S. Schmidt-Hofner: Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers

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Titel
Reagieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I.


Autor(en)
Schmidt-Hofner, Sebastian
Reihe
Vestigia 58
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
398 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Muriel Moser, Faculty of Classics, University of Cambridge

Wie regierten die spätrömischen Kaiser? Der Beantwortung dieser Frage hat sich Sebastian Schmidt-Hofner in einer interessanten Arbeit über den Regierungsstil des spätrömischen Kaisers Valentinian I. gewidmet. Ausgehend von der Untersuchung der kaiserlichen Gesetzgebung aus den Jahren 364–375 liefert das Werk nicht nur wichtige Einblicke in die innenpolitischen sowie gesetzgeberischen Maßnahmen Valentinians, dem gerne wegweisende Änderungen in diesen und weiteren Bereichen des spätantiken Staates zugeschrieben werden, so etwa im Kolonat, dem Steuerwesen oder der Standesbindung. Vielmehr entwickelt der Autor einen neuen Ansatz zur Auslegung des Codex Theodosianus als Quelle für die Natur kaiserlichen Handelns. Dieser ermöglicht es ihm, nach einer detaillierten Analyse der weitläufigen Gesetzgebung Valentinians I. dem Wesen des spätantiken kaiserlichen Regierungsstils auf den Grund zu gehen. So gelingt es Schmidt-Hofner schließlich, eine Reihe traditioneller Sichtweisen und Bewertungen dieses Kaisers im Speziellen und des spätantiken Kaisertums im Allgemeinen als unzutreffend herauszuarbeiten.

Um dem Wesen des Regierungsstils spätantiker Kaiser nachzugehen, widmet sich der Autor zunächst einer Analyse des Codex Theodosianus und der Natur der in ihm enthaltenen kaiserlichen Briefe. Er unterteilt diese in Weisungen, die als Antwort auf eine Petition gegeben wurden, und Aufforderungen, die vom agierenden Kaiser selbst ausgehen. Während diese letzteren, die der Autor als Direktiven bezeichnet, grundsätzlich innovativer Natur sind, finden sich unter den reagierenden kaiserlichen Weisungen solche sowohl affirmativen Inhalts (Instruktionen) als auch – wie der Autor anhand mehrerer Beispiele überzeugend vorstellt – innovativen Charakters (Dispositionen). Wenn auch Instruktionen deutlich überwiegen, so warnen die Rückschreiben innovativer Natur doch davor, in einem reagierenden einen rein passiven und gestalterisch inaktiven Kaiser anzunehmen.

Es folgen fünf Kapitel, die auf der Grundlage dieses Schemas zur Erforschung des normativen Charakters der kaiserlichen Erlasse die innenpolitische Gesetzgebung Valentinians einer neuen Betrachtung unterziehen. Zunächst widmet sich der Autor den Erlassen bezüglich der expandierten kaiserlichen Verwaltung. Diese waren selbst in Zeiten intensivierter kaiserlicher Administration, welche die Bekämpfung der unrechtmäßigen Ausübung administrativer Ämter noch dringlicher machte, hauptsächlich reagierenden Charakters. So sind Erlasse zur Bekämpfung überzogener sportulae für die Ausführung von Amtsgeschäften, die im Jahr 365 innerhalb weniger Wochen durch Kooperation beider Reichshälften reichsweit Geltung bekamen, zumeist Instruktionen und Dispositionen. Zudem macht der Autor deutlich, dass Valentinians Standesgesetzgebung nicht, wie oft angenommen, innovativer, sondern rein affirmativer Natur war und somit weitgehend auf Regelungen früherer Kaiser verwies.

Auch im Bereich des Steuerwesens unter Valentinian müssen, so schlussfolgert der Autor, einige gängige Annahmen teilweise revidiert bzw. in ihrer Aussage verfeinert werden. So lässt sich in Valentinians Maßnahmen diesbezüglich kein gesteigertes Interesse an einer Zentralisierung feststellen. Vielmehr weist seine Reform der städtischen Steuererhebung auf kaiserliches Bemühen zur Stärkung der munizipalen Selbstverwaltung hin: So sollten die Dekurionen durch die dauerhafte Einbindung der honorati in die Steuererhebung entlastet werden. Zutreffend scheint aber in weiten Teilen das Urteil antiker und moderner Historiker, Valentinian I. habe eine schonungsvolle Steuerpolitik betrieben. So zeigt sich zum Beispiel bei der Reform der Steuerentrichtungsraten sein Wille, selbst bei Benachteiligung des Fiskus die Entlastung der Bevölkerung anzustreben.

Weitreichend waren auch die durch eine nicht überlieferte Direktive eingeleitete und im Jahre 368 abgeschlossene Münzreform. Angestrebt wurde nicht nur die Purifizierung der Münzmetalle, vielmehr sollten auch die Administration und Organisation der Münzstätten grundlegend restrukturiert werden. Ein Ansatz zur stärkeren Zentralisierung lässt sich zwar in der Konzentration der Edelmetallprägung am Hof verorten, doch zeigt Schmidt-Hofner überzeugend, dass die These einer Wirtschaftspolitik nach ökonomischen Gesichtspunkten, wie in Teilen der Forschung postuliert, eindeutig der Grundlage entbehrt. Vielmehr sollte hauptsächlich der Destabilisierung des Münzwertes Einhalt geboten werden, wobei die daraus resultierende Erleichterung der Steuerabgabe seitens der Provinzbevölkerung als Teilaspekt der Reform durchscheint.

