E. Hartmann: Heirat, Hetärentum

Cover
Titel
Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen.


Autor(en)
Hartmann, Elke
Reihe
Campus historische Studien 30
Erschienen
Frankfurt/Main u.a. 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Rüdiger, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

"Zwar haben wir Hetären (hetairas) für die Lust, auch Konkubinen (pallakas) für die tägliche Pflege unserer Körper, aber Ehefrauen (gynaikas), damit sie uns legitime Kinder gebären und treue Wächterinnen unserer Häuser sind." Kein Werk zum Frauenleben im klassischen Griechenland kommt ohne dieses Zitat aus einer Demosthenes zugeschriebenen Rede aus. Elke Hartmann stellt es in ihrer an der Berliner Freien Universität entstandenen Dissertationsschrift gleich an den Anfang, nicht nur, um es hinter sich zu haben, sondern auch, weil es die Dreigliederung vorgibt, die ihrer Arbeit - und deren Titel - zugrunde liegt. Denn es schien bereits zur communis opinio geworden zu sein, obiges, rhetorisch motiviertes Modell kategorialer Oppositionen als untauglich zur Analyse athenischer Frauenexistenz und Frauenbilder zu betrachten.1 "In dieser Arbeit", so liest man Hartmanns Fragestellung daher erstaunt, "soll erneut der Versuch einer prägnanten Differenzierung von Ehe, Konkubinat und Hetärentum unternommen werden" (S. 29).

Das macht neugierig - um so mehr, als sich Hartmann bereitwillig der Auffassung anschließt, gyne, pallake und hetaira seien keineswegs "exakt definierte oder gar juristische Termini" gewesen, sondern "alltagssprachliche Bezeichnungen, deren inhaltliche Bedeutung wechseln kann und durch die konkrete Sprechsituation bestimmt wird bzw. der situativen Perspektive des jeweiligen Sprechers entspricht" (ebd.). Dies läuft, so dürfte man nun annehmen, auf irgendeine Form von Diskursanalyse, untermauert durch Theorien kommunikativen Handelns, hinaus. Hartmann allerdings spricht lieber davon, "das bisher vorwiegend juristische Kategorien vorsehende Untersuchungsraster 'soziologisch' zu erweitern" (ebd.), und formuliert abschließend: "Die von den Bürgern unterhaltenen Ehen, Hetärenverhältnisse und Beziehungen zu Konkubinen erweisen sich - so meine These - teils als Zement teils als Sprengstoff des sozialen Zusammenhaltes im demokratischen Gemeinwesen" (S. 32). Ob dies im strengen Sinne eine These ist, sei dahingestellt; jedenfalls wird hier und im Verlauf des Buches zunehmend deutlich, daß es sich um eine eher konservative sozialhistorische Arbeit handelt - kurz, daß Hartmanns erkenntnisleitendes Interesse die Suche nach dem "realen Leben" (S. 126, 150 u.a.) ist.

Der Körper der Arbeit ist in vier Kapitel gegliedert; ihnen folgen eine Schlußbetrachtung sowie zwei kurze Exkurse ("Straßenstrich und Bordelle in Athen" und "Ein Hetärenhaus im Athener Kerameikos"). Drei der vier Kapitel gelten Heirat, Hetärentum und Konkubinat; ihnen voran steht eine Erörterung über "Gesetzliche Vorgaben zur Partnerwahl in der demokratischen Polis", in der Hartmann vor allem die Bedeutung des 'Perikleischen Bürgerrechtsgesetzes' von 451/450 v.Chr. hervorhebt. Die Bestimmung, "'dass derjenige nicht an der Polis teilhaben solle, dessen Eltern nicht beide Städter seien'" (S. 53; Arist. Athen. Pol. 26,4), war geeignet, auf die Partnerwahl der Athener einen wesentlichen Einfluß auszuüben. Hartmann verfolgt Zeiten lockerer und straffer Handhabung des Gesetzes und konstatiert seine Wirkmächtigkeit jedenfalls für die zweite Hälfte des 5. (mit kriegsbedingter Unterbrechung) und das 4. Jahrhundert v.Chr.

