Cover
Titel
The Crisis of Islam. Holy War and Unholy Terror


Autor(en)
Lewis, Bernard
Erschienen
New York 2003: The Modern Library
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
$19.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel haben die Terroranschläge an der nordamerikanischen Ostküste viele Menschen getroffen. Seither wächst die Nachfrage nach sachkundigen Erklärungen. Einer der ersten tiefgehenden Beiträge war ein Artikel, den Bernard Lewis zwei Monate nach den dramatischen Ereignissen im New Yorker publiziert hat. Dieser Essay des Princetoner Gelehrten bildet den Kern des Bandes, der jetzt seinem Bestseller vom Vorjahr, „What Went Wrong?“ folgte. Zudem liegt sein jüngstes Buch als vom Autor besprochene CD vor. Insbesondere Lernende und Reisende mögen dieses Medium dankbar aufnehmen, denn es verrät die hohe Kunst des Nestors der anglo-amerikanischen Erforschung der Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens sowie des Islams 1, Weltgeschichte lebendig und prägnant erzählen zu können. Damit knüpft er an die Begründer der modernen historischen Islamwissenschaft im deutschsprachigen Raum an, in deren darstellerischer Tradition er steht: C. Snouck Hurgronje und Carl Heinrich Becker.

In neun Kapiteln beleuchtet Bernard Lewis, wie man im Orient und Okzident den Islam im Verhältnis zum Westen gesehen hat. Die Überschriften seiner Kapitel lauten: das Haus des Krieges; Kreuzzügler und Imperialisten; die Entdeckung Amerikas; der Satan und die Sowjets; Doppelstandards; Schwächen der Moderne; die Ehe der saudischen Macht mit wahhabitischen Lehren; der Aufstieg des Terrorismus. Eingangs illustrieren vier Karten die großen Perioden, um die es geht: die Kalifate, das Osmanische Reich, den Imperialismus und den modernen Mittleren Osten. Letzterer bezieht nach der üblichen angelsächsischen Anschauung stets Nahost mit ein, obzwar eine Karte der 57 Länder der Organisation Islamische Konferenz sicherlich besser das aktuelle Verbreitungsgebiet des Islams vorgestellt hätte.

Unser Unglück ist, erläutert Lewis, dass wir mit den islamischen Räumen konfrontiert sind, während diese eine Periode des Hasses und der Gewalt durchlaufen, und dass sich der meiste Hass gegen uns im Westen richtet. Man sollte aber die Dimensionen des Problems auch nicht übertreiben. Denn weder sind die islamischen Regionen einheitlich in ihrer Zurückweisung des Westens, noch stehen sie mit ihrer Feindschaft in der Dritten Welt allein da. Noch, so fährt der Autor fort, gibt es eine Anzahl von Muslimen, in einigen Bereichen gar Mehrheiten, die mit uns kulturelle, moralische und politische Ansichten und Bemühungen teilen. Aber da ist die Woge des Hasses, die verblüffte Amerikaner erstaunt. Diese wiederum vertreten westliche Werte. Mehr noch, sie gelten daher in manchen muslimischen Augen als „Feinde Gottes“ schlechthin. Nach Lewis lautet die Kernfrage für westliche Politiker daher: Ist der Islam, ob nun fundamentalistisch oder nicht, eine Bedrohung des Westens?

Der Gelehrte beschreibt dazu zwei Schulen im Westen. In der einen heisst es, der Islam sei nach dem Ende der UdSSR und des Kommunismus als Gefahr an diese Stelle getreten. Aus der anderen hört man, Muslime, darunter auch die radikalen Fundamentalisten, seien doch prinzipiell friedliebend und wären nur verzweifelt durch das, was der Westen ihnen angetan habe. Dagegen hält der 1916 geborene Historiker drei Gruppen von Muslimen: Solche, die gar nichts lieber als freundschaftliche Beziehungen zum Westen und demokratische Zustände daheim wünschen. Jene, die dem Westen feindlich gesinnt sind, da sie in ihm ein Hindernis für ihre „universelle Ordnung Gottes“ erblicken. Dazu zählen auch die, die im Westen die Quelle alles Bösen sehen und nur Kompromisse mit ihm eingehen, um sich noch besser für ihren Endkampf zu rüsten. Drittens Muslime, die gern ihren Glauben und ihre Kultur bewahren, aber nicht nur Fehler in der westlichen Ordnung entdecken, sondern auch deren Vorzüge: den forschenden Geist, der die moderne Wissenschaft und Technologie erzeugte, und das Streben nach Freiheit, das Demokratien bewirkte. Die letztgenannten suchen gemeinsam mit dem Westen nach einer besseren Welt. Dort möge man nicht die zweite mit der dritten Gruppe verwechseln.

