H. Müller u.a. (Hrsg.): Die Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel

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Titel
Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449). Personen und Institutionen


Herausgeber
Müller, Heribert; Helmrath, Johannes
Reihe
Vorträge und Forschungen 67
Erschienen
Ostfildern 2007: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
422 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Schwarz, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

In der Tat, es ist mehr als auffällig: In der Geschichte des Konstanzer Arbeitskreises hat es bis vor kurzem keine Zusammenkunft gegeben, die sich mit den spätmittelalterlichen Reformkonzilien, den berühmten Kirchenversammlungen von Pisa (1409), Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449) als solchen befasste – trotz jenes schon legendären Treffens vom Herbst 1964, auf dem ein von Hermann Heimpel (1901-1988) gehaltener Vortrag über „Das deutsche 15. Jahrhundert in Krise und Beharrung“ zu hören war, der es in sich hatte und einen regelrechten Paradigmenwechsel einläutete.1 Heimpels Vortrag steht am Ende eines Bewertungszeitraums, in welchem das 15. Jahrhundert von den deutschen Historikern „die schlechteste Note“2 erhielt, und am Beginn des bekannten Spätmittelalter-Booms der deutschen Mediävistik, der auch den Konstanzer Arbeitskreis nicht unbeeinflusst ließ, aber für sein Verhältnis zu den Reformkonzilien bis in den Herbst 2004 ohne Konsequenzen blieb. Eine Art „Nachsitzen“ war also angesagt, wie die beiden Herausgeber des Bandes, Heribert Müller und Johannes Helmrath, ironisch-süffisant bemerken (S. 10) – einem begabten, aber etwas verwöhnten und im Ganzen eher einseitig ausgerichteten Primus werden seine Versäumnisse vorgerechnet. Indessen erstrebt auch die Nachholstunde keine „histoire totale“. Wichtig, um dem Werk gerecht zu werden, ist vor allem eines: Es will die drei Konzilien primär als historische Ereignisse erfassen – und zwar in einem dezidiert europäischen Rahmen, der den bislang durchaus berechtigten Eindruck, es handele sich dabei um ein Thema speziell der „deutschen Mediävistik“ vergessen lassen möchte.

Am Anfang des Bandes steht ein Beitrag von Helmut G. Walther über „Konziliarismus als politische Theorie? Konzilsvorstellungen im 15. Jahrhundert zwischen Notlösungen und Kirchenmodellen“ (S. 31-60). Walther über Execrabilis, die vermeintliche Mutter aller antikonziliaren Schlachten: Nicht eine in sich geschlossene Konzilstheorie habe diese Bulle Pius’ II. bekämpft, sondern allein das dem päpstlichen Primat abträgliche Mittel der Konzilsappellation. Differenziert alles weitere, auch mit inspirierendem politologischen Vokabular: Artisten und Theologen auf der einen, Kanonisten auf der anderen Seite haben sich ganz unterschiedlicher Wissenschaftssprachen bedient; doch habe kurz vor 1400 die Stunde der Kanonisten geschlagen. Basel dann: der Ort eines großen „Crossover“ zwischen Jurisprudenz und Theologie im Spätmittelalter, der Ort, an dem die Praxis einer ständigen Leitung der Universalkirche auf konziliarer Basis der Mehrheit der Prälaten und Fürsten nicht vermittelt werden konnte. Dann Dieter Girgensohn über das Pisanum („Von der konziliaren Theorie des späteren Mittelalters zur Praxis: Pisa 1409“, S. 61-94): keine konturlose Vorstufe, sondern der Mehrzahl der Zeitgenossen nach durchaus ein Generalkonzil, wobei die in Pisa gefundenen Ordnungsstrukturen richtungsweisend für Konstanz und Basel wurden. Nach Girgensohn Thomas Rathmann mit den Methoden eines Literaturwissenschaftlers – man könnte auch sagen: mit den Methoden eines Historikers im Zeitalter eines reflektierten linguistic turn – über „Beobachtung ohne Beobachter. Der schwierige Umgang mit dem historischen Ereignis am Beispiel des Konstanzer Konzils“ (S. 95-106). Rathmann setzt den Begriff der Quelle nicht absolut, doch er vernichtet ihn auch nicht. Vor allem anhand der Konzilschronik Richenthals zeigt Rathmann, dass es dem Chronisten nicht darum ging, Wirklichkeit abzubilden, sondern dass dieser sich post eventum in das Konzilsgeschehen eingemischt habe.

