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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2007

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Entangled History: nationale und europäische Geschichte in globaler Perspektive
Thematischer Schwerpunkt 2008
Publikumspreis

Entangled History: nationale und europäische Geschichte in globaler Perspektive

Essay von Andreas Eckert für H-Soz-Kult

Kommentar zur Preiszuteilung von Knut Borchardt

1. Rang (67 Punkte, 16 Voten)

Bayly, Christopher Alan: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780 - 1914. Frankfurt [u.a.]: Campus 2006.

"The Birth of the Modern World", die 2004 erschienene Globalgeschichte des ‚langen’ 19. Jahrhunderts aus der Feder des Cambridger Historikers C.A. Bayly, ist ein großer Wurf. Ambitionierte Visionen einer zukünftigen global history haben seit einigen Jahren Konjunktur, aber Baylys Buch ist eine der ersten Studien, die diese Programmatik empirisch und darstellerisch einholen. Sein Werk versucht sich an einer Analyse der übergreifenden Trends der Herausbildung der globalen Moderne, ist zugleich voller Einzelheiten und überraschende empirische Befunde; es dokumentiert überzeugend die Notwendigkeit, die Entstehung der modernen Welt als dezentralen und zugleich zusammenhängenden Prozess zu begreifen. Sebastian Conrad für H-Soz-Kult

Heute, sagt Christopher Bayly in seiner gewaltigen Studie über die Geburt der modernen Welt, seien alle Historiker Universalhistoriker. Er selbst hat sich eine herkulische Aufgabe vorgenommen und meistert sie mit Bravour. Die Universalgeschichte hielt man bis vor kurzer Zeit für eine ausgestorbene Gattung. [...] Damit ist es vorbei, seit die Globalisierung zum Wegweiser einer neuen finalen Universalordnung geworden ist.
Caspar Hirschi (FAZ 08.12.2006)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Der in Cambridge lehrende Bayly, ausgewiesen durch zahlreiche grundlegende Werke zur Geschichte Indiens und des britischen Empire, sieht in weltgeschichtlichen Perspektiven ein unabdingbares Korrektiv regionaler und nationaler Zugänge. Er beteiligt sich allerdings nicht an weiteren programmatischen Aufrufen, wie denn Weltgeschichte zu konzeptualisieren sei und ob man "Universalgeschichte", "Weltgeschichte" und "Globalgeschichte" unterscheiden könne und müsse. Bayly ist es um die konkrete Umsetzung zu tun, und dabei läßt er sich von folgenden Prinzipien leiten: intensive Auseinandersetzung mit der Spezialforschung, Skepsis gegenüber Großtheorien und Vorsicht gegenüber Allwissenheitsphantasien. Sein Buch ist jedoch keineswegs eine additiv-enzyklopädische Darstellung von Nationalgeschichten, sondern ein umfangreicher, anspruchsvoller Essay über die vielfältigen Bedeutungen und inhärenten Paradoxien von Moderne.
Andreas Eckert (FAZ 12.03.2004 )
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

The Birth of the Modern World is a wonderfully ambitious book that effectively demonstrates the global nature of the modern world and the need to decentre national histories and think big. It is a 'thematic history' demonstrating how 'historical trends and sequences of events, which have been treated separately in regional or national histories, can be brought together'. Bayly's emphasis is on the interdependencies and interconnectedness of political and social changes across the world in a period well before contemporary globalisation. It is in part a culmination of his own work over a long period – using his rich and detailed knowledge of Indian and South Asian history as he did previously in Imperial Meridian – as a basis from which to reflect on national, imperial and global concerns. It is an intervention in the current debates over globalisation, for he shares the insistence of A. G. Hopkins and others that the contemporary version of this is not the first; theorists must be more careful to specify the particularities of phases of globalisation given its long history. It is also an attempt to put a particular reading of connection and interdependence at the heart of the making of the modern world, thereby unseating E. J. Hobsbawm's magisterial four volumes on the long nineteenth century, The Age of Revolution, Industry and Empire, The Age of Capital and The Age of Empire with its drama of the unfolding logic of capitalism and exploitation, and providing a new account for these post-Marxist times. http://www.history.ac.uk/reviews/paper/hall.html


2. Rang (34 Punkte, 11 Voten)

Conrad, Sebastian: Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich. München: C.H. Beck Verlag 2006.

