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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2003


Thomas Angerer
Jan C. Behrends
John Breuilly
Susanna Burghartz
Sebastian Conrad
Jacques Ehrenfreund
Andreas Fahrmeir
Norbert Finzsch
Etienne François
Mary Fulbrook
Peter Funke
Klaus Gestwa
Martin H. Geyer
Dieter Gosewinkel
Abigail Green
Rebekka Habermas
Johannes Helmrath
Hartmut Kaelble
Karl Christian Lammers
Achim Landwehr
Dieter Langewiesche
Ursula Lehmkuhl
Chris Lorenz
Ralf Lusiardi
Mischa Meier
Pierre Monnet
Igor Narskij
Dietmar Neutatz
Wilfried Nippel
Marek Jan Olbrycht
Ilaria Porciani
Stefan Rebenich
Folker Reichert
Christine Reinle
Tanja S. Scheer
Hubertus Seibert
Hannes Siegrist
Claudia Tiersch
István György Tóth
Beate Wagner-Hasel
Michael Wildt
Michael Zeuske
Claudia Zey
Susan Zimmermann

Prof. Dr. Axel Schildt

Universität Hamburg, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Lebenslauf

geb. 9.5.1951 in Hamburg, aufgewachsen am Stadtrand in Hamburg, Abitur 1970 an der Stormarnschule in Ahrensburg (Schleswig-Holstein)

Studienfächer: Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie in Hamburg und Marburg (WS 1970/71 bis WS 1977/78)

Abschlüsse: (Studium, Promotion, Habilitation) Erstes Staatsexamen (Deutsch, "Sozialkunde", Philosophie, Erziehungswissenschaften); Promotion Marburg 1980; Habilitation Hamburg 1991/92

Thema der Promotion: Die Querfrontkonzeption der Reichswehrführung um General Kurt von Schleicher am Ende der Weimarer Republik

Thema der Habilitation: Freizeit, Massenmedien und "Zeitgeist" in der Bundesrepublik in den 50er Jahren

Tätigkeiten an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen: Lehraufträge an der Hochschule für Wirtschaft und Politik und an der Fachhochschule Hamburg Sommersemester 1979 bis Sommersemester 1980, Sommersemester 1982 und Wintersemester 1982/83; Wissenschaftlicher Mitarbeiter Historisches Seminar der Universität Hamburg 1983-1985 (Bearbeiter des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts "Die Grindelhochhäuser in Hamburg -Sozialhistorisches Porträt einer innenstadtnahen Wohnhochhausanlage nach dem Zweiten Weltkrieg"); Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Hamburg vom Wintersemester 1984/85 bis Sommersemester 1992; Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Seminars der Universität Hamburg 1987-1990 (Bearbeiter des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts "'Modernität' und 'Modernisierung' in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren"); Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozentur für Sozial- und Kulturgeschichte an der Universität Lüneburg (Wintersemester 1991 bis Sommersemester 1992; anschließend dort Lehrbeauftragter (bis Sommersemester 1994); Privatdozent an der Universität Hamburg (1992 bis 1997); Vertretung einer Professur für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Hamburg (Wintersemester 1992/93 bis Sommersemester 1993); Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut des Landes Nordrhein-Westfalen in Essen und Lehrbeauftragter an der Universität-GHS Essen (Wintersemester 1993/94 bis Sommersemester 1994); Vertretung einer Professur für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Hamburg (Sommersemester 1994 bis Wintersemester 1995/96); Lehrauftrag für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam (Sommersemester 1997); Stellvertretender Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und Honorarprofessur Universität Hamburg (Oktober 1997- September 2002); seither Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und Prof. für Neuere Geschichte Universität Hamburg.

Zurückliegende Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Wohnens, der Freizeit, der Massenmedien (hauptsächlich für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg)

Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Suburbanisierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Geschichte europäischer Jugendkulturen im 20. Jahrhundert

Wichtige Mitgliedschaften und Auszeichnungen: Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung (GSU); Mitherausgeber der Informationen für moderne Stadtgeschichte (IMS); Vorsitzender des Fachbeirats der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Mitglied im Arbeitskreis moderne Sozialgeschichte; Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat und in der Zentraljury des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte der Körber-Stiftung um den Preis des Bundespräsidenten; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Herbert- und Elsbeth Weichmann-Stiftung.

Lappenberg-Medaille des Vereins für Hamburgische Geschichte für "Verdienste um die hamburgische Geschichte" (1999)

Wichtige Monographien und Herausgeberschaften

Autor

1 Militärdiktatur mit Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der Reichswehrführung um General von Schleicher am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt a.M./New York (Campus) 1981 (368 S.)