Damit war eine wichtige Bedingung für die Wahl der gyne gamete, der durch Heirat mit dem Mann verbundenen Frau, etabliert - eine mindestens ebenso wichtige wie Mitgiftfragen oder zu knüpfende Familienbande. Überzeugend charakterisiert Hartmann in diesem Zusammenhang die der Heirat vorangehende, engye genannte Abmachung zwischen Bräutigam und Brautvater statt als "Verlöbnis" oder "eheliche Vertragschließung" vielmehr als "Sicherheit", nämlich eine rechtskräftige Garantie der athenischen Abkunft der Braut durch ihren kyrios (S. 79ff.): Die gyne engyete ist gewissermaßen eine Braut mit Herkunftszertifikat.

In diesen Zusammenhang gehört auch der wertvolle Hinweis, die meist als "Erbtochterheirat" aufgefaßte epidikasia, bei der eine verwaiste bruderlose Tochter durch Archontenbeschluß dem nächsten Verwandten väterlicherseits gegeben werden konnte, in Ermangelung von Hinweisen auf "Heirat" oder "Hochzeit" vielmehr als Übertragung der Schutz- und Sorgepflicht zu verstehen. Hier wie generell im Institut der kyrieia erkennt Hartmann in erster Linie die Sicherstellung von Schutz und Versorgung der alleinstehenden Frau. Mit diesem Ansatz vermag sie überzeugend die gerade in frauengeschichtlich orientierten Darstellungen oft erhobene Vorwurf der Unterdrückung bevormundeter, auf das Hausinnere beschränkter athenischer Frauen als "eindimensional" (S. 124) zurückzuweisen. Vielmehr sei die Idealisierung des Hauses als Ort der Frau in engem Zusammenhang mit dessen Charakter als rechtlicher wie konkreter Schutzzone zu sehen (S. 118ff.). Damit trägt Hartmann zur willkommenen Korrektur eines sicher weitverbreiteten Negativurteils bei.

Wesentlich geht es Hartmann bei dem Durchgang durch die diversen häuslichen und kultischen Hochzeitsrituale um die These, daß in Ermangelung von Eheformalia juridischen Charakters die Gültigkeit der Ehe und insbesondere ihre spätere gerichtliche Beweisbarkeit von der öffentlichen Sichtbarkeit der Rituale abhing (Der für das Thema doch eigentlich fundamentale Hinweis, daß die griechische Sprache nicht einmal über einen abstrakten Terminus für die "Ehe" als Institution verfügte, steht lediglich in einer Anmerkung, S. 77, Anm. 5.). Die Heimführung der Braut, das offene Festmahl (mit Duldung von "Parasiten"), die Hochzeitsopfer in den Phratrien bezweckten nicht zuletzt, die Menge von eventuell dereinst dringend gebrauchten Zeugen möglichst groß zu machen. Hartmann führt zahlreiche Prozesse an (auch den, in dessen Zusammenhang das Eingangszitat gehört), in welchen die Frage nach der 'athenischen' Geburt eines Mannes oder einer Frau für deren politische Laufbahn und/ oder künftige Lebenschancen entscheidend wurden. "Erst die Heirat machte die Brautleute zu wahren Mitgliedern der Polis, deren Vermehrung erwünscht war, so dass der Ehe eine das Gemeinwesen stabilisierende Wirkung zukam" (S. 131).

