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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2003

Alte Geschichte
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Zeitgeschichte
Europäische Geschichte
Außereuropäische Geschichte
Offene Kategorie
Religion und Gesellschaft
World history
Thematischer Schwerpunkt 2005
Publikumspreis

Publikumspreis

1. Rang (58 Punkte, 16 Voten)

Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen 2003.

"Wo es mit dem Nationalsozialismus anfängt, ändert sich die Diktion." So fasste Martin Broszat 1981 den Gegensatz zwischen einer historiografischen Tradition des Verstehens, die auf Legitimation des "geschichtsmächtig Gewordenen" angelegt war, und einer "resolut selbstkritischen Zeitgeschichtswissenschaft" in den 50er-Jahren zusammen, die sich gegen die anfängliche "Verinnerlichungs-Strömung" in der westdeutschen Historiografie zu etablieren vermochte. [...] Was hier als eindeutiger Bruch postuliert wird, will Nicolas Berg mit seiner Freiburger Dissertation in Frage stellen und stattdessen den Blick auf Kontinuitäten lenken. Habbo Knoch für H-Soz-Kult

Irgendwann einmal, in ein oder zwei Historikergenerationen, wenn die historiografische Forschung zur Zeitgeschichte der Bundesrepublik auch die Neunziger-Jahre und die Gegenwart mit in den Blick nimmt, wird wahrscheinlich auch Nicolas Bergs Studie der Forschung zur Quelle. Eventuell geht diese zukünftige Forschung dann davon aus, "daß sich die Erinnerung auch ohne willentliche Zustimmung in die Geschichtswissenschaft hinein verlängert, sei es in ihren Ausgangsfragen oder allgemein in ihrem Erkenntnisinteresse, sei es in den Begriffen, die sie benutzt, oder in den Themen, die sie zu bearbeiten wichtig findet" (Berg, S. 565). Vielleicht erfahren wir bei der Gelegenheit dann mehr über die eigene Zeitgebundenheit und den Impetus hinter den Erkenntnisinteressen auch dieses Buches. Astrid M. Eckert für H-Soz-Kult


 

2. Rang (51 Punkte, 19 Voten)

Bajohr, Frank: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jh. Frankfurt am Main 2003.

Bajohr gelangt zu diesen überzeugenden Ergebnissen mittels einer methodischen Vorgehensweise, die ebenso vielfältig wie solide ist. Der Verfasser schafft es nicht nur, auf relativ engem Raum (233 Seiten) ein Einzelphänomen vergleichend zu behandeln, ohne den Gesamtkontext aus den Augen zu verlieren. Er schreibt auch anschaulich und zitiert ausführlich aus den Quellen, ohne dass dies auf Kosten der Analyse geschieht. Kurzum: ein rundum gelungenes Buch. Armin Owzar für H-Soz-Kult

Dieses Buch, zu Recht in der renommierten Schwarzen Reihe des S. Fischer Verlages erschienen, ist eine der wichtigsten zeitgeschichtlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre. Es macht deutlich, dass der Antisemitismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik mit seiner tief ins Alltagsleben hineinwirkenden gesellschaftlichen und politischen Dynamik sehr viel ernster genommen werden muss, als dies häufig geschieht. http://www.zeit.de/2003/24/borkum


 

3. Rang (40 Punkte, 17 Voten)

Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München 2003.

Die Wiederentdeckung des Raums als Paradigma der Historiographie ist nichts Brandneues, und sie ging nicht von der deutschen Geschichtsschreibung aus. Doch nirgends ist sie in deutscher Sprache so grundsätzlich, programmatisch, phantasievoll und inspirierend formuliert worden wie bei dem Osteuropahistoriker Karl Schlögel in seinem Buch "Im Raume lesen wir die Zeit" (ein Zitat des Geographen Friedrich Ratzel). Einmal mehr überwindet Schlögel die räumlichen Grenzen Osteuropas zwischen Ost und West, 'Alter' und 'Neuer' Welt, um die verdrängte, vergessene, schließlich tabuisierte Bedeutung des Raums für geschichtliches Denken und Geschichtsschreibung in das - räumlich sehende - Auge des historischen Betrachters zurückzuholen. Dieter Gosewinkel