Geschichtssicherheit erzeugt Zukunftsvertrauen. Deshalb verlangt das noch unfertige "Haus Europa" nach einem tragfähigen Geschichtsfundament. Nationalgeschichten genügen nicht mehr, sie scheinen ihren Wert für die Gegenwart zu verlieren, wenn sie nicht europäisiert und globalisiert werden. Mit dieser Überzeugung hat Sebastian Conrad sein Buch über das Deutsche Kaiserreich geschrieben.
Dieter Langewiesche (FAZ 13.01.2007)
http://www.buecher.de/w1100485faz3406549659

Conrad steht für eine neue Generation von Historikern, die in weltgeschichtlichen Bezügen denkt und die deutsche Geschichte im Kontext der Globalisierung neu beleuchtet wissen will.Conrad interessiert das Verhältnis von Nationalisierung und Globalisierung, die um 1900 durch Weltwirtschaft, Weltpolitik und die Mobilität von Menschen, Ideen und sozialen Praktiken einen beträchtlichen Schub erfahren habe.
Jörg Später (SZ 04.10.2006)


3. Rang (27 Punkte, 9 Voten)

Budde, Gunilla; Conrad, Sebastian; Janz, Oliver (Hg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. [Jürgen Kocka zum 65. Geburtstag]. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006.

Die Festschrift für Jürgen Kocka bietet allerdings eine hervorragende Gelegenheit, die unterschiedlichen Strategien zu beobachten, die mit der noch vagen Bezeichnung der transnationalen Geschichte verbunden sind. Die einen sehen diesen neuen Ansatz als Feld, das neben den bestehenden seinen Platz finden soll, andere diskutieren die besondere Eignung einzelner Themen (von der Kolonialgeschichte bis zur jüdischen Geschichte). Eine weitere interessante Spur tut sich auf, wo nach Zu- oder Abnahme des Gewichtes von Verflechtungen und Interaktionen entlang der historischen Entwicklung oder im synchron angelegten Vergleich verschiedener Weltregionen gefragt wird. Der weitestgehende paradigmatische Anspruch verbindet sich aber vielleicht mit dem Versuch, den spatial turn für die Geschichtswissenschaft fruchtbar zu machen und damit eine Entwicklung des nach dem Selbstverständnis vieler vor allem mit der Dimension der Zeit befassten Faches einzuleiten, in der keine räumliche Konfiguration mehr selbstverständlich ist, sondern lediglich als Resultante konfligierender Ordnungsentwürfe auf Zeit betrachtet wird. Matthias Middell für H-Soz-Kult

Der Band zeigt die Stärken und die Fruchtbarkeit der transnationalen Geschichte und der Entnationalisierung historischer Fragestellungen, aber auch ihre Schwächen, sobald sie zum neuen Passepartout der Historiker werden soll. Der Band macht mit seinen Alternativen und Zwischentönen noch ein weiteres klar: Wenn transnationale Geschichte nicht zum moralisierten und schicken Markenzeichen einer nachwachsenden Forschergeneration im Wettbewerb um Pfründe und Ressourcen verkommen soll, darf sie nicht bei der Antithese zur Historiografie des Nationalstaats und der Nationenbildung stehen bleiben. Ihr Gewinn läge vielmehr in einer synthetischen Einstellung, wenn sie die Einsichten der kritischen Nationalismusforschung integriert. Denn auch Nation und Nationalstaat standen einmal für die Entgrenzung der Politik über die territorialisierten Einzelstaaten hinaus genauso wie für die "transregionale" Ausweitung zuvor kleinräumiger Loyalitäten.
Siegfried Weichlein (sehepunkte 2007, Nr. 6)
http://www.sehepunkte.de/2007/06/11587.html


4. Rang (26 Punkte, 8 Voten)

Laak, Dirk van: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck Verlag 2005.