Dem kann man nur beipflichten, und das ist es auch insgesamt, was man (zumal nach der Lektüre des einleitenden Rednerzitats, in dem ja eben dies als Aufgabe der Gattin genannt wird) erwartet hätte. Doch statt hier etwa eine Fallanalyse politischen Handels mit Hilfe des soeben dargelegten juridisch-sozialen Instrumentariums anzuschließen, beläßt es Hartmann bei diesen von einem institutionellen Verständnis der Polis geprägten Schlüssen und geht zu den Hetären über. Leider erweist sich hier, daß dieser dem Charakter der Bindungsform 'Heirat' ja nicht unangemessene Ansatz für das Verständnis der Hetärenkultur nichts Neues erbringen kann. Das "durch sie verliehene soziale Prestige" (S. 135) bleibt unausgeführt und konturlos ("Mit einer interessanten Verbindung, die in aller Munde war, konnte man sogar soziales Prestige gewinnen!", S. 193). Die Schilderung des Symposion und der "Aufgaben" (S. 157) der Hetären dabei ist konventionell (und kann, so angelegt, ja tatsächlich nur auf immer dieselben wenigen Textpassagen und Vasenbilder rekurrieren). Die Suche nach dem sozialen Status der Hetären und ihrer Liebhaber scheitert an zu wenigen und disparaten Quellen (zur Quellenproblematik s.u.), und die Gelegenheiten, an die sich spannende Ausführungen anschließen ließen, läßt Hartmann ungenutzt verstreichen. Die - eigentlich sensationelle - Feststellung, außer Korn/ Mehl/ Brot seien keine anderen Preise gesetzlich reguliert gewesen als ausgerechnet eine Zwei-Drachmen-Obergrenze für Flöten-, Harfen- und Kitharaspielerinnen (S. 157), veranlaßt Hartmann lediglich zu der Bemerkung: "Die Polis hielt die Versorgung der Bevölkerung mit 'Musikerinnen' für essentiell" (S. 158). Welche Möglichkeiten täten sich der politischen Anthropologie hier allein durch den Umstand auf, daß im Falle konkurrierender 'Auftraggeber' für dieselbe Abendgelegenheit das der athenischen Demokratie so teure Losverfahren zum Einsatz kommen sollte!

Die sicher zutreffende Beobachtung, die Hetärenkultur sei wesentlich aristokratisch konnotiert gewesen,2 führt Hartmann weder im Sinne der eben genannten demokratischen Preisregelung aus, noch vermag sie den Wert der Hetären für die Aristokraten in viel mehr als der Fähigkeit zu sehen, "ihr Gegenüber [beim Symposion] auf niveauvolle Weise unterhalten und amüsieren zu können" (S. 166) - in diesem Zusammenhang sei beobachtet, daß in dieser prononciert sozialhistorischen Arbeit zwar auf Max Weber, nirgends aber auf Pierre Bourdieu zurückgegriffen wird. Das Phänomen des komos, des sich an ein Symposion anschließenden lärmenden Umzugs der Teilnehmer durch die Straßen mit seinen spezifischen Bestandteilen, in dem gerade die Rivalitäten um (vordergründig) Hetären einmal sichtbar werden durften, tut Hartmann als "Rangeleien" ab, die dazu gedient hätten, "informelle Rangordnungen innerhalb von Jugendgruppen auszubilden" (S. 210).

So nimmt es denn auch nicht mehr wunder, daß Hartmanns Resumé des Themas folgendermaßen ausfällt: "Die Liebesgeschichten der Athener waren fester Bestandteil des städtischen Klatsches, und die Athener verstanden sich darauf, ihre Romanzen wirkungsvoll zu inszenieren. Wohl aus diesem Grund blieben viele bekannte Histörchen so lange Zeit im Umlauf" (S. 193). Auf diesem Niveau verschenkt man alle soziale und politische Brisanz und reduziert letztlich das Phänomen der Hetären und ihrer stilisierungsbewußten Gefährten zu einem Stück Sittengemälde.

Das recht kurze Kapitel zu den "pallakai" (Konkubinen) ist weder kontrovers noch überraschend: "Meine These ist, dass eine Frau in Athen pallake genannt wurde, bei der es sich in der Regel um eine freigelassene Sklavin handelte, mit der ein Bürger - meist im Anschluss an eine Ehe mit einer Bürgerin - partnerschaftlich zusammenlebte" (S. 224). Durch den Verzicht auf Wiederverheiratung wurden Streitigkeiten zwischen erbberechtigten Kindern aus mehreren Ehen umgangen, ohne daß der alternde Mann auf eine zur Treue verpflichtete Frau im Hause verzichten mußte - in dieser Hinsicht sei die Erwähnung der "täglichen Pflege unserer Körper" in dem einleitenden Rednerzitat vielleicht durchaus wörtlich zu verstehen (S. 227). Die Polis habe diesen weitverbreiteten, unspektakulären Konkubinat als Beitrag zur Stabilisierung des Oikos und als Witwerversorgung bereitwillig toleriert.

