Titel
"Männlicher Muth und teutsche Ehre". Nation, Krieg und Geschlecht in der Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens


Autor(en)
Hagemann, Karen
Reihe
Krieg in der Geschichte 8
Erschienen
Paderborn 2002: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
618 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Hofmeister, Historisches Seminar, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

Nach wie vor ist die Anzahl derjenigen Studien, die Geschlechtergeschichte als Männergeschichte betreiben, zumindest im Bereich der deutschsprachigen Geschichtsforschung durchaus überschaubar. Dass HistorikerInnen mit beiden Händen nach der von Karin Hausen betreuten Habilitationsschrift von Karen Hagemann greifen werden, ist daher nicht nur wegen des stattlichen Umfangs und Gewichts des Bandes anzunehmen. Ihr eigenes Erkenntnisinteresse begründet die Autorin im Vorwort allerdings nur am Rande mit diesem Desiderat. Nach einem augenzwinkernd vorangesetzten Kant-Zitat, das dem Königsberger Junggesellen das Wort hübsch im Munde umdreht („Der Inhalt der grossen Wissenschaft des Frauenzimmers ist vielmehr der Mensch, und unter dem Menschen der Mann“) wendet sich Karen Hagemann den politischen und militärischen Entwicklungen im Europa nach 1989 zu, die überholt geglaubten Phänomenen wie Nation, Nationalstaat und Nationalismus neue Aktualität verliehen und ihre Zusammenhänge mit Gewalt und/in Geschlechterverhältnissen in zum Teil erschreckender Weise verdeutlicht haben. Daraus ein Forschungsinteresse für die Entstehungszeit der modernen Nationalismen, und zwar unter geschlechtergeschichtlichem Aspekt, abzuleiten, macht Sinn; und das (national-) mythenumwobene Preußen der Jahre 1806 bis 1815, zwischen Niederlage, Besatzung, Reform und Befreiung, als Beispiel auszuwählen, ebenso. Auch eine exzellente Quellenlage spricht für die Themenwahl, denn aus leicht einsehbaren Gründen haben Selbstzeugnisse, historische Forschungen und Dokumentationen zu dieser Epoche eine lange Tradition - schließlich sollten sie selbst am Bewußtseinsprozeß nationaler Einigung mitwirken. Ein überbordendes Quellenangebot kann allerdings – das zeigt die Arbeit gleichfalls – zuweilen auch Last für die Forschenden und Ballast für die Lesenden sein.

Nicht nur die ungebrochene Tradierung bestimmter Geschlechterrollenbilder, die nach wie vor zum „Vorstellungsrepertoire nationalistischer Bewegungen“ gehören, wählt Karen Hagemann zum Gegenstand ihrer Analyse. Ein noch wichtigeres Interesse richtet sich auf die Tatsache, dass im Zuge der modernen Nationsbildung zwar die Einheit und Gleichheit der Angehörigen einer Nation betont, zugleich aber die Institutionalisierung von Geschlechterdifferenzen verstärkt wurde.

Während im Vorwort vor allem die aktuellen Bezüge des Forschungsthemas diskutiert werden, findet sich die Erläuterung des methodischen Vorgehens im Einführungskapitel, nach einer eingehenden Darstellung der historischen Ausgangssituation. Den Zusammenhängen zwischen Nation, Militär, Krieg und Geschlecht soll anhand einer komplexen Gesamtanalyse dreier Entwicklungsstränge nachgegangen werden, die bisher separat untersucht wurden: Zum einen die „kollektive Konstruktion einer nationalen Identität und die erstmalige Mobilisierung breiterer Bevölkerungskreise“, sodann „die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht als Teil einer umfassenden Heeresreform und der damit verbundene Wandel der Kriegführung“ und zum dritten „die neuartige Ausformulierung einer extrem dichotomisch und hierarchisch organisierten, anthropologisch begründeten und universale Geltung beanspruchenden Geschlechterordnung“ (S. 46 f.)

