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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2007

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Offene Kategorie
Entangled History: nationale und europäische Geschichte in globaler Perspektive
Thematischer Schwerpunkt 2008
Publikumspreis

Neuere Geschichte (langes 19. Jh.)

Essay von Ewald Frie für H-Soz-Kult

1. Rang (82 Punkte, 15 Voten)

Clark, Christopher: Iron kingdom. The rise and downfall of Prussia, 1600 - 1947. London [u.a.]: Penguin Books 2006.

[...] Christopher Clark hat jene weit gespannte Synthese auf der Höhe des Forschungsstandes verfasst, die sich Otto Hintzes "Die Hohenzollern und ihr Werk" (1915) an die Seite stellen lässt. In einer Manier, die an Thomas Nipperdeys "Deutsche Geschichte" erinnert, kann er lebendig erzählen und zugleich strukturell sezieren, widerstreitende Argumente referieren und am Ende ausgewogene Gerechtigkeit anstreben. Diese höchst beachtliche wissenschaftliche Leistung eines australischen, in Cambridge lehrenden jüngeren Forschers verdient eine detaillierte Besprechung. Hartwin Spenkuch für H-Soz-Kult

Clarks Buch, das ursprünglich für ein englisches Publikum geschrieben ist, aber unter uns verspäteten Musterschülern des Westens auf ehedem preußisch-deutschem Boden erst recht segensreich wirken sollte, ist der seltene Fall einer historischen Darstellung, die ihre Lebendigkeit einer ausdrücklichen didaktischen Absicht verdankt. Der Autor korrigiert die schwarzen Legenden über den schwarz-weißen Staat durch exemplarische Anschaulichkeit. Die Pappkameraden der Idealtypen kann der Historiker zwar nicht allesamt ausmustern, da diese Verkörperungen von Tugenden oder Strukturfehlern selbst Produkte der preußischen Geschichte sind.
Patrick Bahners (FAZ 21.03.2007)
http://www.buecher.de/w1100485faz3421053928

Christopher Clarks Buch besticht nicht nur durch die souveräne Beherrschung einer ungeheuren Masse an Quellen und Literatur, sondern auch durch die Vielfalt der Methoden und Perspektiven. Die Domäne des Verfassers ist die Politik- und Militärgeschichte. Dem Spiel der großen Mächte und dem Geschehen auf den Schlachtfeldern widmet er breite Aufmerksamkeit. Aber auch die Ideen- und Geistesgeschichte wird angemessen repräsentiert – besonders eindrucksvoll in den Kapiteln über den Pietismus in Brandenburg-Preußen, über die jüdische Aufklärung im Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts und die Staatsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels, die auf eine ganze Generation gebildeter Preußen nach 1815 eine berauschende Wirkung ausübte.
Volker Ullrich (Die Zeit, 15.02.2007)
http://www.zeit.de/2007/08/P-Clark

Mit sympathischer Offenherzigkeit schwärmt Clark von seiner Studentenzeit in West-Berlin, einem Ort, "der heute untergegangen ist". Von dort aus brachten ihn Ausflüge in den Ostteil Preußen ein wenig näher. Der Rest ist Zeitreise, das Glück des Historikers am reichen, vielfältigen und widersprüchlichen vergangenen Leben. Einige Wege führen zu uns, die meisten nicht. Christopher Clark hat ein gelassenes, genaues, einfühlsames Buch geschrieben, mit dem er sich auf individuelle, fast spielerische Weise in die große historiographische Tradition Preußens einreiht. Er kommt seinen großen Vorläufern intellektuell gleich, aber er übertrifft sie an Menschlichkeit. Es ist selten, dass man an einem Geschichtswerk eine solche Qualität hervorheben kann. http://www.buecher.de/w1100485sz3421053928


2. Rang (64 Punkte, 15 Voten)

Conrad, Sebastian: Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich. München: C.H. Beck Verlag 2006.

Geschichtssicherheit erzeugt Zukunftsvertrauen. Deshalb verlangt das noch unfertige "Haus Europa" nach einem tragfähigen Geschichtsfundament. Nationalgeschichten genügen nicht mehr, sie scheinen ihren Wert für die Gegenwart zu verlieren, wenn sie nicht europäisiert und globalisiert werden. Mit dieser Überzeugung hat Sebastian Conrad sein Buch über das Deutsche Kaiserreich geschrieben.
Dieter Langewiesche (FAZ 13.01.2007)
http://www.buecher.de/w1100485faz3406549659

Conrad steht für eine neue Generation von Historikern, die in weltgeschichtlichen Bezügen denkt und die deutsche Geschichte im Kontext der Globalisierung neu beleuchtet wissen will.Conrad interessiert das Verhältnis von Nationalisierung und Globalisierung, die um 1900 durch Weltwirtschaft, Weltpolitik und die Mobilität von Menschen, Ideen und sozialen Praktiken einen beträchtlichen Schub erfahren habe.
Jörg Später (SZ 04.10.2006)


3. Rang (50 Punkte, 11 Voten)

Kohlrausch, Martin: Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie. Berlin: Akademie Verlag 2005.