Der Wille zur aktiven Wirtschaftspolitik muss auch im Bereich der Agrarpolitik verneint werden. Valentinians Konstitutionen bezüglich des spätantiken Kolonats, der Veteranenversorgung und der Domänengesetzgebung bestechen durch ihren reagierenden und größtenteils affirmativen Charakter und die in ihnen geäußerte kaiserlichen Intention, Konstanz und Stabilität in den Institutionen der Agrarwirtschaft zu schaffen. Dennoch wurde weder die Freiheit der Kolonen übermäßig vorangetrieben, noch ist eine der kaiserlichen Intention entspringende Kampagne zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion zu erkennen. Die kaiserliche Fürsorge bestimmt schließlich auch die Konstitutionen zur Versorgung der stadtrömischen Bevölkerung. Hier gingen Valentinians Maßnahmen im Detail über die traditionelle kaiserliche Unterstützung der Stadt in der kostenlosen Lebensmittelversorgung und der Organisationen der Spiele hinaus. So sind unter den fast fünfzig Erlassen auch solche zur Einrichtung von Armenärzten und zur Ausdehnung der freien Lebensmittelverteilung zu finden.

Sebastian Schmidt-Hofner hat somit ein Werk vorgelegt, dass zum ersten Mal den Innovationsgehalt innenpolitischer Konstitutionen in den Mittelpunkt der Erforschung kaiserlichen Gestaltungs- und letztlich Handlungswillens setzt. Seine detaillierte Analyse der Gesetzgebung Valentinians ist überzeugend und revidiert die bisher verbreitete Ansicht, dass Valentinian aktiv Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik betrieben habe. Valentinians Dispositionen und seinen weniger zahlreichen aber wegweisenden Direktiven können demgegenüber drei programmatische Leitideen der kaiserlichen Regierung abgelesen werden. Sie bezeugen Valentinians Bemühungen um den Kampf gegen die Korruption und die Stärkung der munizipalen Selbstverwaltung, eine gezielt auf Kompromiss basierende Entlastung der Steuerzahler sowie eine aktiv betriebene, über das Normalmaß herausgehende kaiserliche Fürsorge gegenüber der einfachen Bevölkerung des Reiches. Auch rehabilitiert die als Anhang beigefügte Abhandlung strittiger Gesetzestexte Valens als gleichberechtigten Partner im Osten.

Mit diesen Einblicken in die Natur der innenpolitischen Erlasse Valentinians begnügt sich Schmidt-Hofners Monographie erfreulicherweise nicht. Vielmehr nutzt der Autor diese Erkenntnisse über die Begebenheiten der Jahre 364–375 dazu, die Debatte um den Regierungsstil des spätantiken Kaisers um einige wichtige Einblicke zu bereichern. Hier hatte sich mit der Zurückweisung des Verständnisses der Spätantike als Zwangsstaat nun die Frage aufgetan, wie ein nach dem Millarschen Modell des petition and response1 hauptsächlich reagierender römischer Kaiser all diejenigen Prozesse in Gang und zum Abschluss bringen konnte, die das Römische Reich des Prinzipats in das zentralisiertere und effektiver verwaltete spätantike Reich verwandeln sollten.

Mit der Herausarbeitung der Dynamik des Regierungsstils Valentinians ist es Schmidt-Hofner nun aber gelungen, das Millarsche Modell in Aktion zu untersuchen und es um ein wesentlichen Punkt zu erweitern: Auch in der Reaktion regierten römische Kaiser innovativ und gestaltend. Das Paradox eines kasuistisch-reagierenden kaiserlichen Regierungsstils einerseits und die deutlich zunehmende Zentralisierung kaiserlicher Macht und der Aufbau kaiserlicher Bürokratie sowie der Ausbau der Verwaltung andererseits ist somit teilweise damit zu erklären, dass oft schon der innovative Inhalt eines kaiserlichen Rückschreibens, da es zumeist einen reichsweiten Präzedenzfall schaffte, genügte, um weitreichende Umwandlungsprozesse auszulösen. Zu Recht weist der Autor schließlich darauf hin, dass es vor diesem Hintergrund nun zu fragen gilt, in wieweit dieser dynamische Ansatz auch im Regierungsstil der Kaiser der Prinzipatszeit zu finden ist und in wieweit auch sie in der Reaktion gestalterisch regierten.

Zusammenfassend handelt es sich bei „Reagieren und Gestalten“ um ein wichtiges und nützliches Werk, dessen Lektüre all jenen Historikern ans Herz gelegt sei, die dem Regierungsstil des reagierend gestaltenden (spät)römischen Kaisers nachgehen wollen.

Anmerkung:
1 Fergus Millar, The Emperors in the Roman World, 2. Aufl., London 1992, bes. S. 3–12, 203–272 u. 636–652; zuerst: Emperors at Work, in: Journal of Roman Studies 57 (1967), S. 9–19.

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