A. Tantner: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen

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Titel
Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie


Autor(en)
Tantner, Anton
Reihe
Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 4
Erschienen
Innsbruck u.a. 2007: StudienVerlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Preisinger, Wien

Im Zentrum der Studie des Wiener Historikers Anton Tantner steht als eines der großen reformabsolutistischen Projekte des 18. Jahrhunderts – einem Jahrhundert, „das von Ordnung und Klassifikation geradezu besessen ist“ (S. 62) – die Seelenkonskription und Hausnummerierung der Jahre 1770 bis 1772 in der Habsburgermonarchie. Erste Vorläufer wurden etwa zur Erfassung der jüdischen Bevölkerung (beispielsweise in Wien am 23. Juli 1660), zur gegenreformatorischen Bevölkerungsaufnahme und zur Erstellung der Hofquartierbücher (erstes Wiener Häuser Verzeichnis mit durchgehender Nummerierung aus dem Jahr 1567) durchgeführt. Mit dem Ziel Schlesien wiederzugewinnen, wurden ab 1753 regelmäßige Seelenkonskriptionen abgehalten, um die fiskalische Effizienz und das Rekrutierungspotenzial zu erhöhen. Die auf den „Konskribtionstabellen verzeichnete Bevölkerung [ist] die Reserve, die in Vorrat gehalten wird, und aus der je nach Bedarf dasjenige Menschenmaterial geholt wird, das im Militär zirkuliert“ (S. 209). Mit der großen Konskription von 1770 geht auch die Einführung eines neuen Rekrutierungssystems, nach Vorbild des preußischen Kantonsystems gestaltet, einher. Für den Staat bedeutet dieser hohe bürokratische und organisatorische Aufwand einen erhöhten Zugriff auf seine Untertanen, denn „[d]as Haus ist ein monolithischer Block, der Reichtümer und Ressourcen in sich birgt, deren systematische Erschließung den Steuer- und Militärbehörden versperrt bleibt, solange es kein staatliches Adressierungssystem gibt“ (S. 61).

Detailreich zeichnet Tantner die kleinen Begebenheiten dieses Riesenprojektes auf, wie etwa die unterschiedlichen Druckkosten, das Für und Wider betreffend der Farbwahl für die Nummerierung oder das mühsame Ringen der Kommissäre um die „wahren“ Namen von Personen (erst 1805 wurde das Patent über die festen Namen erlassen) und Dörfer. Fehlendes Personal, schlechtes Wetter, das „unaufhörliche Wuchern des Papiers“ (S. 164) und plötzlich verschwundene Hausnummern bescheren der Lokalkommission bis hinauf zum Hofkriegsrat und der Hofkanzlei genügend Kopfzerbrechen. Tantners vielfarbige Behandlung der Seelenkonskription und der Hausnummerierung ist damit auch ein Panorama von unerwarteten und teilweise skurrilen Problemstellungen. Er legt damit den Schwerpunkt seiner Untersuchung nicht auf das eigentlich erfasste statistische Quellenmaterial, sondern vielmehr auf dessen Erhebung und deren sozialgeschichtlichen Implikationen. Der Autor ist dabei um eine „Entfamilisierung“ mit dem heutigen Menschen so vertrauten Selbstverständlichkeiten bemüht: Seine „Sympathie liegt vor allem bei jenen monströsen Gebilden und Gestalten, die den vorgefertigten Rastern entwischen oder sie doch zumindest dementieren; diese Arbeit ist begleitet von der Freude an dem, was den Tabellen der Konskriptionskommissare zu entgleiten droht, was sich der Nummerierung und Klassifizierung entzieht“ (S. 21). Diese Verfremdung gelingt tatsächlich, gestalten sich doch dem Nachgeborenen als selbstverständlich geltende Vorgänge und Bestimmungen im 18. Jahrhundert noch als diskutabel: Wie etwa lässt sich ein Haus definieren? Eine Frage, die von den Kommissären nicht immer konsensual beantwortet wird, etwa in Anbetracht von bewohnten Holzhackerhütten, die nach getaner Arbeit von den Einwohnern zu Brennholz verarbeitet werden und sich daher zur Nummerierung wenig eignen – „Beweglichkeit und Hausnummer sind einander entgegengesetzt“ (S. 123). Die solcherart gestalteten anekdotenhaften Begebenheiten haben jedoch mehr als nur unterhaltenden Charakter und werden von Tantner immer in einen größeren Gesamtzusammenhang eingebettet.

