K. Gottschalk: Eigentum, Geschlecht, Gerechtigkeit

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Titel
Eigentum, Geschlecht, Gerechtigkeit. Haushalten und Erben im frühneuzeitlichen Leipzig


Autor(en)
Gottschalk, Karin
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Campus Verlag
Anzahl Seiten
306 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Werkstetter, Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Augsburg

Im Zentrum der Studie von Karin Gottschalk, die sich gleichermaßen als Beitrag zu einer Sozialgeschichte des Rechts’ wie zu einer ‘Geschlechtergeschichte des Rechts’ versteht, steht das im mittelalterlichen Sachsenspiegel wurzelnde Rechtsinstitut der ‘Gerade’. Als ‘Gerade’ wurde die von Frauen neben dem Heiratsgut in die Ehe eingebrachte ‘Ausstattung’ bezeichnet: „Schmuck, Kleidung, Leibwäsche und Bücher einer Frau ebenso wie Bettzeug, Bettwäsche, Tücher, Vorhänge, Stoffe, Garn und weiterer Hausrat“ sowie die der Aufbewahrung der Gegenstände dienenden Schränke, Truhen und Kisten (S. 13). Unter eigentums- und erbrechtlichen Gesichtspunkten war das Besondere an der ‘Gerade’, dass diese grundsätzlich im persönlichen Eigentum der Frauen blieb und an die jeweils nächste weibliche Verwandte in weiblicher Linie, an die so genannte ‘Niftel’, vererbt wurde. Letzteres sollte sich im Untersuchungszeitraum – im Kern die Jahre zwischen 1630 und 1680 und damit die Zeit, in der der Untersuchungsraum, im Wesentlichen die Stadt Leipzig, vom Dreißigjährigen Krieg betroffen war bzw. sich in der Konsolidierung befand – jedoch ändern.

Die Autorin geht ihren in der Einleitung (S. 13-29) entwickelten Fragestellungen in drei großen Kapiteln nach: Kapitel I. „Die Vererbung der Gerade“ (S. 30-91) erläutert die Entwicklung des Erbrechts und analysiert das „Verhältnis von Rechtsnormen und sozialen Normen zueinander wie zu obrigkeitlichen und bürgerlichen Vorstellungen von einer gerechten und ökonomisch sinnvollen Vererbung der Gerade“ (S. 21). In Kapitel II. „Haushalten und ‘bürgerliche Nahrung’“ (S. 92-180) werden die „Gebrauchsweisen und -kontexte der Gerade“ eruiert und „zu den ökonomischen Bedingungen des Haushaltens, der Arbeitsorganisation in den städtischen Gewerben und den Ordnungskonzepten der städtischen Gesellschaft in Bezug gesetzt“, wodurch der Kompetenzbereich der ‘Hausmütter’ in den Blick rückt (S. 23). Kapitel III. „Der Gemeine Nutzen und die Legitimität der Gerade“ (S. 181-264) schließlich untersucht den Prozess der „Delegitimierung des Rechtsinstituts Gerade in obrigkeitlicher und rechtswissenschaftlicher Perspektive“ (S. 23), der auf lokaler Ebene 1654 begann und auf staatlicher Ebene mit der Abschaffung der Gerade im Jahr 1814 endete. Dem knappen Schlusskapitel (S. 265-270) und der Bibliografie folgt ein Quellenanhang, der Einblicke in die rechtliche Entwicklung über einen Zeitraum von sechs Jahrhunderten gewährt (S. 290-306).

Dass ein so umfassendes Erkenntnisinteresse der Sichtung und Auswertung beachtlicher Quellenbestände unterschiedlichster Provenienz bedarf, liegt auf der Hand. Von besonderer Relevanz für die beiden ersten Kapitel erweisen sich die Leipziger Vormundschaftsakten, in denen Karin Gottschalk insgesamt 352 Erbteilungen ermittelte, die über Inventare, Verhandlungsprotokolle und Erbvergleiche, Testamente, Ehe- und Schenkungsverträge wichtige Einblicke in die Art der vorhandenen Güter und deren Nutzung im Alltag sowie in Vererbungs- und Rechtspraktiken geben. Die schrittweisen Änderungen der Rechtsnormen und die Begründungen hierfür, die im Wesentlichen Kapitel III thematisiert, werden dagegen in den lokalen Statuten, in den zwischen dem Leipziger Rat bzw. der Leipziger Universität und der Landesregierung gewechselten Schriften, in Denkschriften und Gutachten der verschiedenen Beteiligten greifbar. Als weitere Quellengruppe bezieht Karin Gottschalk wissenschaftliche Publikationen, Handbücher, akademische Gelegenheitsschriften, insbesondere aber Dissertationen, die sie als „wesentliche Quelle zur Analyse des juristischen mainstream“ bezeichnet, mit ein. (S. 24-29, Zitat S. 29).

Die komplexen Befunde dieser Studie können hier nicht in ihrer ganzen Breite resümiert werden, weshalb ich zwei Schwerpunkte setzen und zunächst die Bedeutung des Rechtsinstituts der Gerade für die Frauen und den Haushalt und daran anschließend die Eingriffe in dieses Rechtsinstitut bis hin zu seiner Abschaffung nachzeichnen und die aufgezeigten Begründungen hierfür knapp reflektieren möchte.

