V. R. Berghahn: America and the Intellectuel Cold Wars in Europe

Titel
America and the Intellectuel Cold Wars in Europe. Shepard Stone Between Philanthropy, Academy and Diplomacy


Autor(en)
Berghahn, Volker R.
Erschienen
Anzahl Seiten
373 S.
Preis
$39.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konrad Jarausch, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und University of North Carolina at Chapel Hill, USA

In der Retrospektive verschwimmt der während seiner Existenz so eindeutig scheinende Kalte Krieg zunehmend in seinen Konturen. Statt weiterhin die Epoche unter dem Signum der militärischen Konfrontationen und diplomatischen Krisen zu sehen, nimmt der erinnernde Blick die Nachkriegsjahrzehnte als Periode außergewöhnlicher Stabilität und großer Überschaubarkeit der polarisierten Machtverhältnisse wahr. Im Zusammenhang mit der neuen Kulturgeschichte verschiebt sich das Forschungsinteresse gleichzeitig von der Bedrohung des nuklearen Wettrüstens und den dadurch ausgelösten Abrüstungsbemühungen zu den kulturellen Dimensionen der Auseinandersetzung zwischen den ideologischen Blöcken. Dadurch kommen auch mehr und mehr die internen Konflikte innerhalb des jeweiligen Lagers in den Blick, die Patrick Major mit dem Etikett „kalter Bürgerkrieg“ bezeichnet hat.

Für eine solche Neubewertung des Kalten Krieges bietet der meist nur Experten in deutsch-amerikanischen Beziehungen bekannte Shepard Stone einen vielversprechenden Ansatzpunkt, da er eine Schlüsselfigur der transatlantischen Beziehungen wie europäischen Auseinandersetzungen im Bereich der Kultur war. Als Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie studierte der ambitionierte junge Amerikaner während der zwanziger Jahre an der Ivy League Institution Dartmouth College und promovierte dann bei Hermann Oncken in Berlin, wo er im Jahre 1933 eine junge Deutsche, Charlotte Hasenclever-Jaffe, heiratete. Stone verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst als Journalist, u.a. für die New York Times, diente während des Krieges in Europa, arbeitete danach in der amerikanischen Militärregierung als Kulturoffizier unter John McCloy, wurde dann ein einflußreicher Mitarbeiter der finanziell potenten Ford Foundation, leitete den umstrittenen Congress for Cultural Freedom und präsidierte schließlich der von ihm gegründeten transatlantischen Begegnungsstätte des Aspen Instituts in Westberlin. Die wechselnden Stationen dieses Lebenslaufs sind typisch für intellektuelle Mitglieder der politischen Klasse der US-Ostküste, die sich gleichzeitig den amerikanischen Werten der Freiheit wie den europäischen Stilen der Hochkultur verpflichtet fühlten.

Der Bearbeiter seines Nachlasses, Volker R. Berghahn, ist hervorragend auf diese komplexe Aufgabe vorbereitet, da er einer der führenden deutschen Historiker in den Vereinigten Staaten ist. Seine eigenen Lebenserfahrungen verbinden eine deutsche Ausbildung bis zur Habilitation und ein langjähriges Wirken an der University of East Anglia in Großbritannien mit einer gegenwärtigen Stiftungsprofessur an der renommierten Columbia University in New York, wo er das Center for European Studies leitet. Sein vielfältiges intellektuelles Oeuvre umfaßt Themen wie die kaiserliche Flottenpolitik, das Problem des Militarismus, die Ursachen des Ersten Weltkriegs, die Amerikanisierung der deutschen Manager in der Nachkriegszeit und Überblicksdarstellungen über das Kaiserreich oder das zwanzigste Jahrhundert, um nur einige der prominentesten Titel zu nennen. Bekannt für sein kritisches aber abwägendes Urteil über die deutsche Entwicklung, ist Berghahn gegenüber neuen methodischen Strömungen aufgeschlossen und, wie die Arbeiten seiner Doktoranden zeigen, an einer breiten Palette von Fragestellungen interessiert. Die deutschen und anglo-amerikanischen Stufen seiner Vita haben Distanz zu den Selbstverständlichkeiten der jeweiligen Kontexte geschaffen und ihn dadurch geradezu für eine transatlantische Fragestellung prädestiniert.

Der im Untertitel erwähnte biographisch-thematische Ansatz erlaubt dem Autor sozusagen einen Blick von innen auf die Entwicklungen der deutschen Frage, des Kalten Krieges und der Beziehungen zwischen Amerika und Europa. Daraus ergibt sich weniger eine Analyse der moderat progressiven Ansichten von Shepard Stone als eine interne Organisationsgeschichte seiner Wirkung an zentralen Schaltstellen der kulturellen Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt. Ausführliche Zitate aus veröffentlichten Artikeln, persönlichen Briefen und offiziellen Memoranden geben einen Einblick in die unermüdlichen Aktivitäten des Protagonisten als eine Art von kulturpolitischem Impresario atlantischer Gemeinschaft zwischen den USA und dem europäischen Kontinent. In erheblichem Detail rekonstruiert Volker Berghahn daher das Netzwerk von Politikern, Geschäftsleuten und Intellektuellen, welche sich nicht nur für die Umerziehung der Deutschen nach 1945, sondern auch für die Behauptung der Demokratie in Westeuropa gegenüber der Verlockung des Kommunismus sowie die Aufrechterhaltung der atlantischen Allianz einsetzten. Schließlich präsentiert er interessante Kurzanalysen des Wechsels der politischen Prioritäten in Amerika und des kulturellen Klimas in Europa, die den Erfolg der jeweiligen Projekte zunächst begünstigten und später in Frage stellten.