Seelenkonskription wie Häusernummerierung belasten die Behörden bis an ihre Grenzen und stellen ein logistisches Riesenprojekt dar: Die Beamten müssen in den entlegenen Gebieten, oftmals in alpinem Gelände, kilometerlange Fußmärsche zu alleinstehenden Häusern zurücklegen, gegen Wind und Wetter unzureichend geschützt. Krankheiten und selbst Todesfälle sind die Folge dieser strapaziösen und, vielfach beklagt, zu gering entlohnten Arbeit. Sie medialisieren Wirklichkeit in Landkarten, Raster und Plänen, ordnen das Chaos und machen es verwaltbar. Die Konskription ist mit ihrer Schablonisierung und Kategorisierung auch ein Mittel um Differenzen – zwischen Juden und Christen, Frauen und Männer, militärisch tauglich und untauglich – festzuschreiben. Eine formalisierte und hierarchische Differenz der Geschlechter findet in der Erhebung von 1770 ihren eindeutigen Ausdruck: Während Männer umfangreich hinsichtlich ihrer Wehrfähigkeit klassifiziert werden, „finden [Frauen] in den Tabellen Eingang nur als Addenden in die summierten Zahlen neben der ihnen zugeordneten Hausnummer“ (S. 125). Die Reaktionen der Bevölkerung auf die behördliche Erfassung sind unterschiedlich: Sie reichen von der Furcht vor neuen Steuern und vor der verpflichtenden Stellung zum Militär bis hin zur freundlichen Begrüßung der Kommissare oder aber – sozialgeschichtlich besonders interessant – zur Schilderung der persönlichen Lebensumstände. In dieser, ab November 1770 im Rahmen der „Politischen Anmerkungen“ institutionalisierten Aufnahme wirtschaftlicher und sozialer Faktoren, wird vor allem massive Kritik an der Grundherrschaft geübt. Mehr noch, für die durch das Militär dokumentierten Mängel an der alltäglichen Lebenssituation der Bevölkerung – katastrophale Wohnsituation, Unterernährung, medizinische Versorgung oder die Besiedlung wenig geeigneten Gebietes – werden Abhilfen sozialpolitischer Art überlegt. Tantner spricht daher von einem „militärischen Wohlfahrtsstaat“, im dem die Militärs – pointiert formuliert – „die soziale Frage entdecken und als möglichen Gegenstand von Politik erkennen“ (S. 219). Das „Volck“ bekommt so eine von höchster Stelle wahrgenommene Möglichkeit zur Klage und „eignet sich die Konskriptionsmaschine für seine Bedürfnisse an“ (S. 150). Gleichzeitig tritt damit der „Staat […] in direkten Kontakt zu den Untertanen“ (S. 175); der militärische Einfluss und der zentralstaatliche Zugriff treten neben den grundherrschaftlichen Anspruch: „Kataster, Konskription und Landesaufnahme produzieren damit Staat, machen Gesellschaft regierbar“ (S. 188). Der böhmische Bauernaufstand von 1775 wird zeitgenössisch sogar mit den nichterfüllten Hoffnungen nach Befreiung von der Grundherrschaft erklärt, die vom Militär geweckt worden sein sollen (vgl. S. 211). Somit deutet sich die Beendigung der Leibeigenschaft an, die Lacy 1772 fordert (vgl. S. 210), ebenso die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht.

Tantner füllt mit seiner Arbeit eine Forschungslücke, denn einerseits stammen die klassischen Arbeiten zur Geschichte der Konskriptionen noch aus der Zeit der Habsburgermonarchie, andererseits streifen die Arbeiten der Zweiten Republik das Thema nur am Rande oder sind militärhistorisch orientiert. Zudem ist bisher auch die im Rahmen der Seelenkonskription vollzogene Hausnummerierung kaum Gegenstand der Untersuchungen geworden. Die Quellenauswahl ist breit angelegt und das Material stammt neben den Wiener und Niederösterreichischen Archiven auch von Institutionen in Prag, Brünn, Troppau und Paris. Der Autor hat ein abwechslungsreiches, spannend zu lesendes Buch geschrieben, das minutiöse und anekdotenhafte Anschaulichkeit mit einer klar strukturierten Gliederung und einer Vielzahl von Zugängen und Betrachtungswinkeln verbindet. Zusätzliche Präsenz, vor allem in realer geographischer Hinsicht, gewinnt das Thema durch die begleitende Homepage (http://tantner.net) samt Weblog (http://adresscomptoir.twoday.net). Die Auszeichnung der „Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen“ mit dem Michael-Mitterauer Preis für Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte ist wohl gerechtfertigt.

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