Das Bild des Kaleidoskops drängt sich geradezu auf, wenn 185 Seiten ohne Anhang in 48 Unterkapitel und einen "Rückblick" unterteilt sind. Trotz des ernsten Themas haftet den Buch so auch etwas Spielerisches an, man kann es "schütteln" und sieht immer wieder ein anderes Bild. Damit empfiehlt es sich als Lesebuch, das theoretische und empirische Studien zu Imperialismus und Kolonialismus weder ersetzen kann noch will. Gesine Krüger für H-Soz-Kult

Hieran schließt sich die wichtige Frage vom Anfang und Ende der Kolonialidee. Dirk van Laak beantwortet sie überzeugend, indem er seine Studie nach vorne wie hinten hin offener gestaltet, als das bisher analog der Kategorien von Kolonisation und Dekolonisation zumeist üblich gewesen ist. So ist im Ergebnis ein perspektivenreiches und innovatives Buch entstanden, das die Erwartungen an eine Gesamtdarstellung des deutschen Imperialismus weit übertrifft. (...) Dass für dieses moderne Verständnis der Begriff der kolonialen Realgeschichte nicht ausreicht und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert weit mehr als nur eine nachholende Kolonialmacht war, liegt auf der Hand. Es war auf seine spezifische Weise an der Raumerschließung der Welt beteiligt. Diesen Vorgang hat bisher keine Studie so eindrucksvoll und instruktiv erfasst wie die von Dirk van Laak.
Benedikt Stuchtey (SZ, 13.03.2006)
http://www.buecher.de/w1100485sz3406528244

Eine griffig zusammenfassende Darstellung deutscher Imperialbestrebungen für Studenten der Geschichtswissenschaft und historisch Interessierte, die auch noch den Vorzug hat, gut geschrieben zu sein. (...) Immer wieder sind es gelungene Formulierungen und überraschende Wendungen, die die Beschäftigung mit Altbekanntem zu einer abwechslungsreichen Lektüre werden lassen.
Herfried Münkler (FAZ, 19.10.2005)
http://www.buecher.de/w1100485faz3406528244

Der Autor bietet am deutschen Beispiel einen gut lesbaren und dennoch anspruchsvollen Einblick in Vorgeschichte, Hintergründe und Verlauf des modernen Imperialismus. In seine Darstellung schließt er die Zeit nach dem "Verlust" der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg ausdrücklich mit ein. Besonders aufschlussreich sind die Abschnitte über die Dekaden zwischen 1945 und heute. Van Laak sieht diese Periode durch den Übergang vom "nehmenden" zum "gebenden" Imperialismus charakterisiert. Seine Schlussfolgerung ist durchaus provokant: Deutschland habe sich vom imperialistischen Aufbruch weitgehend verabschiedet, der Trend zu subtileren, weniger evidenten Formen der imperialistischen Einflussnahme halte hingegen weiter an.
Andreas Eckert (Die Zeit, 13.10.2005)
http://www.zeit.de/2005/42/P-van_Laak-TAB


4. Rang (26 Punkte, 10 Voten)

Barth, Boris; Osterhammel, Jürgen (Hg.): Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz - UVK 2005.

