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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2009

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Lehrbücher / Überblicksdarstellungen
Offene Kategorie
Geschichte der Öffentlichkeit / Medien- und Kommunikationsgeschichte
Thematischer Schwerpunkt 2010
Publikumspreis

Neuere Geschichte (langes 19. Jh.)

Essay von Ewald Frie für H-Soz-Kult

1. Rang

Vogel, Jakob: Ein schillerndes Kristall. Eine Wissensgeschichte des Salzes zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Köln [u.a.] 2008.

Damit hat Jakob Vogel eine Arbeit vorgelegt, die wissenshistorisch angelegt ist, dabei aber die klassischen Kategorien der Wirtschaftsgeschichte kritisch überprüft. So führt die „Wissensgeschichte des Salzes” eindrucksvoll vor Augen, dass die Industrialisierung des 18. und 19. Jahrhunderts im Bereich des Salzwesens nicht als eine direkte Umsetzung naturwissenschaftlichen Wissens hin zu einer vermeintlich fortschrittlichen Rationalisierung beschrieben werden kann. Ines Prodöhl für H-Soz-Kult


2. Rang

Nippel, Wilfried: Johann Gustav Droysen. Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik. München 2008.

„Was bleibt von Droysen?“ Unter dem von Nippel explizit gewählten und erläuterten Fokus auf die Geschichtspolitik „‚nicht viel’“. Was bleibt von Nippels Droysen-Biographie? Zugespitzt formuliert, eine Art Vatermord an dem ‚Gründervater der Geschichtstheorie’, aber intensiv recherchiert, wohlbegründet, perfekt ausgeführt. Unterm Strich: ein gutes Stück Wissenschaftsgeschichte, das zur Diskussion anregt und weiterbringt. Joachim Eibach für H-Soz-Kult

Das Buch ist eine Gelegenheitsarbeit. Kurzfristig erging an den Autor die Einladung des Verlages, zu Droysens zweihundertstem Geburtstag am 6. Juli 2008 etwas zu schreiben. Wenn der Säkularkalender, Relikt jenes kulturprotestantischen Mnemozirkus, dessen Geschichte Nippels Berliner Institutskollege Wolfgang Hardtwig geschrieben hat, solche Meisterleistungen hervorbringt, möchte man fast wieder an die Dialektik von Buchstabe beziehungsweise Ziffer und Geist glauben. Nippel hat sich nicht damit begnügt, Droysens Werke noch einmal aufzuschlagen, deren klassischer Rang ihm ohnehin zweifelhaft ist. [...] "Man müsste sich eine förmliche Vorbildung für die Presse erdenken, man müsste eine Schule schaffen, deren Übung - der staatsmännischen parallel - wesentlich historischer Natur sein würde." Dem publizistischen Ehrgeiz zum Trotz, den manche Inhaber historischer Lehrkanzeln der Berliner Universitäten heute wieder entfalten, wird es zur Gründung einer Hertie-Schule des historischen Feuilletons nicht kommen. Wir unseres Orts dürfen Nippel unzertifiziert und uneingeschränkt loben.
Patrick Bahners (FAZ vom 12.03.2008, Nr. 61 / Seite L16)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Mit [Droysens] „Leben zwischen Wissenschaft und Politik” beschäftigt sich der Althistoriker Wilfried Nippel. Er hofft auf Widerspruch und kontroverse Diskussion. Denn er hält Droysen, der die Zeit des „Hellenismus” und die deutsche Geschichte Preußens als Themen zuerst in die Wissenschaft einführte, für einen schwer überschätzten, mehr fleißigen als redlichen oder gar originellen Gelehrten und Politiker. Droysen ist kein Ruf, der wie Donnerhall deutsche Lande erschüttert. Insofern wird auch kein Raunen und Staunen durch den Geltungsbereich des Grundgesetzes gehen, weil Wilfried Nippel geräuschvoll den Sockel umstürzt, auf dem gar kein Denkmal mehr steht.
Eberhard Straub (SZ vom 18.03.2008 )


3. Rang

Kramer, Alan: Dynamic of destruction. Culture and mass killing in the First World War. Oxford [u.a.] 2008.

Kramer explicitly challenges George Mosse’s thesis on the ‘myth of war experience’ and Europe-wide brutalisation. Instead, Kramer links the prevalence of political violence to the manner in which the nation-state in question was formed: Western European states formed by internal revolutions […] remained relatively stable, while those formed by nationalist unification movements […] saw ‘the democratic order destroyed by paramilitary violence’. Thus ‘reactions to the war had as much to do with culture’ as with the actual war experience of the state in question. In Russia, the violence of the civil war is seen in this light as a continuation of pre-war political violence, given greater legitimacy by the wartime culture of destruction. The ‘dynamic of destruction’ thesis provides a convincing explanation of the growth of total war and total destruction in the twentieth century; it gives a more nuanced view related to the culture and experience of different states than simply seeing Europe-wide ‘brutalisation’ caused by the First World War. Stuart Hallifax für H-Soz-Kult