2 Die Grindelhochhäuser. Sozialgeschichte der ersten deutschen Wohnhochhausanlage. Hamburg-Grindelberg 1945 bis 1956 (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, Bd. 1), Hamburg (Christians) 1988 (224 S. in Großformat)

3 Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und 'Zeitgeist' in der Bundesrepublik der 50er Jahre (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 31), Hamburg (Christians) 1995 (733 S.)

4 Konservatismus in Deutschland. Vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München (Verlag C.H. Beck) 1998 (328 S.)

5 Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Bd. 4), München (Oldenbourg Verlag) 1999 (242 S.)

6 Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik (S. Fischer Verlag - Taschenbuch), Frankfurt/M. 1999 (224 S.)

7 Max Brauer (Hamburger Köpfe. Hg. von der ZEIT-Stiftung; Verlag Ellert & Richter), Hamburg 2002 (136 S.)

Herausgeber

mit A. Sywottek: Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt/New York 1988 (632 S.)

mit A. Sywottek: Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 1950er Jahre, Bonn 1993; Studienausgabe Bonn 1998 (856 S.)

mit U. Herbert: Kriegsende in Europa. Vom deutschen Machtzerfall bis zur Stabilisierung der europäischen Nachkriegsordnung 1944-1948, Essen (Klartext) 1998 (358 S.)

mit K.C. Lammers und D. Siefried: Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 37), Hamburg (Christians Verlag) 2000 (837 S.)

mit C.D. Krohn: Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 39), Hamburg (Christians Verlag) 2002 (432 S.)

mit Barbara Vogel: Auf dem Weg zur Parteiendemokratie. Beiträge zum deutschen Parteiensystem 1848-1989 (Forum Zeitgeschichte 13), Hamburg (Ergebnisse Verlag) 2002 (173 S)

Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten

2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen?

Ich habe nicht von Anfang an Geschichte studiert. Während des Studiums von Philosophie, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft merkte ich aber zunehmend, dass mich jeweils vor allem die historischen Dimensionen davon interessierten. Nach dem Referendariat (Zweites Staatsexamen Anfang 1982)fasste ich den Entschluss, eine angebotene Planstelle auszuschlagen und mich auf die freie Wildbahn des Historikers zu begeben, für viele Jahre ein Hangeln von Projekt zu Projekt.

2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste?

Der Übergang von einer engen politikgeschichtlichen und sozialstrukturellen Betrachtung von Geschichte zu einer i.w.S. kulturgeschichtlichen Erweiterung und Pluralisierung – die Einbeziehung generationeller Sichtweisen und stärkerer Reflektion der eigenen Voraussetzungen und Interessen – hat die Geschichtswissenschaft farbiger gemacht, wobei ich durchaus skeptisch geblieben bin gegenüber raschen unverdauten "Paradigmenwechseln", die mehr die Marktgesetze unserer Gegenwart spiegeln als Erkenntnisfortschritten entsprechen. Ibs. die – zum Glück nicht völlig dominante – Tendenz der Entpolitisierung widerspricht meinem vielleicht altmodischen Verständnis aufklärerischer Funktion von Geschichtswissenschaft.

2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte?

Generell sollten alle materiellen Tendenzen, politischen Prozesse und ideellen Reflexionen dessen, was als (schon tief im 19. Jahrhundert beginnenden) Moderne des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden könnte (wobei die sogenannte Postmoderne nur ein Teil dieser Moderne wäre) – von der Geschichte der Urbanisierung, der Formveränderung von Mobilität, der Öffentlichkeit und des sozialen Raums, der Lebensstile, der Politischen Kultur, der Qualifikationsprozesse in Schule und Wissenschaft usw., weiter Aufmerksamkeit beanspruchen. Hier würde ich z.Zt. keinen Bereich als Königsweg privilegieren, weil es vielfältige Zusammenhänge gibt, sondern könnte mich eher für konkrete Projektideen begeistern, die in der deutschen Geschichte Längsschnitte über die politischen Regimegrenzen hinweg ermöglichen und für vergleichende internationale Perspektiven offen sind.

