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Titel
Suavissima soror. Untersuchungen zu den Bruder-Schwester-Beziehungen in der römischen Republik


Autor(en)
Harders, Ann-Cathrin
Reihe
Vestigia 60
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 344 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roxana Kath, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Ann-Cathrin Harders hat mit „Suavissima soror“ eine ausgesprochen anregende Studie zu den Bruder-Schwester-Beziehungen in der römischen Republik vorgelegt. Das Buch ist in der Reihe „Vestigia“ erschienen und stellt die überarbeitete Fassung ihrer im Wintersemester 2005/6 an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg angenommenen Dissertation dar. Harders ist es mit ihrer Arbeit gelungen, ein bisher in der Forschung vernachlässigtes Thema – die Bruder-Schwester-Beziehung – in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, das die horizontale Vernetzung der römischen Gesellschaft veranschaulicht und einen wichtigen Baustein zum Verständnis des starken Zusammenhalts der res publica insgesamt liefert.

Die Untersuchung beginnt mit theoretischen Erörterungen zum Aufbau von Verwandtschaft in Rekurs auf Claude Lévi-Strauss und Maurizio Bettini, dem Harders mit ihrem Fokus auf den kognatischen Verwandtschaftsbeziehungen folgt (Kapitel II).1 Anschließend verdeutlicht sie die Netzwerkfunktion von Verwandtschaft in einem Kapitel über die ‚Ehe als Allianz‘ (Kapitel III). Die Kapitel IV und V beschäftigen sich mit der Etymologie der Bruder-Schwester-Beziehung, deren Thematisierung in Komödie und Rhetorik sowie der rechtlichen Stellung von Bruder und Schwester. Zwar räumen das römische Recht und daran anschließend auch ein Teil der althistorischen Forschung der agnatischen Verwandtschaft den Vorrang ein2, die Abkehr der Römer von der Manus-Ehe im 2. Jahrhundert v.Chr. dürfte jedoch ein wichtiger Einschnitt gewesen sein und die soziale Realität nachhaltig verändert haben. Die Frau blieb in der Folge rechtlich Mitglied der Herkunftsfamilie, die Beziehung zwischen Bruder und Schwester scheint wichtiger geworden zu sein als die zu den jeweiligen Ehemännern, die aufgrund politischer Allianzen in der späten Republik häufig wechselten (S. 86). Das Motiv der besonderen Bedeutung der Bruder-Schwester-Beziehung tritt bereits im Mythos in der Konstellation von Horatius, Horatia und Curiatius hervor. In Kapitel VI illustriert Harders zugleich den Wertekodex für die Bruder-Schwester-Beziehung in Rom und das generelle Problem eines potentiell ständigen Loyalitätskonflikts zwischen Herkunfts- und eingeheirateter Familie. Im Vergleich mit dem Mythos vom Raub der Sabinerinnen verdeutlicht sie, dass die Frauen in ihrer Doppelrolle durchaus zwischen den Familienverbänden vermitteln konnten – vorausgesetzt, die Männer waren zum Konsens bereit.

Im Hauptteil der Arbeit kann Harders anhand von Fallstudien, die sich aufgrund der Quellenlage auf das 3. bis 1. Jahrhundert v.Chr. konzentrieren, systematisch den Vorrang der Bruder-Schwester-Beziehung aufzeigen. Analysiert werden zunächst die Geschwisterbeziehungen in den gentes Cornelia, Aemilia und Sempronia (Kapitel VII). Besonders hervorzuheben ist hier die familiäre Verflechtung zwischen Scipio Africanus und Aemilius Paullus sowie die Doppelrolle der Sempronia als Ehefrau und Schwester im Verhältnis zwischen Scipio und den Gracchen. In weiteren Kapiteln werden die Beziehungen zwischen M. Livius Drusus und Livia (Kapitel VIII), zwischen Servilia und ihren Brüdern (Kapitel X) sowie zwischen M. Iunius Brutus und seinen Schwestern dargestellt (Kapitel XI). Hier zeigt sich, dass die Schwestern noch über den Tod hinaus mit den Brüdern – in dem Fall mit den Caesarmördern – identifiziert wurden und sogar stellvertretend auf diese verwiesen (S. 317). Der jüngere Cato kann als Idealbild des „guten“ Bruders vorgeführt werden (Kapitel IX), dessen Einsicht in die soziale Notwendigkeit der verwandtschaftlichen Vernetzung sogar soweit ging, dass er Hortensius, als dieser Cato um die Hand der mit Bibulus verheirateten Schwester bat, alternativ die eigene Ehefrau Marcia abtrat (S. 38–41).