Neben der Überzeugung von der eigenen Überlegenheit rückt der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel als zweite wichtige Charakteristik die "Erwartung einer gewissen Rezeptivität auf Seiten der zu Zivilisierenden". Dass diese Hoffnung nur allzu häufig trog, ist Gegenstand der meisten Beiträge. Gut gemeint ist halt nur selten auch gut gehandelt. Es ist gerade diese Spannung zwischen Borniertheit und Universalismus, Sendungsbewusstsein und krassem Herrschaftswahn, teleologischer Geschichtsbetrachtung und Entwicklungsnegation, Behauptung kultureller Überlegenheit und realem Unvermögen, Assimilationswahn und Assimilationsangst, die die Thematik so anregend und die Beiträge so lesenswert macht. Offenbar erfüllten diese Missionen verschiedene Funktionen: Sie dienten der Selbstvergewisserung und -verständigung ebenso wie der ideologischen Bindung der Eliten an das imperiale Projekt, der Herrschaftslegitimation gegenüber den Unterworfenen wie der Konstruktion von Alterität. Sie verändern nicht nur die Lebenswelten der "Objekte" dieser Mission, sondern auch die der ausübenden Akteure. Mit dem britischen Empire, Russland, Frankreich, Japan, Deutschland und den USA werden wichtige Imperialmächte der letzten drei Jahrhunderte untersucht. Birthe Kundrus für H-Soz-Kult

Die fast durchweg innovativen und anregenden Einzelstudien, die der Band versammelt, werden von konzeptionellen Überlegungen eingerahmt. Am Anfang steht eine Erörterung von Begriff und Begründung der Zivilisierungsmission aus philosophischer Sicht; Wolfgang M. Schröder wandelt hier allerdings auf den mittlerweile recht ausgetretenen Spuren von Jürgen Habermas. Wesentlich ergiebiger, ja das Glanzstück des gesamten Buches ist der Schlussbeitrag von Osterhammel. Ihm gelingt es meisterlich, die Ergebnisse der Einzelbeiträge in vergleichender Perspektive zusammenzufassen und gleichzeitig zahlreiche Aspekte zu entwickeln, die in eine mögliche Systematik zu diesem Thema einfließen müssten – das alles vor dem Hintergrund souveräner historischer Sachkenntnis in globaler Perspektive. Aber nicht nur diesem furiosen Finale ist es zu verdanken, dass dem Buch bescheinigt werden kann, zu einem bedeutsamen historischen Konzept viele wichtige Aufschlüsse vermittelt zu haben. Frank Becker für H-Soz-Kult

Boris Barth definiert in seinem Aufsatz über Rassenvorstellungen in den europäischen Siedlungskolonien Virginia, den Burenrepubliken und Deutsch-Südwestafrika genauer, was er unter Zivilisierungsmissionen versteht, nämlich die mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein und Überlegenheitsgefühl verbundene Vorstellung, ,,fremden Völkern oder entfernten Kulturen in Übersee eigene Wertvorstellungen, religiöse Glaubensgrundsätze oder kulturelle Normen vermitteln zu müssen". [...] Zivilisierungsmissionen leben laut Osterhammel ohnehin weiter fort, etwa als Entwicklungshilfe, im Wiederaufleben der religiösen Mission, in der Erweiterung der Europäischen Union, im Verhältnis zwischen Europa und der Türkei oder im Eingreifen der Staatengemeinschaft in Form der Vereinten Nationen. Es erstaunt allerdings, dass nur ein Nicht-Historiker, der Tübinger Philosoph Wolfgang M. Schröder, sich die Sinnfrage stellt, ,,warum Zivilisation überhaupt sein soll" bzw. ,,warum nicht oder nur unvollständig ,zivilisierte' Zustände dagegen möglichst zu beseitigen" seien Man fragt sich daher, ob die Begriffe ,,Zivilisierungsmissionen" und ,,Weltverbesserung" im Titel nicht vielleicht doch besser in Anführungszeichen hätten gesetzt werden sollen. Man muss die Haltung der Herausgeber jedoch nicht teilen, um das Buch dennoch sehr anregend zu finden. Dem Band gebührt das Verdienst, das aktuelle Thema durch Fallbeispiele historisch vergleichend, verständlich und in erfreulicher geographischer Ausdehnung zu ergründen. Barths und Osterhammels Pioniertat gebührt eine breite Rezeption und eine angeregte Diskussion.
Dirk Sasse (AfS 22.10.2006)
http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80805.htm