2. d) In den Medien werden seit längerem unterschiedliche Zukunftsdiskurse geführt, die Lösungen und Wege zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchserfahrungen (Umbau des Sozial- und Leistungsstaates, Krise der europäischen Verfassungsentwicklung, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Auflösung überkommener Lebensformen und Werte u.a.m.) aufzeigen sollen.Historiker sind an diesen Debatten kaum beteiligt. Lassen sich aus historischen Krisen- und Umbruchsphasen keine Lehren ziehen, Erfahrungen und Einsichten vermitteln? Müssen wir Historiker die öffentliche Diskussion Juristen und Verwaltungsexperten, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs überlassen?

Natürlich hätten Historiker etwas zu den gegenwartsdiagnostischen und auf die Zukunft gerichteten Debatten beizutragen (schon die Historisierung scheinbar neuer Ideen wäre ein entscheidender Beitrag). Aber die zuletzt genannte Frage kollidiert mit der Verfasstheit unserer medialen Öffentlichkeit: Historiker scheinen nach meinem Eindruck – von rühmlichen und unrühmlichen Ausnahmen abgesehen – heute in den großen Debatten weniger gefragt zu sein als noch vor einem Jahrzehnt. Das ist erklärungsbedürftig.

2. e) Elite oder Eliten? Das Vertrauen in die Rolle und Prämierungsmodelle der Eliten moderner Gesellschaften scheint zu schwinden. Ist die Aufspaltung unsere Gesellschaft in funktional spezialisierte, oft aber unverbundene Hochleistungsbereiche (Wirtschaft, Politik-Verwaltung, Technik-Medizin-Wissenschaft) unvermeidlich? Oder bieten die gegenwärtigen Umbruchsszenarien die Chance zu einer Neudefinition auch dessen, was Bildung sein soll und wie Elitenrekrutierung und Bildung zusammenkommen?

Der erste Teil der Frage formuliert eine Selbstverständlichkeit für moderne Gesellschaften: hoher Grad der Differenzierung, Spezialisierung, Arbeitsteiligkeit (umso wichtiger die Reflektion des humanen Zusammenhangs). Zur Chance einer Neudefinititon: Angesichts der dominanten Mischung von Ahnungslosigkeit, Kulturbarbarismus und Zynismus in der "politischen Klasse" (ansonsten gebrauche ich den Begriff nicht gern; er meint hier parteiübergreifend die politisch Verantwortlichen in Parlamenten, Bürokratien und bezieht sich auf den Trend der totalen Ausrichtung auch der "Geisteswissenschaften" auf marktförmige Strukturen), gestützt von relevanten Teilen der veröffentlichten Meinung, sehe ich leider überhaupt nicht optimistisch in die Zukunft (ein Grund Historiker zu sein).

2. f) Deutschland begibt sich auf die Suche nach Spitzen-Universitäten. Verträgt sich Geschichtswissenschaft über die bloße fachliche Professionalität hinaus überhaupt mit dem Elitegedanken?

Ein Staat wäre natürlich gut beraten, alle Anstrengungen zu unternehmen, das Bildungssystem insgesamt (von den Kindertagesstätten bis zu den Hochschulen) gut auszustatten und vielfältig zu fördern (mit richtigem Geld). Das würde Spitzenleistungen ein Fundament verleihen. Auch die besondere Förderung von Elite-Einrichtungen wäre in einem solchen Gesamtkonzept sinnvoll. Stattdessen erleben wir – mit regionalen Ungleichzeitigkeiten – einen rigorosen Sparkurs (innerhalb einer reichen Gesellschaft), der mit dem Geschwätz von Elite garniert wird. Faustregel: Die am meisten von Elite reden, sind nicht die fachlich ausgewiesenen Experten.

3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2003 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.)

Vorweg: Am meisten gefesselt hat mich im vergangenen Jahr nicht ein geschichtswissenschaftliches Werk, sondern die als "Gefährliche Zeiten" im Titel fragwürdig übersetzten Lebenserinnerungen des Historikers Eric Hobsbawm ("Interesting Times"). Unter den geschichtswissenschaftlichen Werken fällt die Entscheidung schwer. Das Buch von Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat" (Berlin 2003) hat mich sehr beeindruckt. Hier wird ein Feld, das einmal als ausgeforscht und altmodisch galt, auf einer imponierenden Quellenbasis der Forschung wieder völlig neu eröffnet (zu erwähnen ist allerdings auch das kurz zuvor erschienene Werk von E. Conze). Eindrucksvoll wird die Rolle deutscher Adliger durch einen sensiblen Ansatz, der Sozial-, Kultur- und politische Geschichte zusammenführt, für die Zwischenkriegszeit verdeutlicht. Die Forschung über den Aufstieg des Nationalsozialismus wird diese wichtige Studie künftig berücksichtigen müssen.