Demgegenüber sind Clodius und seine Schwestern in der Überlieferung zu negativen exempla geworden (Kapitel XII). Vor allem das Verhältnis von Clodius zu Clodia Metella scheint durch zu viel Nähe und Kooperation aufgefallen zu sein, so dass der stadtrömische Klatsch von einem inzestuösen Verhältnis sprach. Die Schwester als Anlaufstelle war hingegen generell nichts Ungewöhnliches, und viele Frauen unterhielten eine Art Salon. Auf der anderen Seite verdeutlicht das Beispiel der Clodia sehr gut, wie die älteren Ehemänner der Schwestern die politische und militärische Karriere des Schwagers unterstützen konnten. Aufgrund der Quellenlage erscheint die komplizierte Beziehung zwischen Pomponius Atticus, Pomponia und den Brüdern M. und Q. Cicero besonders anschaulich und detailreich (Kapitel XIII). Zugleich ist sie ein wertvolles Zeugnis dafür, dass die horizontale Vernetzung der Gesellschaft wohl über die nobilitären gentes hinausging und in ähnlicher Form auch für die Ritterschaft angenommen werden kann. Mit der Betrachtung der Geschwisterbeziehung von Octavian und Octavia als soror principis schlägt Harders die Brücke in die frühe Kaiserzeit und kann dabei zugleich den Zerfall und die Veränderung der Verwandtschaftsbeziehungen durch den Bürgerkrieg und die Etablierung der neuen Ordnung darstellen (Kapitel XIV). Eine Schlussbetrachtung (Kapitel XV) sowie Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister beschließen den Band.

Harders kommt ohne psychologisierende Ansätze aus und kann politische Allianzen und familiale Netzwerke abseits der Faktionenthese plausibilisieren.3 Erhellend sind auch die Überlegungen zur Steigerung des sozialen Status durch (nicht nur monetär) lukrative Ehen der Schwestern: Wenn nämlich die breitere Knüpfung von Verwandtschaftsbeziehungen als gesellschaftliche Verpflichtung gedacht wird, dann wird das Mitführen der (angeheirateten) Ahnenmasken der Frau nicht zum Notbehelf des homo novus, sondern zeigt vielmehr dessen Ausrichtung auf die res publica.4 Auf der anderen Seite suggerierten die imagines aus 20 altadligen Familien, die auf der pompa der Iunia Tertia im Jahre 22 n.Chr. mitgeführt wurden, dass die gentes Iunia und Cassia „praktisch mit der gesamten römischen Aristokratie verwandt und verschwägert“ waren (S. 209). Interessant und anschlussfähig ist auch Harders etwas anderer Zugang zu dem quellenbedingt schwierigen Thema der Rolle der Frau in der römischen Republik. Auch wenn in der vorliegenden Arbeit naturgemäß wieder deutlich mehr über die Brüder ausgesagt werden kann, gewinnen die Spielräume und Einflussmöglichkeiten der Frauen mit dem gewählten Blickwinkel mehr Plastizität, die Verflechtung privater und öffentlicher Handlungsräume wird transparenter. Davon ausgehend wird die weitere Forschung zur politischen Kultur der Republik und auch zur Rolle der Frau durch die Arbeit von Ann Cathrin Harders zweifellos profitieren.

Anmerkungen:
1 Maurizio Bettini, Familie und Verwandtschaft im antiken Rom, Frankfurt am Main 1992.
2 Vgl. u.a. Bernhard Linke, Von der Verwandtschaft zum Staat. Die Entstehung politischer Organisationsformen in der frührömischen Geschichte, Stuttgart 1995; Ders., Die agnatio. Ein römischer Sonderweg in der sozialen Organisation, in: Historische Anthropologie 6 (1998), S. 104–131.
3 Zur Faktionenthese vgl. u.a. Friedrich Münzer, Römische Adelsparteien und Adelsfamilien, Stuttgart 1920; Howard Hayes Scullard, Roman Politics 220–150 B.C., Oxford 1951.
4 Vgl. zu den imagines und der inneraristokratischen Konkurrenz u.a. Egon Flaig, Die pompa funebris. Adlige Konkurrenz und annalistische Erinnerung in der römischen Republik, in: Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Memoria als Kultur, Göttingen 1995, S. 115–148; Harriet Flower, Ancestor Masks and Aristocratic Power in Roman Culture, Oxford 1996.

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