Am eindrucksvollsten im ganzen Band erscheinen die Beiträge von Helmut Maurer und Claudius Sieber-Lehmann über die Konzilien als „städtische Ereignisse“ (S. 149-171 bzw. S. 173-204). Hier wird die Konziliengeschichte vom (juristischen) Kopf auf die (sozialen) Füße gestellt, was auch dann gilt, wenn aus dem „städtischen Ereignis“ im Falle der Bodenseestadt ein bischofsstädtisches wird. Maurer in summa: Zu einem solchen habe das Konzil werden können, weil seine in der Öffentlichkeit sichtbaren Rituale die gesamte Stadtbevölkerung einschließlich des Domkapitels als Sakralgemeinschaft erfassten, weil sich diese Rituale und Zeremonien in das in der Stadt Gewohnte einfügten. All das habe indessen nur in einer seit Langem mit derartigen Gebräuchen vertrauten Stadt, eben nur in einer Bischofsstadt geschehen können (S. 170, 172). Basel hingegen, wo das Konzil in der städtischen Geschichtsschreibung merkwürdigerweise kaum Spuren hinterließ: eine Stadt, in der die Konzilsväter in ihren abgeschotteten Beratungsräumen saßen und das städtische Treiben, von pikanten Einzelheiten abgesehen, weitgehend unbeeinflusst davon abgelaufen zu sein scheint. Dennoch, von Sieber-Lehmann in archivalischer Kärrnerarbeit mühevoll ausgegraben und auf lebendige Weise sichtbar gemacht, gab es vielfältigste Interaktionen. Auch war das Konzil, wollte es sich selbst in Szene setzen, entschieden auf die Mitwirkung des Rates angewiesen, so beim Besuch Kaiser Sigmunds 1433-1434, so vor allem aber bei Wahl und Inthronisation Papst Felix’ V. 1440: ein Rom am Rheinknie wurde penibel nachgebildet; die am 24. Juli 1440 stattfindenden Krönungsfeierlichkeiten orientierten sich, höchste Legitimation erheischend, am römischen Vorbild. Basler Bürger spielten Römer. Das Predigerkloster war der Lateran. Selbst eine Delegation von Juden wurde in der Stadt, in der seit Beginn des 15. Jahrhunderts keine Menschen jüdischen Glaubens mehr toleriert wurden, zur Krönungsfeier herbeigeschafft, damit der Pontifex, ganz wie in der Urbs, die mosaischen Gesetze bestätigen konnte.

Andere Beiträge des Bandes sind zum Teil hochkomplex, ihre Grundtöne sind (nach einem bekannten Wort Thomas Nipperdeys) nicht schwarz oder weiß, sondern grau, in unendlichen Schattierungen. Prosopografisch, strukturanalytisch, komparatistisch widmen sich diese Beiträge verschiedenen Aspekten der Reformkonzilien: so der Aufsatz von Ansgar Frenken über „Gelehrte auf dem Konzil“ (S. 106-147) mit wohltuend dämpfenden Fallstudien zur Bedeutung und Wirksamkeit der Universitätsangehörigen auf dem Konstanzer Konzil; so Hans-Jörg Gilomen über „Bürokratie und Korporation am Basler Konzil. Strukturelle und prosopographische Aspekte“ (S. 205-256), der herausarbeitet, dass das Concilium Basiliense kuriale Strukturen, Geschäftsabläufe, ja auch Personal übernommen habe; so Thomas Prügl über „Modelle konziliarer Kontroverstheologie“ (S. 257-288), exemplifiziert anhand der beiden prominenten Dominikaner Johannes von Ragusa und Johannes von Torquemada, die zu den einflussreichsten Theologen in Basel gehörten und deren ekklesiologische Grundpositionen unter anderem am Beispiel des sogenannten Präsidentschaftsstreits 1434 herausgearbeitet werden; so Götz-Rüdiger Tewes über „Kirchliche Ideale und nationale Realitäten. Zur Rezeption der Basler Konzilsdekrete“ (S. 337-370), mit der Betonung der Abhängigkeit des Rezeptionserfolgs von der Haltung der einzelnen europäischen Länder zur Kurie; vor allem aber – sicherlich noch einmal einer der Höhepunkte des Bandes – Petra Weigel über „Reform als Paradigma – Konzilien und Bettelorden“ (S. 289-336). Nicht zugänglich einer Ordensreform über den Weg des Konzilstextes, habe, so Weigel, die Konzilsteilnahme der Mendikanten vor allem darauf abgezielt, Versuche der Neubewertung ihrer Exemtions- und Seelsorgerechte zu verhindern; wesentlich konstruktiver indes erscheint die Korrelation zwischen konziliarem Reformstreben und Ordensreform auf der Ebene der Einzelorden, so vor allem durch Anerkennung der Autorität des Konzils in Reformfragen durch Dominikaner und Augustinereremiten in der Reformblütephase des Konzils 1433-1436.