Der Ertrag einer solchen Perspektive für ein tieferes Verständnis des kalten Kulturkrieges zwischen Ost und West sowie innerhalb beider Lager ist in vieler Hinsicht beeindruckend: Der „Geist der Freiheit“ setzte sich nicht sozusagen von selbst aufgrund einer instinktiven Affinität westeuropäischer Intellektueller zu liberalen Wertvorstellungen durch, sondern bedurfte einer systematischen Kampagne von subsidierten Zeitschriften (wie Der Monat, Encounter, Epreuves), hochkarätig besetzten internationalen Kongressen und attraktiven Veranstaltungsreihen wie Konzerte oder Dichterlesungen. Dadurch wird deutlich, daß die amerikanischen Eliten in der Propagierung antisowjetischer und antikommunistischer Haltungen eine wesentlich aktivere Rolle spielten als sie meist von der bisherigen Forschung angenommen wurde. Die Kooperation europäischer Denker wie Alan Bullock, Ignatio Silone oder Raymond Aron mit amerikanischen Wissenschaftlern wie Daniel Bell in dem Congress for Cultural Freedom basierte auf einem grundlegenden antitotalitären Konsens, der gegen jede Form von Diktatur gerichtet war, aber gleichzeitig auch soziale Reformen im Kapitalismus forderte. Ohne Sensationshascherei stellt Berghahn die moralisch fragwürdige Ko-Finanzierung mancher solcher Aktivitäten durch den US-Geheimdienst CIA dar, deren Offenlegung die ganze Richtung in den kritischeren sechziger Jahren diskreditierte. Gleichzeitig kommt auch eine anscheinend unüberwindbare Spannung zwischen amerikanischen und europäischen Intellektuellen in den Blick, deren politische Analysen und kulturelle Stile jenseits der Grundgemeinsamkeit immer wieder divergierten.

Trotz der Schlüsselrolle von Shepard Stone wirft die Konzentration auf eine einzige wichtige Figur jedoch auch eine Reihe von Fragen auf, deren Klärung noch weiterer Forschung bedarf. Vor allem verlangt die Beurteilung der Wirkung der diversen von ihm durchgesetzten Programme eine eingehendere Rezeptionsanalyse, die über die internen Memoranden von OMGUS oder Ford Foundation hinausgeht. Auch bleibt trotz des etwas elementaren Exkurses über die Massengesellschaft in Kapitel 4 der Inhalt von intellektuellen Debatten merkwürdig schemenhaft. Um den komplexen Entscheidungsprozeß einer pro-westlichen oder pro-östlichen Positionierung nachvollziehen zu können, sind tiefergehende Untersuchungen der Motive, Aspirationen und Lernprozesse von Individuen oder Gruppen notwendig. Daher bleibt es auch unklar, zu welchem Zeitpunkt und nach welchen Kriterien die kulturelle Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in Westeuropa im wesentlichen als abgeschlossen zu betrachten ist.

Der Einfluß der westlichen Aktivitäten auf Osteuropa ist gleichfalls noch genauer nachzuweisen, denn die direkten auf diese Region ausgerichteten Programme fielen ziemlich bescheiden aus. Da elitäre Kreise auf beiden Seiten des Atlantiks das Aufkommen der kommerzialisierten Massenkultur gleichermaßen kritisierten, kann man daran zweifeln, ob der emotional aufgeladene Begriff des „Antiamerikanismus“ wirklich ein glücklicher Einstieg in die Diskussion ihrer verschiedenen Prioritäten und Denkstile ist. In der eindrucksvollen vor allem auf England und Frankreich gerichteten Breite der Darstellung verschwimmt schließlich auch der deutsche Sonderfall, so daß die Studie zu den innerdeutschen kulturellen Auseinandersetzungen wenig Neues beiträgt.

Aus diesen Gründen ist diese reife Arbeit eher ein öffnendes als ein abschließendes Buch. Für die künftige Beschäftigung mit den kulturellen Dimensionen des Kalten Kriegs wird eine Lektüre von „America and the Cultural Cold Wars in Europe“ unentbehrlich sein. Die wichtige, aber oft im Halbschatten agierende Person von Shepard Stone hat dank der hier vorgelegten Forschungen eigene, interessante Konturen gewonnen. Die Grundmuster der Ostküstenkarrieren von Mitgliedern der US-Eliten und das Zusammenwirken von Publizistik, Regierung, Wirtschaft und Stiftungen an gemeinsamen Großprojekten zur Förderung westlicher Werte werden durch Berghahns Darstellung überzeugend deutlich. Das transatlantische Netzwerk von führenden Cold War intellectuals nimmt in dieser Beschreibung ihrer Kontakte und gemeinsamen Aktivitäten eindrucksvolle Gestalt an. Aber weitere kulturelle Fragen nach den Ursachen der jeweiligen Stellungnahme für individuelle Freiheit gegenüber sozialer Gleichheit, nach den Auswirkungen der diversen Regierungs- oder Stiftungsprogramme, sowie nach den Hintergründen der weiterbestehenden transatlantischen Spannungen harren jedoch weiterhin auf eine Antwort.

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