Forschungskontroversen innerhalb der drei Themenfelder werden sorgfältig abgearbeitet, methodische Differenzierungen eingehend erläutert. So entscheidet sich Karen Hagemann bei der Etikettierungsfrage „Befreiungskriege“ oder „Freiheitskriege“ für die letztere Alternative und damit für die zeitnahe „liberale Interpretationslinie“ (S. 47 f.). Zu Recht kritisiert sie in der Nationalismusforschung die Vernachlässigung der Geschlechterdimension, zumal angesichts der Konsequenzen, die die getrennten Verläufe kultureller Nationsbildung und politischer Staatsbildung im Mittel- und Osteuropa für die spezifische Integration für Männer und Frauen in Nation und Staat hatten (S. 59). Auch der Zusammenhang zwischen Nation, Militär und Krieg werde erst neuerdings erforscht, ebenso wie die soziale und kulturelle Konstruktion von Männlichkeit durch den Krieg für das frühe 19. Jahrhundert. Die Anwendung des von Robert W. Connell konstruierten Konzepts „hegemonialer Männlichkeit“ sei aber auch für diese Epoche möglich. Zentrales Anliegen der Studie ist daher die Untersuchung der „kulturellen und politischen Konstruktionen“, die vom zeitgenössischen patriotisch-nationalen Diskurs geformt wurden. (S. 65). Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf den öffentlichen Raum, seine Rahmenbedingungen und Medien, auf die publizistischen Diskurse über Nation, Militär, Krieg und Geschlecht, die kollektiven Praktiken der patriotisch-nationalen Mobilisierung und schließlich auf die subjektiven Wahrnehmungen in autobiographischen Texten.

Dieser Aufgabenstellung widmet sich Karen Hagemann in sieben unterschiedlich umfangreichen Kapiteln. Nach dem einleitenden ersten Abschnitt referiert das zweite Kapitel Militärpolitik, Heeresreformen und Kriegsmobilisierung in Preussen, das dritte erläutert die materiellen Voraussetzungen der Kriegspropaganda in der Öffentlichkeit, das vierte beschäftigt sich mit Sozialprofil und Selbstverständnis der einschlägig tätigen Publizisten. Einen Schwerpunkt bildet das fünfte Kapitel, das die publizistischen Diskurse über Nation, Krieg und Geschlecht thematisch differenzierend auf knapp zweihundert Seiten vorstellt. Hier werden die zentralen Zusammenhänge zwischen der nationalen und sozialen Identität und den Geschlechtscharakteren aus den Quellentexten analysiert, die Männlichkeitsbilder, die sich in der Auseinandersetzung mit Wehrpflicht und Kriegsdienst entwickeln, dargestellt, und die zahlreichen Entwürfe zur Gleichsetzung der Nation mit einer „Volksfamilie“ herauspräpariert. Das sechste Kapitel schließlich beschreibt die kollektiven Praktiken, mit denen für Krieg und Nation mobil gemacht wurde, die patriotischen Organisationen und Wohltätigkeitsinitiativen, die äußeren Zeichen des Patriotismus in Uniformen und Nationaltrachten, schließlich die kollektiven Feierlichkeiten zur Ehrung der Sieger und zur Beförderung des nationalen Enthusiasmus. Das siebente Kapitel zieht ein Resümee aus der „Macht der Bilder“ anhand des Dyptichons von Georg Friedrich Kersting: „Auf Vorposten“ und „Die Kranzwinderin“ (beide 1815).