In einer Art "self-fulfilling prophecy" beschwor die Presse in den Monarchieskandalen nicht nur ihre eigene Bedeutung, sondern demonstrierte sie auch und erfuhr sich so als bedeutsam." Auf teilweise sehr hohem Abstraktionsniveau und unter Einbeziehung einer Fülle neuer Quellen herausgearbeitet zu haben, was dies für den Monarchiediskurs in Deutschland über annähernd drei Jahrzehnte bedeutete, ist eine große Leistung. Michael Epkenhans für H-Soz-Kult

Die Stärken von Kohlrauschs Studie liegen darin, dass sie innovativ die öffentliche Kommunikation mit dem Kaiser interpretiert. Die eingeforderte und umgesetzte Kommunikation mit dem Kaiser deutet er als ein Element der Partizipation. Die Skandale hätten, als Surrogate für Wahlen, den Glauben an die demokratische Erweiterbarkeit und Steuerbarkeit der Monarchie durch die öffentliche Meinung gefördert. Der Monarch sei dabei bürgerlichen Leistungsbegriffen unterworfen worden.
Frank Bösch (AfS Online, September 2006)
http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80769.htm

Kohlrausch versteht es in seiner gedankenreichen Studie einerseits, der Relevanz des mediengeschichtlichen Blickwinkels auf die Epoche besonderen Nachdruck zu verleihen, indem er überzeugend nachweist, wie stark die "Eigenlogik" der Medien den politischen Diskurs und damit ein gutes Stück weit die politische Entwicklung bestimmte. Am sichtbarsten wird dies in der so genannten Flucht des Kaisers nach Doorn. Anstatt den abstrakten staatsrechtlichen Vorgang der Abdankung zu diskutieren, griff die Presse das bildhafte Ereignis der Flucht auf. Andererseits kommt Kohlrausch durch seinen mediengeschichtlichen Blick auf die Monarchie zu sehr pointierten Schlussfolgerungen: Aus seiner Perspektive erscheint der mediale Monarchiediskurs als der Ort, der die demokratischen Tendenzen der Zeit auffing.
Dominik Petzold (sehepunkte 2005, Nr. 6)
http://www.sehepunkte.de/2005/06/6277.html


4. Rang (39 Punkte, 11 Voten)

Hübinger, Gangolf: Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006.

Nicht der in der deutschen kulturgeschichtlichen Tradition vorhandene Gegensatz von Gelehrten und Intellektuellen interessiert Hübinger, sondern er stellt in seinem Aufsatzband die Figur des "politischen Professors", des "Gelehrtenpolitikers", den er als Typus mit der Bezeichnung "Gelehrten-Intellektueller" als weniger ideologisch verbraucht und deswegen besser getroffen sieht, in den Fokus seiner Erörterungen. Roland Ludwig für H-Soz-Kult

Nicht zuletzt durch Verweis auf die "Frankfurter Schule", die "Gruppe 47" und den vermeintlichen "Tod des Intellektuellen" im Zuge der Aufstiegs der modernen Unterhaltungsindustrie deutet Hübinger an, dass die öffentliche Rolle der Gelehrten und Intellektuellen für die Struktur und die Verfasstheit der Öffentlichkeit bis heute ein wichtiges und fruchtbares Thema ist. Mit seinem Band hat Gangolf Hübinger hier wichtige Anstöße für die weitere Forschungen gegeben, die deutlich über die Einzelstudien hinausweisen.
Jörg Requate (sehepunkte 2007, Nr. 2)
http://www.sehepunkte.de/2007/02/10051.html


5. Rang (33 Punkte, 7 Voten)

Vec, Miloš: Recht und Normierung in der industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung in Völkerrecht, staatlicher Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2006.

Die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierenden wissenschaftlich-technischen Regeln hätten die Industrialisierung und die Technisierung maßgeblich gefördert, so die These des Rechtshistorikers Milos Vec in seiner Habilitationsschrift. Glänzend geschrieben, gelingt ihm eine pointierte empirische Studie. Für die Rechtsgeschichte handelt es sich um eine bedeutsame Neuerscheinung, weil sie ein Licht auf Normen wirft, die von Ingenieuren und Wissenschaftlern initiiert, von Juristen an technisch-wissenschaftliche Experten delegiert und deshalb lange nicht als Rechtsmittel begriffen wurden. Für die Technikgeschichte ist die Studie interessant, weil sie die komplexen Prozesse der Vergesellschaftung technischer Standards analysiert. Und für die Wirtschaftsgeschichte ist sie wichtig, weil sie die Verzahnung der vielfältigen Regulierungsmaßnahmen (internationale Verrechtlichung, nationale Vergesetzlichung und überbetriebliche technische Vernormung) während des „ersten deutschen Wirtschaftswunders“ (Hans-Ulrich Wehler) auf Basis von wissens- und technikbasierten Industrien (Maschinenbau, Chemie und Elektrotechnik) beleuchtet. Monika Dommann für H-Soz-Kult

Schnittige Thesen oder ausgreifende Dialektiken sind ebensowenig Sache des Verfassers wie methodisch ambitionierte Vorüberlegungen. Dies ist Schwäche wie Stärke des Buchs. Der Verfasser vertraut der Darstellung seines Gegenstands, ohne grundlegende Reflexion der Frage, was er eigentlich beschreibt. Das ist zumeist plausibel und erzeugt eine wohltuende Ernüchterung in Zeiten transzendentalsoziologischer Rechtsskepsis.
Christoph Möllers (FAZ 24.03.2006)
http://www.buecher.de/w1100485faz3465034902