Dass das, was Frauen in die Ehe einbrachten – Heiratsgut und ‘standesgemäße Ausstattung’ sowie ihre Arbeitskraft –, für die Sicherung der ‘Nahrung’ unverzichtbar und für den Status der Frauen in der Ehe bedeutsam war, ist seit den Arbeiten von Heide Wunder im Bewusstsein und wurde zuletzt etwa in Studien zum städtischen und ländlichen Handwerk wie auch zur Erbpraxis wieder evident. 1 Die rechtliche Sonderbehandlung eines Teils dieses ‘Einbringens’ im Geltungsbereich des sächsischen Rechtes unter der Bezeichnung ‘Gerade’ fand – wie Karin Gottschalk herausarbeitet – eine Begründung in der Tatsache, dass die entsprechenden Gegenstände im Kompetenzbereich der ‘Hausmütter’ Verwendung fanden, in ihrer Verfügungsgewalt standen, durch ihren sparsamen und sorgsamen Umgang zusammengehalten und vermehrt wurden. Was in ihrem ‘Beschluss’ stand, wurde Teil der Gerade und damit ihr Eigentum, auch wenn es vom Ehemann angeschafft worden war. Die Weitergabe der Gerade nach dem Tod einer Frau ausschließlich in weiblicher Linie sicherte den Töchtern bzw. der nächsten Niftel gleichsam als Ergebnis guten Haushaltens der Erblasserin wiederum eine in der Regel ihrem Stand angemessene Ausstattung oder kam – wenn die Niftel eine bereits verheiratete und mit Gerade versorgte Frau war – über diese jüngeren weiblichen Verwandten zu. Die Bedeutung der Gerade für den Haushalt und die ‘bürgerliche Nahrung’ legte es nahe, bei der Wahl eines Ehepartners auf das Vorhandensein einer ausreichenden Gerade zu achten: Bei Erstehen, um eine gute Basis zu schaffen, bei Wiederverehelichungen, um den Haushalt erneut mit Geradestücken auszustatten.

Aus der Forschungsperspektive der Rezensentin besonders interessant sind die Bezüge, die Karin Gottschalk zwischen der Gerade und dem städtischen Handwerk herstellt, indem sie Geradestücke als Betriebsmittel interpretiert, die die Meisterfrau zur Verfügung stellte und durch ihre Arbeit erhielt. Das Mitwohnen von Gesellen, Lehrlingen und sonstigem Gesinde im Meisterhaushalt forderte nicht nur Versorgungsleistungen wie etwa die Zubereitung der Kost, sondern auch Haushaltsmittel wie z.B. Betten, die als Lohnbestandteile – Gewährung von Logis – zu Betriebsmitteln wurden. Anhand der Besitzverzeichnisse von Frauen dreier verschiedener Handwerke kann die Autorin belegen, dass nach dem Tod einer Meisterfrau nicht nur eine unverzichtbare Arbeitskraft fehlte , sondern dass darüber hinaus die Notwendigkeit, die gesamte Gerade der Verstorbenen herausgeben und ersetzen zu müssen, dem Betrieb erhebliche Probleme bereiten konnte. Nicht zuletzt hierin lag ein Ansatzpunkt für die Aufweichung der Gerade.

Während das Eigentumsrecht der Ehefrauen an der Gerade bis zu ihrer Aufhebung im Jahr 1814 unangetastet blieb, war der Erbgang der Gerade in Leipzig gravierenden Einschnitten ausgesetzt, die 1654/55 die städtischen Statuten und 1671/72 sowohl die städtischen Statuten wie auch die Universitätsstatuten betrafen. Die 1655 in Kraft getretene Änderung führte erstmals dazu, dass auch Männer in den Genuss der Gerade kommen konnten: Starb eine Frau, die bereits die Gerade ihrer Mutter geerbt hatte, ledig oder verwitwet ohne selbst Töchter oder Schwestern zu hinterlassen, erhielt ihr Vater die Gerade und nicht mehr die nächste Niftel. Die Einschnitte von 1672 höhlten das Geraderecht weiter aus, indem das Anrecht der Töchter auf die volle Gerade der Mutter beschnitten wurde. Zukünftig sollten sie zwar weiter Kleidung, Schmuck und Hausrat erhalten, das vorhandene Leinenzeug samt den Betten musste jedoch mit dem Witwer geteilt werden. Zudem wurden nun auch die nahen Nifteln – Mutter, Großmutter, Schwestern – zugunsten von Söhnen und Enkeln ausgeschlossen.