Die Bildinterpretation bietet der Verfasserin den Anknüpfungspunkt, ihre Untersuchungsergebnisse abschließend Revue passieren zu lassen: Grundsätzlich wurde einer „stabilen, auf den als ´naturbedingt` konstruierten Geschlechterdifferenzen beruhenden Geschlechterordnung ... eine außerordentlich große Bedeutung bei der Stabilisierung von Staat und Nation beigemessen ...und [diese] wirkte so einheitsstiftend“ (S. 515). Gleichzeitig sieht Karen Hagemann sich in ihrer Vorannahme bestätigt, in der geschlechtergeschichtlichen Analyse zwischen Nation und Staat unterscheiden zu müssen: Während die Vorstellung einer Abstammungs- und Kulturnation Frauen in den allgemeinen Politisierungsprozeß einbezog und ihnen, z. B. im Rahmen der Frauenvereine, erhebliche soziale und kulturelle Partizipationsmöglichkeiten auch im öffentlichen Raum zugestand, galt dies nicht für die politische Partizipation im Staat. Politische Bürgerrechte wurden Frauen – aufgrund des Junktims mit der allgemeinen Wehrpflicht, für die sie „von Natur aus“ nicht geeignet seien – vorenthalten (S. 524). Zugleich zeigten sich die frühen Entwürfe zur Abstammungs- und Kulturnation nicht nur von Geschlechterdifferenzen, sondern auch von sozialen, ethnischen und anthropologischen Differenzierungen beeinflußt. Die Definition einer deutschen Nation argumentierte „mit der Vorstellung von Inklusion und Exklusion ... Die frühe deutsche Nationalbewegung erwies sich von Anfang an als aggressiv und ausgrenzend gegenüber allem, was mittels ethnisch-anthropologischer Kriterien als ´nicht-deutsch` definiert wurde“ (S. 525). Daher lehnt Karen Hagemann die Wehlersche Qualifizierung der Idee von der Abstammungs- und Kulturnation als „frühliberale Emanzipationsideologie“ kategorisch ab. Aufgrund ihrer „strukturell angelegten Janusgesichtigkeit“ sollte diese Idee, zumal sie einen übertriebenen Nationalstolz kultivierte - trotz aller aktueller Diskussionen zu ihrer Wiederbelebung - verdientermaßen zu den Akten gelegt werden (S. 327). Ein wohlgewähltes Schopenhauerzitat unterstreicht am Ende diese Schlußfolgerung. Beschlossen wird das Werk durch einen nützlichen Anhang mit Zeittafel, Karte, einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister.

Karen Hagemanns Buch kann man nur wärmstens zur Lektüre empfehlen. Leicht gemacht wird sie einem allerdings nicht. Auf die Darstellung zahlreicher Detailinformationen, deren Recherche viel Zeit und Aufwand gekostet hat, zu verzichten, ist immer eine entsagungsvolle Angelegenheit. Dennoch hätte es der Lesbarkeit gut getan, wenn dies ab und an geschehen wäre. Daß Karen Hagemann die publizistischen Diskurse zu Krieg, Nation und Geschlecht, die Schreibmotivationen der Akteure und ihre subjektiven Wahrnehmungen durch die zeitgenössischen Rezipienten in großer Ausführlichkeit geschildert und bewertet hat, ist nachvollziehbar und sinnvoll. Warum z. B. im Kapitel III. zu „Publicität und Propaganda“ aber die zeitgenössischen Diskussionen über Publizität und öffentliche Meinung, die „technischen“ Grundlagen für Literaturmarkt und Zensur und die Medien der Tagesliteratur, sowie im anschließenden Kapitel IV. die sozialen Hintergründe der am publizistischen Tagesgeschäft Beteiligten noch einmal in extenso dargestellt werden mußten, ohne daß dabei wesentliche neue Erkenntnisse herauskommen, hat mir angesichts einer breiten Forschung zu diesen Themenfeldern gerade in den letzten drei Jahrzehnten nicht einleuchten mögen. Nicht nur hier hätte konsequentes Straffen und Resumieren dem Buch etliche Seiten ersparen und die Aufmerksamkeit der Lesenden auf die wirklich interessanten und wichtigen Ergebnisse in den Kapiteln zu den publizistischen Diskursen und kollektiven Praktiken konzentrieren können.

Grundsätzlich ist es zu bedauern (und dies ist natürlich keine Kritik an der Autorin, sondern an den wissenschaftlichen Gepflogenheiten, denen sie Tribut zollt), daß akademische Qualifikationsarbeiten noch bei ihrer Publikation - anders als im angloamerikanischen Raum - einen Argumentationsduktus und einen gelehrten Apparat aufweisen müssen, der zwar die wissenschaftliche Befähigung ihrer Verfasser und Autorinnen in wünschenswerter Weise dokumentiert, aber eine breitere Rezeption durch ein weniger spezialisiertes Publikum konsequent torpediert. Das gilt auch für die vorliegende Untersuchung, denn schon allein wegen ihres deutlichen Bezugs zu den aktuellen politischen Entwicklungen ist Karen Hagemanns scharfsinniger Analyse eine sehr viel breitere Aufmerksamkeit zu wünschen als nur diejenige eines kleinen, speziell interessierten Fachpublikums.

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