Das Buch gehört nicht zu denen, die man im Zuge der Recherche zu einem bestimmten Thema liest, sondern von denen man sich inspirieren läßt, deren Lektüre Freude bereitet, zum Nachdenken anregt und nebenbei ein ästhetischer Genuß ist. In rund fünfzig Stationen kreist Karl Schlögel um den Gedanken, was geschieht, wenn man Orten und Räumen bei der Betrachtung von Geschichte mehr Augenmerk schenkt als das gemeinhin der Fall ist. Vieles, was er schreibt, ist nicht wirklich neu, sondern bloß in einen neuen Kontext gestellt, manches wirkt unausgegoren nebeneinandergestellt oder einfach nur assoziativ dahinerzählt, dennoch: Schlögel schärft den Blick für die Wahrnehmung von Raum und Zeit, weckt den Sinn für Schauplätze und macht deutlich, wie viel es aus dieser Perspektive zu entdecken gibt: Landkarten, Kursbücher, Adreß- und Telefonbücher werden über ihre engere Zweckbestimmung hinaus zu Quellen für die Konstruktion und Repräsentation von Räumen, treten in Beziehung zu historischen Ereignissen, Entwicklungen und Mentalitäten. Dietmar Neutatz

Also doch "spatial turn"? Schlögel geht es erklärtermaßen nicht darum, ein neues geschichtswissenschaftliches Paradigma auszurufen und mit großem Echo eine neue Theoriedikussion anzufachen. Das ist seine Sache nicht. Mit kaum kaschierter Geringschätzung bekundet er in Richtung theoriegeleiteter Geschichtswissenschaft, 'turns' seien Moden und etwas für Epigonen. Sein Anliegen ist die Erweiterung des geschichtlichen Erkenntnisspektrums um die so wichtige Raumkomponente, mithin eine veränderte Wahrnehmungsweise, die besondere Beschreibungskünste erfordert. [..] Nur schwer gelingt es, sich seinem souveränen Narrativ zu entziehen. Denn insbesondere seine literarischen Darstellungsfähigkeiten sind es, die von diesem Autor jenseits von disziplinimmanenten Theoriediskussionen noch manch spannendes Lektüreerlebnis bei der Fährtenlese im weiten Raum der Historie erwarten lassen. Albrecht Weisker für H-Soz-Kult


 

4. Rang (39 Punkte, 9 Voten)

Bütow, Tobias; Bindernagel, Franka: Ein KZ in der Nachbarschaft. Das Magdeburger Außenlager der Brabag und der "Freundeskreis Himmler". Köln/Weimar/Wien 2003.

Auf den gut 200 Seiten ist es Bütow und Bindernagel gelungen, die Geschichte des Lagers "Magda", der KZ-Häftlinge, der Täter auf den verschiedenen Ebenen und der unzähligen Mitwisser zusammenzuführen. Die quellengesättigte Arbeit zeigt ein Mal mehr, dass bei sorgfältiger Recherche die Rekonstruktion solcher historischen Zusammenhänge möglich ist. 18 sorgfältig ausgewählte Fotos runden die Studie ab. [..] Abgesehen vielleicht von einer etwas zu ausführlichen Einleitung, etwas kürzer hätte sie sein dürfen, besticht das Buch durch die Beschränkung auf das Wesentliche und den sachlichen Schreibstil. Damit kommt es sicher dem Wunsch einer größeren Leserschaft nach einer knappen, präzisen Darstellung entgegen. Bütows und Bindernagels Buch über das "KZ in der Nachbarschaft" sind daher viele Leser, auch über das Fachpublikum hinaus und vor allem in der Stadt Magdeburg selbst zu wünschen. Christine Wolters für H-Soz-Kult


 

5. Rang (38 Punkte, 9 Voten)

Goschler, Constantin: Rudolf Virchow. Mediziner-Anthropologe-Politiker. Köln 2003.

Spezialisierte, medizinhistorisch interessierte Leser mögen Einzelheiten der Disziplinentwicklung und vielleicht auch manches Detail der fachinternen Kämpfe und Kontroversen vermissen. Aber um eine eng geschnittene Fachgeschichte geht es dieser - aus einer geschichtswissenschaftlichen Habilitationsschrift an der Berliner Humboldt-Universität hervorgegangenen Studie - ebenso wenig wie um eine Führung durch den Wissenschaftsolymp des 19. Jahrhunderts. Geboten wird vielmehr eine gelungene Verknüpfung wissenschafts-, sozial-, politik- und kulturhistorischer Zugriffe im Medium der Biografie. Constantin Goschlers Virchowbuch ist quellengesättigt ohne sich im Detail zu verlieren. Es erzählt das Leben eines prominenten Naturwissenschaftlers und Politikers und erschließt zugleich das sich wandelnde Verhältnis von Wissenschaft und Politik im 19. Jahrhundert. Es nimmt die Einzigartigkeit des gelebten Lebens ernst und arbeitet doch Typisches und Überindividuelles prägnant heraus. Und schließlich reflektiert es die Tücken des biografischen Genres, ohne sich in erkenntnistheoretischem Relativismus zu verflüchtigen. Ralph Jessen für H-Soz-Kult