Abonnement | Beitrag einreichen | Impressum
deutsch | english | français
H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2004

Alte Geschichte
Mittelalterliche Geschichte
Geschichte der Frühen Neuzeit
Neuere Geschichte (langes 19. Jh.)
Neueste Geschichte
Zeitgeschichte
Europäische Geschichte
Außereuropäische Geschichte
Offene Kategorie
Geschichte der Geschichtsschreibung
Thematischer Schwerpunkt 2006
Publikumspreis

Neueste Geschichte

Essay von Uffa Jensen für H-Soz-Kult

1. Rang (27 Punkte, 9 Voten)

Paul, Gerhard: Bilder des Krieges, Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn [u.a.] 2004.

Das Buch besticht vor allem durch seine neun in die Darstellung integrierten "Visual Essays". Die 205 zum Teil farbigen Abbildungen veranschaulichen den Forschungsgegenstand und informieren den Leser über die individuelle "ästhetische Kennung" jedes Konfliktes. Mit welchen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen wird der moderne Krieg in Bilder umgesetzt? Wie und durch wen wird ein Bild dabei selbst zu einer propagandistischen Waffe umfunktioniert? Gerhard Paul geht für die Beantwortung dieser Fragen von den ersten fotografisch dokumentierten Kriegen des 19. Jahrhunderts aus und analysiert den Krimkrieg, den Amerikanischen Sezessionskrieg, die deutschen Kriege gegen Dänemark und Frankreich und den Spanisch-Amerikanischen Krieg auf der Grundlage zugehöriger bildlicher Quellen. Bereits hier wird der enge Bezug der frühen Kriegsfotografie zu Darstellungsformen und Zeichen in Malerei und Grafik von der Renaissance bis ins frühe 19. Jahrhundert offensichtlich. Die bildliche Darstellung dieser vormodernen Epoche europäischer Konfliktaustragung wird als einführendes Kapitel vorangestellt. Die Visualisierung des modernen Krieges im 20. Jahrhundert – gezeigt an den Beispielen Erster Weltkrieg, Spanischer Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg und Vietnamkrieg – folgt darüber hinaus tradierten Vorstellungen vom "Krieg an sich". Mit der Untersuchung postmoderner Kriege der Gegenwart anhand des Golf-Krieges 1991, des Kosovo-Krieges, des Anschlags auf das World Trade Centre und des Krieges in Afghanistan endet der sprichwörtliche Bilderbogen. Heidi Mehrkens für H-Soz-Kult

Das Werk ist eine Fundgrube ersten Ranges. Es ist vor allem aber wissenschaftlich – in bester aufklärerischer Tradition – ein großer Wurf. Gerade in der deutschen Geschichtswissenschaft ist ein pictorial turn überfällig; in den angelsächsischen Ländern ist man da viel weiter, weshalb Paul auf eine recht breite Literatur zu den Einzelthemen zurückgreifen kann. Doch erstmals führt ein deutscher Historiker alles zu einer großen Synthese zusammen. http://www.zeit.de/2004/42/P-Paul


 

2. Rang (21 Punkte, 5 Voten)

Berghoff, Hartmut; Vogel, Jakob (Hg.): Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels. Frankfurt/Main [u.a.] 2004.

In dem breiten Themenfeld, das den Gegenstandsbereich historischer Forschung ausmacht, liegen "Wirtschaft" und "Kultur" nicht gerade nahe beieinander; fast könnte man sie als Antipoden bezeichnen, die gerade in letzter Zeit immer weiter auseinander driften. In ihrer Einführung erläutern die Herausgeber, weshalb sowohl der Wirtschaftswissenschaft als auch der Kulturwissenschaft mangelnde Realitätsnähe vorgeworfen wird; erstere, weil sie zu viele wichtige Faktoren ausblende, letztere, weil sie sich weigere, ökonomische Sachverhalte zu thematisieren. Dabei, so die diesem Band zugrunde liegende These, könnten sich beide Wissenschaftskulturen durchaus bereichern. In dem Sammelband stellen die Herausgeber daher einen neuen Ansatz, eben "Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte" vor, der den Spagat zwischen diesen beiden Welten überwinden will. Mark Spoerer für H-Soz-Kult


 

3. Rang (19 Punkte, 5 Voten)

Burrin, Philippe: Warum die Deutschen? Antisemitismus, Nationalsozialismus, Genozid. [Berlin] 2004.

In drei Vorlesungen ging der Genfer Historiker der Frage nach, warum gerade in Deutschland der Antisemitismus zu der extremsten Form der Vernichtung der Juden führte. Nachdem von Daniel J. Goldhagen diese Frage in öffentlichkeitswirksamer Weise gestellt und insgesamt so wenig überzeugend beantwortet worden war, ist der Diskussionsstand nach wie vor unbefriedigend. Burrin nähert sich in drei Schritten einer Antwort, indem er zunächst nach der Besonderheit des deutschen Antisemitismus fragt, dann nach dem Antisemitismus der Nationalsozialisten und zuletzt nach den Gründen für die Radikalisierung der NS-Politik. Wolfram Meyer zu Uptrup für H-Soz-Kult

Große Tragödien haben keine simplen Ursachen, aber sie werfen einfache Fragen auf - das ist die Hypothese des an der Universität Genf lehrenden Holocaust-Forschers Philippe Burrin, um den Mord an den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg zu erklären. Warum ging der Genozid von Deutschland aus, das im antisemitischen Panorama Europas keineswegs für diese Rolle prädisponiert war? Warum wurde die Judenfeindschaft in der deutschen Gesellschaft nach 1933 zu einer "Norm", die es dem NS-Regime ermöglichte, seine Politik ohne nennenswerten Widerstand durchzusetzen? Und: Warum entschied man sich für die physische "Endlösung" der Judenfrage und damit gegen die Variante der territorialen "Endlösung"? http://www.buecher.de/w1100485faz3549072325


 

4. Rang (18 Punkte, 5 Voten)

Weitz, Eric D.: A century of genocide. Utopias of race and nation. Princeton, NJ [u.a.] 2003.