Ob die Verbrennung der Löwener Bibliothek, die Bombardierung der Kathedrale von Reims, die Tötung Hunderter von Zivilisten, das Verhungern Tausender von Kriegsgefangenen - es gibt keine Scheußlichkeit, die nicht begangen worden wäre, Massenvergewaltigungen gab es auch. Das alles aber war eher der Kriegsfurie denn kalter ideologischer Berechnung geschuldet. Es war böse, aber noch war das Böse selbst nicht zum obersten Prinzip erhoben, und man wird es manchem Kriegsverbrechen zugestehen müssen, dass es aus Hass, Wut, niedrigen Instinkten, also menschlichen, besser: unmenschlichen Motiven, nicht aber aus kühler Berechnung heraus begangen wurde. Daran meldet Kramer Zweifel an, sie sind schwergewichtig. […] Man legt das Buch mit der nachdenklichen Frage zurück, ob das denn alles nur Geschichte ist.
Michael Salewski (FAZ vom 12.03.2008, Nr. 61 / Seite L21)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html


4. Rang

Leonhard, Jörn: Bellizismus und Nation. Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750 - 1914. München 2008.

Heraklits Diktum, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei, tönt in völkerrechtlich sensibilisierten Ohren befremdlich. Es mag für die agonale Antike und barbarische Kulturen gelten, nicht aber für die um Friedenswahrung bemühte westliche Zivilisation. Doch just in diese Richtung argumentiert Leonhard: Ohne ihre Kriegserfahrungen wären die westlichen Nationalstaaten nicht entstanden. […] Vielleicht ist diese paradoxe Geschichte, die keine Alternative zu kennen scheint, zu sehr mit Blick auf ihr Ende geschrieben. Geführt von des Autors bisweilen hermetisch wirkender Begrifflichkeit, steuert man wie in einem mächtigen Strom unaufhaltsam auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu. Sich der nationalen Einmütigkeit entgegenstellende pazifistische oder klassenkämpferische Deutungen machen sich nur als kleine Strudel in diesem Strom bemerkbar. Noch im Erschrecken über den fatalen Lauf der Dinge nötigt einem die Studie jedoch Respekt ab. Ohne sich vom Gewalttätigen faszinieren zu lassen, enthüllt der Autor so stoisch wie sorgfältig, dass der Krieg für die westliche Zivilisation – bisher – konstitutiv war.
Urs Hafner (NZZ vom 4. März 2009 )
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/buchrezensionen/de...html


5. Rang

Smith, Helmut Walser: The continuities of German history. Nation, religion, and race across the long nineteenth century. Cambridge [u.a.] 2008.

Smith writes movingly about the ruins of religious violence, the marking of sites of destruction and the rituals of re-enactment. This is a large topic that deserves more attention. […] Smith takes particular aim at social historians such as Detlev Peukert and his work on the “genesis of the Final Solution” out of the “spirit of science.” […] Smith’s work is written in a different mode and idiom, with conceptions of society, agency, ideology, politics and continuity that differ from Peukert’s. Moving strongly onto the terrain of ideology, Smith wishes to track connections across four centuries by analyzing a handful of selected texts. Jennifer Jenkins für H-Soz-Kult

An dem Werk, dessen Untertitel der enormen Breite des Zugriffs nicht gerecht wird, gibt es viel zu loben. Smith lenkt den Blick mit charakteristischer Kennerschaft zurück auf die großen, die wesentlichen Fragen. Er macht gerade durch seinen transnationalen Zugriff die Grenzen dessen deutlich, was bisweilen als eine transnationale Perspektive erscheint, die nationale Besonderheiten allzu sehr relativiert. Gerade deswegen laden die meisterhaften "Versuche" freilich auch zum Weiterdenken und Weiterfragen ein.
Andreas Fahrmeir (sehepunkte)
http://www.sehepunkte.de/2009/01/15066.html

Wer nach Kontinuitäten in der deutschen Geschichte fragt, blickt auf den Nationalsozialismus und den Holocaust. Komplexe Antworten sind der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, provozierende finden leichter Gehör. Spektakulär war in Deutschland die Resonanz, als Daniel Goldhagen 1996 in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust" den nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus mit tiefen Wurzeln in der deutschen Geschichte verankerte. Davon grenzt sich Helmut Walser Smith ab. Doch auch ihm geht es darum, nach den historischen Voraussetzungen zu fragen, die den staatlich organisierten Massenmord an den europäischen Juden möglich werden ließ.
Dieter Langewiesche (FAZ vom 14.11.2008, Nr. 267 / Seite 9 )
http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948...html

Smith sucht die Kontinuitäten, die den Holocaust ermöglichten, auf der gesellschaftlichen Ebene der "construction of community. […] Was er hier vorlegt und in lange Geschichtslinien einordnet, ist außerordentlich anregend. […] Nach Kontinuitäten in langen Zeiträumen zu fragen, ist wichtig und in der heutigen Geschichtswissenschaft mit ihren vielen Spezialisierungen dringlich. Aus Smiths Studie lässt sich lernen, wie anregend dies ist, und wie schwer.
Dieter Langewiesche (sehepunkte)
http://www.sehepunkte.de/2009/01/15041.html