Usama bin Ladin gehört zur zweiten Gruppe. Er sah den Kollaps der UdSSR auf seine Weise. Demnach, so stellt der Verfasser die Ansicht dieses Islamisten dar, bildete den Hauptanstoß jenes Niederganges nicht etwa Amerikas Sieg im Kalten Krieg, sondern die Mujahidin Afghanistans. Nun galt es, sich gegen die andere Weltmacht zu wenden, die in den Augen der Islamisten noch einfacher zu beseitigen war, denn die USA stellten sich ihnen moralisch korrupt, sozial degeneriert und militärisch schwach dar. Bernard Lewis sucht nach den Wurzeln dieser Haltung. Gewiss, so betont er, hätten Einflüsse aus Europa diese Art des Anti-Amerikanismus noch gestärkt. In einer Schule, zu der so verschiedene Autoren wie Rainer Maria Rilke, Oswald Spengler, Ernst Jünger und Martin Heidegger zählten, sei Amerika der Paradefall einer kulturlosen Zivilisation: reich und bequem; materiell fortgeschritten, aber seelenlos; konstruiert, darum auch nicht organisch gewachsen.

Araber und andere Muslime nahmen diesen philosophischen Anti-Amerikanismus aus dem im Gegensatz zu Amerika „authentischen“ – hier auch ironisch mit Blick auf die Nazi-Ideologie gemeint - Deutschland bis 1945 auf. Danach folgte der sowjetische Marxismus, der den westlichen Kapitalismus denunzierte, dessen Inkarnation Amerika war. Was blieb, war nicht etwa die Rassenideologie der Nazis oder der atheistische Kommunismus, die für islamische Räume wenig Attraktivität aufwiesen, sondern eine Grundeinstellung gegen den Westen, ein anti-Westernism. Hinzu kamen dann nicht wenige Aktionen von westlichen Regierungen, meint Bernard Lewis, die in manchen Konflikten auf dem Weg nach der Eigenstaatlichkeit und bei Nationalisierungen den Zorn von Muslimen erweckt haben. Aber Briten, Franzosen und deren Erdölfirmen gingen, jedoch feindliche Haltungen von Muslimen und insbesondere ihrer Fundamentalisten und Extremisten gegen den Westen nehmen noch zu.

Den Sturz der Regierung Mosaddeqs im Iran Mitte des vorigen Jahrhunderts nennt der Autor so einen Fall, bei dem westliche Geheimdienste einen Regimewechsel inszenierten. Danach sei der wieder installierte Schah in der Region als eine Marionette der Briten und Amerikaner angesehen worden. Als dieser zweieinhalb Jahrzehnte später durch die iranische Revolution gestürzt wurde, half ihm die amerikanische Administration nicht und verweigerte ihm auch noch das zuvor durch Präsident Carter angebotene Asyl. Daraus zog man Lewis zufolge in Nah- und Mittelost zwei Schlüsse: Amerikaner griffen zur Gewalt und zur Intrige, um ihnen hörige Herrscher (wieder) einzusetzen. Zudem seien Amerikaner unzuverlässig, denn sie ließen solche Machthaber fallen, sollten diese durch das Volk angegriffen werden. Die erste Schlussfolgerung habe Hass, die zweite Verachtung verursacht - eine gefährliche Kombination. Was Wunder, unterstreicht Lewis, dass ein Ägypter eine „Sündenliste Amerikas“ auf der gemeinsamen Sitzung der Europäischen Gemeinschaft und der Organisation Islamische Konferenz in Istanbul im Februar 2002 vorgetragen hat. Sie reichte von der Vertreibung der Indianer über die Versklavung Schwarzer sowie die Atombomben gegen Japan bis zur Kette von Interventionen in der Region und zur Hilfe für Israel gegen die Palästinenser. Jedoch die größte Provokation für den Islam, so Lewis, werde in der Region im American way of life gesehen.