Einige Überlegungen zu Hartmanns Umgang mit Zitaten und Quellen seien hier angefügt. Schon der Umstand, daß von den insgesamt 1.173 Fußnoten lediglich dreizehn ein griechisches Originalzitat bringen, muß in einer althistorischen Dissertationsschrift verwundern (es gibt jedenfalls keinen Hinweis darauf, daß die philologische Gewissenhaftigkeit der 'leichten Überarbeitung', S. 9, für die Buchausgabe zum Opfer gefallen wäre). Statt dessen werden die Quellen in deutscher Fassung, entweder Hartmanns eigener oder teilweise recht alten Übersetzungen entnommener, und gelegentlich sogar in englischer Form gebracht, was zuweilen befremdende Wirkung hat.3 Dies ist nicht nur aus allgemeinen Überlegungen zum Wissenschaftsstandard zu bedauern, sondern macht die Argumentation auch schwer nachprüfbar und schadet gelegentlich der Luzidität: Auf S.123-130 diskutiert Hartmann die eheliche philia und führt dazu ein im Piräusmuseum befindliches Grabmonument (mit Abbildung) an, dessen Inschrift allerdings nur in der Übersetzung der Verfasserin erscheint, ohne daß deutlich gemacht würde, welche(s) Wort(e) der Übersetzung denn nun philia entsprechen - wodurch Hartmann, wenn sie nicht an Augenschärfe und epigraphische Fähigkeiten ihrer Leser unrealistische Ansprüche stellt, ihren eigenen zweifellos stichhaltigen Beleg sabotiert.

Problematischer ist der quellenkritische Umgang mit dem vorhandenen bildlichen und schriftlichen Material. Zu ersterem überrascht Hartmann mit der ausdrücklichen Feststellung, die Vasenbilder seien "keineswegs als realistische Illustrationen zum alltäglichen Leben der Griechen aufzufassen", und es sei sinnvoll, "das formale und inhaltliche Zueinander der abgebildeten Personen genau zu betrachten, und dabei sowohl die Beischriften als auch die Anordnung der Figuren im Bild und deren Gesten zu berücksichtigen". (S. 150). Wer würde es anders machen wollen? Noch überraschender heißt es dann im folgenden zu den dargestellten Möbeln, Kissen usw. als "Chiffren" für "feinen Lebensstil" und "erlesenen Geschmack", diese Dinge hätten auch "tatsächlich" bei Gelagen Verwendung gefunden (ebd.), ohne daß deutlich würde, woher Hartmann diese archäologisch doch erstaunliche Sicherheit bezieht.