Eine besondere Stärke des Buches liegt darin, dass Weitz die Frage nach der Mittäterschaft nicht allein auf die Führungsriege des Regimes beschränkt, sondern auf die gesamte Bevölkerung ausweitet. Gute Gründe liegen hierfür auf der Hand: "Genocides on the scale discussed in this book were possible only with the participation of these many thousands, some of whom were active agents in mass killings, others of whom reaped the benefits, material and otherwise, of the removal of their neighbors." (S. 243) Die Kultur der Straflosigkeit ermöglichte ferner spezifische Ausformungen der Grausamkeit, die nicht von der Zentrale aufdiktiert und doch in jedem der untersuchten Fälle zu finden waren. Die Rituale der Erniedrigung wurden durch die Entweihung des Körpers der Opfer ultimativ. Entkleidung, Haarscheren und Massengräber waren Symbole für die Allmacht der Täter. Anhand von Zeitzeugenberichten wie Interviews und Memoiren, aber auch Poemen und Novellen beschreibt Weitz konkrete Beispiele mit teilweise schwer erträglicher Eindringlichkeit. Martin Holler für H-Soz-Kult

Warum brachte ausgerechnet das 20. Jahrhundert, das doch eine Epoche atemberaubender Zivilisationsfortschritte auf so vielen Gebieten war, eine so schrecklich gesteigerte, zuvor unvorstellbare Dimension und Systematik bei der Vernichtung ganzer Völker mit sich? Dass der Holocaust in diesem Zusammenhang einen einzigartigen Tiefpunkt menschlichen Verhaltens und deutschen Versagens dargestellt hat, ist ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass es - beginnend mit dem Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg - weitere, andere Formen des organisierten und systematischen Völkermordes gegeben hat. Die Frage, ob und wie man diese mit dem Holocaust vergleichen kann, ob ein solcher Vergleich die Dimensionen der Shoah ungebührlich relativiert oder eher zu einem tieferen Verständnis dieses wie der anderen Massenverbrechen beiträgt, wird bekanntlich sehr kontrovers diskutiert. Wer - nicht zuletzt unter dem Eindruck jüngster Massenmorde in Ruanda oder einer auch in Europa neuerlich erwachten Politik der "ethnischen Säuberungen" - auf diese durchaus heikle Frage eine seriöse, unaufgeregte Antwort sucht, wird mit Gewinn die Studie des amerikanischen Historikers Eric D. Weitz zur Hand nehmen. http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/07/8823.html


 

4. Rang (18 Punkte, 4 Voten)

Davies, Norman: Aufstand der Verlorenen. Der Kampf um Warschau 1944. München 2004.

Dieses opus magnum ist mehr als eine Geschichte des längsten und blutigsten Aufstandes. Es erzählt polnische Geschichte im 20. Jahrhundert, gelegentlich mit weiten Rückgriffen in die Geschichte dieses Volkes zwischen zwei feindlichen Nachbarn. Davies rekonstruiert genau die internationalen Rahmenbedingungen, die Greuel der nationalsozialistischen Besatzungspolitik und das prekäre polnisch-sowjetische Verhältnis seit dem Krieg von 1920 und seit der Besetzung Ostpolens 1939. [...] Insgesamt hat er mit seiner stupenden Detailkenntnis und seinen differenzierten Urteilen eine imposante, sehr gut lesbare Synthese vorgelegt, die hoffentlich dazu beiträgt, die Kenntnis über ein besonders bitteres Kapitel der jüngeren polnisch-deutsch-sowjetischen Geschichte auch in Deutschland zu vertiefen. Das Motto, das er seinem Buch vorangestellt hat, mag andeuten, daß es ihm nicht nur um den polnischen Aufstand von 1944 ging: "Für Warschau und für alle, die die Tyrannei bekämpften - ungeachtet der Folgen." http://www.buecher.de/w1100485faz3426272431

Das Kernstück des Buches - die Schilderung des Aufstandes der polnischen Untergrundarmee gegen die deutsche Besatzungsmacht vom 1. August bis zum 2. Oktober 1944 - bettet Davies in eine wesentlich umfangreichere Darstellung von Vor- und Nachgeschichte sowie von politischer und historiografischer Bewertung der Erhebung ein. Durch diese breit angelegte Kontextualisierung erscheint der Warschauer Aufstand als ein Dreh- und Angelpunkt der polnischen und darüber hinaus der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Davies Ausführungen laufen darauf hinaus, dass im Verlauf des Aufstandes die entscheidenden Weichenstellungen hin zur Ost-West-Teilung des Kontinents und zum Kalten Krieg vollzogen wurden. Die Niederlage der Aufständischen war nach seiner Ansicht im wesentlichen bedingt durch das Scheitern des Systems der Anti-Hitler-Koalition zwischen Großbritannien, den USA und der Sowjetunion.
http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/04/6762.html