Dies leuchtet der Historiker anhand des Vordenkers der Islamisten aus. Sayyid Qutb, ein ägyptischer Beamter und Publizist, lebte Mitte des 20. Jahrhunderts anderthalb Jahre in Amerika. Ihn schockierte nicht bloß die Hilfe für Israel, sondern auch das Leben in der Neuen Welt. In seinem Buch Ma'alim fi at-Tariq (Signposts on the Way) empörte er sich über die dortige „Verderbtheit“ und betonte die Gegensätze zwischen dem westlichen Materialismus und der orientalischen Spiritualität. Amerika materialisiere alles, sogar die Religion. Kirchen wirkten wie Firmen, um Gläubige anzuziehen. Schamlos böten sie fun an. Pfarrer ermöglichten Tanz, wo sich die Geschlechter treffen und berühren. Schummerlicht und Grammophonklänge heizten sie an. Aber Qutb klagte ebenso die islamischen Herrscher an, die so etwas in seiner Region erlaubten. Nach einem Prozess ließ ihn Abd an-Nasir in Kairo aufhängen.

Bernard Lewis enthüllt äußere und innere Quellen der muslimischen Abwehr Amerikas und des Westens im 20. Jahrhundert, die durch neue Zwiste um die Globalisierung noch bestärkt werde. Doch sein Fazit, dass Amerikas Mittelostpolitik im Vergleich zu anderen Regionen durch den Erfolg auffalle, da es kein Vietnam, Kuba, Nikaragua oder Angola gab, widerspricht seinem durch Mosaddeq begonnenen Gedankengang. Erstens führten Länder wie Algerien, Ägypten, Libyen, Syrien, Irak und Jemen den Arabischen Sozialismus im Kalten Krieg aus Osteuropa ein. Diese Anwendung von linksradikalen Modellen geriet viel populärer und mächtiger als der Einfluss der erwähnten „literarischen Anti-Amerikaner“, zumal sich die Adaptionen mit kollektiven und religiösen Eigenheiten der Region leicht verbinden ließen. Doch diese sozialistischen Experimente mündeten in schlimmen Diktaturen.

Zweitens sollte man außenpolitische Erfolge nicht nur daran messen, was verhindert, sondern auch daran, was ermöglicht wurde. Bis 1939 gab es keine ausgeprägte US-Mittelostpolitik. Ab 1945 verbot die Rivalität beider Weltmächte ihren Haupterfolg: eine gerechte Befriedung des Nahostkonflikts. Die Regelung dieses Konfliktes, der das Grundübel der Region war und ist, wurde durch die beiden starken Weltmächte USA und UdSSR der Ost-West-Rivalität unterworfen. Der Fall Mosaddeq stellt nur die Spitze des Eisberges dar, denn diese Geschichte konträrer, vor allem amerikanischer Mittelost-Beziehungen im Kalten Krieg ist noch zu schreiben.

Drittens entsprang der damaligen Konfliktmanipulation auch das regionale System des Terrors und Terrorismus. Waren es israelische Agenten und arabische Fidayin, die mit Bomben den regionalen Kriegszustand verschärften, so war es die Niederlage der Araber von 1967, die einerseits deren Radikalität der Schwäche und andererseits die israelische Ignoranz der Stärke erzeugte. Danach kamen die Ideen auf, Amerikaner zu töten, deren Botschaften zu sprengen, Zivilflugzeuge zu entführen und über Israels Ballungszentren zur Explosion zu bringen.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs, nach dem der globale Widerpart der USA in Gestalt der UdSSR wegfiel, war es nur noch ein kleiner Schritt zu den New Yorker Symbolen des Westens auch als Reaktion auf eine in der Hauptsache doch erfolglose Mittelostpolitik der in dieser Region unerfahrenen Weltmacht USA. Die Kombination aus einer oftmals fragwürdigen westlichen Mittelostpolitik und aus importierten osteuropäischen Modellen verstärkte den Niedergang einiger arabischer Länder und anderer islamischer Staaten im vorigen Jahrhundert, wie ihn die UNO-Berichte bestätigten. Fazit: Das Buch von Bernard Lewis bietet dem Leser viel aus der Weltgeschichte mehrerer Jahrhunderte und Regionen: Es bildet, fordert zum Nachdenken heraus und regt zum Widerspruch an.

Anmerkung:
1 Biografie und Werkübersicht, Bernard Lewis, Historiker des Nahen und Mittleren Ostens und des Islams, in: Orient 42.1 (2001), S. 13-26.

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