Auf derartiger Unbefangenheit im Rückschluß von Quelle auf "reales Leben" beruht ein Gutteil des Buches. Zu der Passage in Platons 'Symposion', in der die bereits anwesende Flötenspielerin wieder weggeschickt wird, damit das Gespräch fortgesetzt werden kann, erklärt Hartmann rundheraus: "Doch was für die (fiktiven) literarischen Zirkel galt, muss keineswegs die Norm gewesen sein. Im täglichen Leben verzichtete man nur ungern auf dieses Amüsement" (S. 159). Abgesehen davon, daß gerade für das "Alltagsleben" der Hetären die Belege so fragmentarisch sind, daß derlei flotte Pauschalisierungen nur ganz willkürlich zustande kommen können, geraten Erwägungen der Textstrategie, der Rhetorik, ja die Eigengesetzlichkeit literarischer Quellen komplett aus dem Blickfeld. Hartmann nutzt die (ohnehin spärlichen) Textstellen, um sie als Spolien in ihre Argumentation einzufügen, wo sie zu passen scheinen, und zwar (ganz im Gegensatz zu ihrem einleitenden Caveat) meist ohne Kontextualisierung. Ein blatantes Beispiel: die bei Athenaios (Deipnosophistai XIII 588e) überlieferte Anekdote, wonach der notorisch reiche und genußorientierte Kyrenaiker Aristippos der in ihrem Feld ebenso notorischen Hetäre Laïs große Geschenke mache, während sie sich dem Diogenes für nichts hingebe, "bezeugt" für Hartmann, "dass auch geistige Gaben von den Frauen gern genommen wurden" (S. 190) - nicht etwa, daß mit der geistreichen Entgegnung des Aristippos ("Ich gebe Laïs reichlich, um selbst von ihr Genuss zu haben, nicht um ihn einem anderen zu verderben") in genretypischer Weise ein handlungsethisches Prinzip vorgeführt werden soll. Mehr noch, die Entgegnung des Aristippos erscheint (ohne Rückbezug!) auf der nächsten Seite, um dort als Beleg zu dienen, daß manche Liebhaber nichts gegen Rivalen einzuwenden gehabt hätten.

Derart kavaliersmäßigem Umgang mit den Quellen steht eine (gelinde gesagt) respektvolle Haltung zu "der Forschung" gegenüber, auf die sich Hartmann auch in den schlichtesten Zusammenhängen stets beruft: "Ob die Hetären tatsächlich besonders schöne Frauen waren, wie etwa Pomeroy meint - ist freilich nicht zu beurteilen" (S. 170)4 - und die im übrigen dazu führt, daß sich das Buch über weite Strecken als ein kommentierter Forschungsbericht liest. So 'belegt' Hartmann etwa einen für ihr Anliegen so fundamentalen Punkt wie die soziale Herkunft der Hetären als Sklavinnen (S. 184ff.) fast ausschließlich mit einer einzigen Gerichtsrede (Ps-Dem. 59) - deren Aufschlüsse trotz allen in der Einleitung erhobenen Bedenken über den polemischen, möglicherweise bewußt wahrheitsentstellenden Charakter attischer Gerichtsreden, hier für bare Münze genommen werden - sowie der Paraphrase einer entsprechenden Passage aus einem neueren Werk über antike Prostitution.5 Das alles wird (hier und anderswo) mit Passepartout-Wendungen wie: "Viele Hetären waren ..." und: "Oft handelte es sich um ..." verbunden. Umgekehrt spricht Hartmann von "anzunehmender sexueller Gewalt gegenüber verheirateten Frauen im familiären Kontext ..., wobei solche Delikte in den Quellen freilich nicht greifbar sind" (S. 182, Anm. 252).6 Gerade weil es sich um sehr belangreiche Fragen handelt, müßten die quellenkritischen Möglichkeiten - und gerade die Möglichkeiten, das 'Schweigen' der Quellen zu lesen - erheblich differenzierter diskutiert werden.

Am drastischsten wird das Mißverhältnis von Quellen- und Forschungsreferaten in der Passage, die als "Analyse literarischer Quellen" (so S. 181) verstanden sein will, nämlich dem Abschnitt "'Hetären' in der archaischen Symposionslyrik" (S. 143-149). Hier erscheint kein einziges Zitat aus der 'analysierten' Lyrik, weder im Original noch in Übersetzung - lediglich einzelne isolierte Worte, die als Beleg für Hartmanns Urteile kaum hinreichen, z.B.: "Dass sich der Sprecher in einem Lied des Theognis allerdings den erotischen Sinngenuss beim Symposion zu erfüllen gedenkt, liegt nahe, denn er erwähnt zentrale Elemente dieser Feiern: Die Gemeinschaft mit dem Freund und den Gesang zur Musik einer Flötenspielerin" (S. 145, mit Verweis auf Thgn. 1063-1070 IEG, ohne Zitat). Der Lyrik wird man mit einer solchen Herangehensweise interessante Aufschlüsse noch weniger entnehmen können als anderen Quellenarten.