Auf unfaire Weise nehmen die Herausgeber dem Rezensenten den Wind aus den Segeln. Denn sie selbst verweisen auf die allbekannten Umstände, unter denen – durch das fehlende Angebot an ausgewiesenen Spezialisten, durch Absagen und den Blick auf das schlechthin Machbare beeinträchtigt – solche Tagungsbände in der Regel zustande zu kommen pflegen und in denen demzufolge manches fehlt, was wünschenswert wäre (S. 13). Dennoch möchte man es schade finden, dass der eindrucksvolle Band einiges nicht erfüllt. So bleibt es bedauerlich, dass mit dem Aufsatz von Dieter Girgensohn letztlich nur ein Beitrag dem Pisanum als solchem gewidmet ist. Schade zudem, dass ein Band, der den Begriff „Personen“ im Untertitel führt, diese Personen nur auf prosopografischer Ebene in den Mittelpunkt rückt, dass aber kein Beitrag eine der Konzilsfiguren also solche – sei es auf der höheren oder auf der niederen Ebene – biografisch zu erfassen sich vornimmt. Das mit dem „Nachsitzen“ ist ja schon richtig. Dann aber hätte die Nachholstunde auch eine jener Lektionen, die, trotz Bourdieuscher Kritik, seit dem Herbst 1964 auf dem Lehrplan stand, die neuerliche Beachtung der Biografie nicht überschlagen dürfen. Wie kommt die Konziliengeschichte des 15. Jahrhunderts ohne die Biografie aus? Wie schön – in einem in der Sache weiterführenden Sinne – wäre es gewesen, man hätte in dem Band einen Beitrag der kontextuellen Biografik à la Meuthen, Märtl, Prietzel, Rando, Kleinert oder anderer vorgefunden. Von der Notwendigkeit einer Biografie Eugens IV. reden die Herausgeber selbst (S. 25); eine Vorstudie über diesen Papst (oder auch über Johannes XXIII., Benedikt XIII. bzw. König Sigmund) hätte dem durchaus Rechnung tragen können, ja vielleicht sogar müssen.

Dankenswerterweise wird der Band, der für die Erforschung der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts künftig zur Grundlagenliteratur gehört und dessen Erkenntnisse und Desiderate von Werner Maleczek ebenso präzise wie lebendig zusammengefasst werden (S. 371-392), durch ein vorzügliches Register erschlossen. Und als wollte man große Sünden so manch wichtiger Publikation des Arbeitskreises wettmachen, die – Stellung der Organisation und Qualität der Bände geradezu konterkarierend – auf diese Art der Erschließung ihrer Ergebnisse unbegreiflicherweise verzichteten 3, sogar durch ein dreiteiliges: ein Namenregister, ein Register der modernen Autoren sowie ein Ortsregister. So sollte es sein – schade, dass es nicht immer so ist.

Anmerkungen:
1 Heimpel, Hermann, Das deutsche fünfzehnte Jahrhundert in Krise und Beharrung, in: Die Welt zur Zeit des Konstanzer Konzils. Reichenau-Vorträge im Herbst 1964, Konstanz 1965, S. 9-29.
2 Ebd. S. 9.
3 Moraw, Peter (Hrsg.), Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, Stuttgart 2002; Fried, Johannes; Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.), Heinrich der Löwe. Herrschaft und Repräsentation, Ostfildern 2003.

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