Argumentativ untermauert wurden die Änderungen mit den Folgeproblemen des Dreißigjährigen Krieges: Einquartierungslasten, Kontributionsforderungen etc. erhöhten die ‘bürgerlichen Lasten’, die von den ‘Hausvätern’ zu tragen waren. Da der Abzug der Gerade aus einem Haushalt die ‘bürgerliche Nahrung’ durchaus gefährden konnte, wurde dieser Abzug eingeschränkt. Der Rat beschränkte sich nun aber nicht nur auf die sachliche Darstellung der Problematik, sondern konstruierte – wie die Autorin zeigt – einen Gegensatz ‘gute Väter’ (Mann, Hausvater, Untertan) und ‘böse Nifteln’ (Frau, Niftel, Auswärtige): Während den Hausvätern die Lebensgrundlage entzogen würde, bereicherten sich die Nifteln an Werten, die sie nicht erarbeitet hätten.

Trotz dieses massiven Einschnittes in die Rechte von Frauen standen diese Statutenänderungen nicht wirklich im Gegensatz zu dem, was die Leipziger Bürger und Bürgerinnen selbst anstrebten: nämlich die Gerade in der Kernfamilie zu halten. Anhand der Analyse der Weitergabepraxis belegt Karin Gottschalk, dass die Leipziger und Leipzigerinnen längst vollzogen, was die Obrigkeit nun normativ fixierte. Zwar war die Gerade der Testierfreiheit entzogen, aber lokale Statuten und Gewohnheitsrechte ließen durchaus Geradeschenkungen und Geradeverkäufe zu symbolischen Preisen unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Nutzungsrechtes zu. Zum anderen war es gängige Praxis, dass verwitwete Väter noch kleinen Töchtern die Gerade abkauften und diese vom so erhaltenen Geld später für den eigenen Haushalt neue Geradestücke anschafften. Wenngleich Töchtern durch die Statutenänderung ein nicht unerheblicher Teil der mütterlichen Gerade entzogen wurde, war es auch eine soziale Norm, die Töchter standesgemäß auszustatten, was die Väter wiederum in die Pflicht nahm.

Von den Statutenänderungen ausgehend spannt Karin Gottschalk schließlich noch einen weiten Bogen hin zur völligen Abschaffung der Gerade 1814. Danach galt aller Hausrat als Eigentum des Hausvaters. Im Besitz der Ehefrauen blieb nur, was sie selbst an Gerade eingebracht hatten und aus dem Vermögen des Mannes angeschaffte Kleidung und Schmuck sowie Bettzeug zum persönlichen Gebrauch.

Das Rechtsinstitut der Gerade wurde nicht urplötzlich gekappt, sondern, wie die Autorin zeigt, über einen langen Zeitraum kontrovers diskutiert. Während die Gerade im Denken des 17. Jahrhunderts noch mit distributiver Gerechtigkeit verknüpft und als ‘Werk’ der Frauen gesehen wurde, galt sie dem 18. Jahrhundert bereits als ungerechtes Sonderrecht, das dem Gemeinen Nutzen entgegenstand. Den landesstaatlichen Bemühungen, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen, fielen auf dem Herkommen beruhende ‘wohlerworbene’ Rechte und Privilegien – und zuallererst die Gerade – zum Opfer.

Wenn es redlich schiene, sich am Ende einer so quellengesättigten Studie noch etwas zu wünschen, wäre dies aus der Sicht der Rezensentin eine Stichprobe im Hinblick auf die Umgangsweise der Menschen mit der neuen Rechtslage: Versuchten Männer, die herben materiellen Nachteile auszugleichen, die Witwen im Erbrecht durchgängig hinnehmen mussten und die sich durch den Wegfall der Gerade massiv verschärften? Trugen „moralische Argumente und soziale Normen“ auch jetzt noch? Dass die Autorin diesen Fragen nicht mehr nachgeht, hat gleichwohl mindestens einen legitimen Grund: Die Sichtung weiterer Quellen hätte die Grenzen des Leistbaren wohl weit überschritten.

Wenngleich die Lektüre dieses Buches zuweilen kein reines Vergnügen ist, was im Wesentlichen der Komplexität der juristischen Sachverhalte, an einigen Stellen aber auch strukturell bedingten Längen zuzuschreiben ist, bleibt sie uneingeschränkt zu empfehlen: Karin Gottschalk ist eine spannende und keineswegs nur für RechtshistorikerInnen relevante Studie gelungen, die aus ihrer Forschungsperspektive erneut zeigt, welche Auswirkungen die vielfältigen Wandlungsprozesse des 18. Jahrhunderts auf den Status von Frauen hatten, wie diesen ihre Position als verantwortlich und öffentlich agierende ‘Hausmütter’ entzogen wurde.

Anmerkungen:
1 Wunder, Heide, „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992; Sczesny, Anke, Zwischen Kontinuität und Wandel. Ländliches Gewerbe und ländliche Gesellschaft im Ostschwaben des 17. und 18. Jahrhunderts (Oberschwaben – Geschichte und Kultur, Bd. 7), Tübingen 2002; Werkstetter, Christine, Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert (Colloquia Augustana, Bd. 14), Berlin 2001. Zeitgleich mit der hier besprochenen Studie erschien: Lanzinger, Margareth, Das gesicherte Erbe. Heirat in lokalen und familialen Kontexten. Innichen 1700-1900 (L’Homme Schriften, Bd. 8), Wien 2003.

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