schicksal der Häftlinge bestimmten. Sie „bestellten“ neue Häftlinge und forderten Selektionen, wenn die Arbeitsleistung der erbarmungslos Ausgebeuteten sank (S. 98ff.). Die Arbeitskommandos umfassten nicht nur Reparaturmaßnahmen nach Bombenangriffen, sondern ebenso den Bau verschiedener Bunker, teilweise an gut von der Bevölkerung einsehbaren Orten.

Aber nicht nur die Arbeit der Häftlinge fand vor den Augen der Öffentlichkeit statt, sondern auch deren Unterbringung in einem Barackenlager mitten in einem Wohngebiet. Der Lagereingang war buchstäblich, wie auch eine Luftaufnahme und ein Foto der Heinrichsberger Straße zeigen, zwischen den Wohnblocks. Ebenso wie den Arbeitsbedingungen gehen Bütow und Bindernagel akribisch den Bedingungen innerhalb des Lagers nach (S. 113ff.). Einige Nachbarn und andere Magdeburger trugen Informationen zum Lager „Magda“ bei. Bütow und Bindernagel fanden in den fünf Jahren ihrer Recherche mehrere Überlebende. Einzelne von ihnen kommen in dem Buch zu Wort, unter ihnen der heute in Australien lebende John (Janos) Weiner.

Auf den gut 200 Seiten ist es Bütow und Bindernagel gelungen, die Geschichte des Lagers „Magda“, der KZ-Häftlinge, der Täter auf den verschiedenen Ebenen und der unzähligen Mitwisser zusammenzuführen. Die quellengesättigte Arbeit zeigt ein Mal mehr, dass bei sorgfältiger Recherche die Rekonstruktion solcher historischen Zusammenhänge möglich ist. 18 sorgfältig ausgewählte Fotos runden die Studie ab. Gleichzeitig verweisen Bütow und Bindernagel mit ihrem Buch auf zwei Desiderate der Forschung. Weder zum „Freundeskreis Heinrich Himmler“, der zuletzt von Reinhard Vogelsang 1972 wissenschaftlich untersucht wurde, noch zu den „Geilenberg-Werksbeauftragten“ existiert eine befriedigende Studie. Abgesehen vielleicht von einer etwas zu ausführlichen Einleitung, etwas kürzer hätte sie sein dürfen, besticht das Buch durch die Beschränkung auf das Wesentliche und den sachlichen Schreibstil. Damit kommt es sicher dem Wunsch einer größeren Leserschaft nach einer knappen, präzisen Darstellung entgegen. Bütows und Bindernagels Buch über das „KZ in der Nachbarschaft“ sind daher viele Leser, auch über das Fachpublikum hinaus und vor allem in der Stadt Magdeburg selbst zu wünschen.

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