Hartmanns Arbeit liefert eine solide Übersicht über die sozialen Bedingungen des Lebens als athenische Hausfrau, als Gattin oder Konkubine. Überzeugend trägt sie zur Klärung einiger Aspekte des komplexen Prozesses athenischer Heiraten bei und bietet abgewogene Diskussionen der Chancen und Risiken, welche sich für Männer und Frauen mit den unterschiedlichen Beziehungsformen verbanden. Eine umfassende Schau und Deutung athenischer Paarbeziehungen kommt auf diese Weise nicht zustande, ist allerdings wohl auch gar nicht intendiert - zielt Hartmann doch ausdrücklich auf eine "prägnante Differenzierung" (S. 29) der Beziehungsformen ab.

Zu fragen wäre gleichwohl, ob eine Erörterung der unterschiedlichen heterosexuellen Beziehungsarten, die die für das klassische Athen so charakteristische Knabenliebe völlig unberücksichtigt läßt (lediglich im Zusammenhang mit den "Geschenken" von Männern an Hetären werden Parallelen zu den Geschenken an eromenoi gezogen, ohne daß dies weiter ausgeführt würde), überhaupt zu einem abschließend befriedigenden Ergebnis führen kann. Gewiß ist es legitim, einen Untersuchungsgegenstand zu begrenzen. Kann aber die 'politische Brisanz' der Partnerbeziehungen im klassischen Athen, die Hartmann zweifellos zu Recht im letzten Satz ihrer Darstellung für die von ihr untersuchten heterosexuellen Bindungen reklamiert, in ihrer Fülle gewürdigt werden, wenn die in der Knabenliebe angelegten sozialen Bindungs- und Konfliktkräfte nicht einmal vergleichend/kontrastierend in den Blick kommen? Das ist eine Frage, die allerdings wieder ins Methodische zurückführt: nämlich ob sozialhistorisch orientierte Forschung ohne die anthropologische Perspektive derzeit neue Ergebnisse erwarten lassen kann - oder ob wir dann nicht aufhören, wo wir angefangen haben: bei den Hetären für die Lust, den Konkubinen für den Alltag und den Frauen für Oikos und Nachkommenschaft, sauber nach sozialer Zweckbestimmung kategorisiert.

Anmerkungen

1 So jüngst (und bereits einflußreich) Davidson, James N.: Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen, Berlin 1999 (engl. 1997), S. 97ff.
2 Hartmann schließt sich hier Leslie Kurke an (Inventing the Hetaira: Sex, Politics and Discursive Conflict in Archaic Greece, in: Classical Antiquity 18, 1997, S. 106-154), setzt sich aber (S. 148f.) von Kurkes erkenntnisleitendem Ansatz und auch ihren als "zu schematisch" bezeichneten Befunden zur diskursiven Scheidung von porne und hetaira ab.
3 So S. 117, Anm. 218: "Vgl. den bei Ps.-Plut. Mor. 100d u. 267d zitierten Homer-Vers: 'Bright with a blazing fire a house looks more cheerful.'" (ohne Homer-Zitatverweis!).
4 Verweis auf Pomeroy, S. B.: Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart 1985, S. 133.
5 Vanoyeke, V.: La prostitution en Grèce et à Rome, Paris 1990, S. 34. In Anm. 34 zitiert Hartmann die im Text paraphrasierte Passage im französischen Original, aber ohne Verweis auf die Vanoyekes Darstellung eventuell zugrundeliegenden Quellen.
6 Die Gewaltausübung soll gar nicht in Abrede gestellt werden; es geht allerdings darum, daß es nicht genügt, ihr Vorkommen einfach zu postulieren - um so weniger, als Hartmann an dieser Stelle und mit diesem Argument Davidson (wie Anm. 1, 148), der im Sinne seiner Argumentation gegen das "Zwei-Typen-Modell" die Hetären aufgrund ihrer Partnerwahl-Freiheit den (als potentiell ehebrecherisch betrachteten) Ehefrauen statt der unfrei handelnden Prostituierten nahestelle, als "geradezu zynisch" bezeichnet.

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