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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2002

Alte Geschichte
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Geschichte der Frühen Neuzeit
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Europäische Geschichte
Außereuropäische Geschichte
Offene Kategorie
Nationalismus und Ethnizität
Thematischer Schwerpunkt 2004
Publikumspreis

Geschichte der Frühen Neuzeit

1. Rang (22 Punkte, 5 Voten)

Blanning, Timothy C. W.: The Culture of Power and the Power of Culture. Old Regime Europe 1660-1789. Oxford: Oxford University 2002.

Darin liegt jedenfalls in meinen Augen der Wert des Buches: Auf repräsentative Weise mit der kulturgeschichtlichen Absicht Ernst zu machen, politische Veränderungen in ihren Abhängigkeiten von kulturellen Veränderungen zu analysieren. Denn gerade auf diese Weise können Historiker ihre kulturwissenschaftliche Kompetenz gegenüber den Zumutungen der übrigen Kulturwissenschaften beweisen: Ein Vorsprung, eine Kombination in analytischen Kompetenzen, die den gleichzeitig kulturellen und sozialen Eigenschaften der Untersuchungsobjekte gerecht zu werden vermag und so mehrere Bedeutungsebenen entschlüsseln und zugänglich machen kann. Albert Schirrmeister für H-Soz-Kult


 

2. Rang (21 Punkte, 4 Voten)

Farge, Arlette: La nuit blanche. Paris: Seuil 2002.

Eigentlich habe sie, merkt die Autorin im Vorwort beinahe entschuldigend und etwas wortreich an, nur auf Wunsch einer Regisseurin ein Theaterstück schreiben wollen, das dann aber nicht realisiert worden sei. Was die renommierte französische Historikerin als gescheitertes Projekt bezeichnet, ist jedoch ein aussergewöhnliches Experiment an der Grenze zwischen Literatur und Geschichtswissenschaft. Farge erzählt vor dem Hintergrund ihres profunden sozialgeschichtlichen Wissens in eindringlichen, fragmentarischen Bildern, was und wie die Protagonistinnen und Protagonisten, allesamt «kleine Leute», kurz vor der Hinrichtung gefühlt, gesehen, gedacht und gesprochen haben könnten. http://www.nzz.ch/2003/01/25/fe/page-article8HSAR.html

Das Buch ist keine Forschungsarbeit, sondern ein Essay über Pierre Le Roy, den achtzehnjährigen Sohn eines Webers aus Cambrai, der die konfusen Pariser Unruhen der 1770er Jahre nach Cambrai übertragen wollte und wegen Gotteslästerungen und Verleumdungen gegen lokale Notabeln gerädert wurde. Arlette Farge versucht, die letzte Nacht des Beschuldigten vor seiner Hinrichtung zu rekonstruieren – der Titel des Buches, "la nuit blanche" (wörtlich: "die weiße Nacht") leitet sich ab von dem Ausdruck "passer une nuit blanche", d.h. "eine schlaflose, durchwachte Nacht verbringen". Zu rekonstruieren oder aber zu konstruieren: Die Autorin erfindet letztlich als Historikerin die Gefühle und die Erinnerungen des Angeklagten vor seinem Tod. Hier liegt die Ambivalenz des Vorhabens. Claire Gantet für H-Soz-Kult


 

2. Rang (21 Punkte, 5 Voten)

Darnton, Robert: Poesie und Polizei. Öffentliche Meinung und Kommunikationsnetzwerke im Paris des 18. Jahrhunderts. Frankfurt am M.: Suhrkamp 2002.

Robert Darntons Studie konzentriert sich auf die "Affaire des Quatorze", die nicht nur 14 Verbreiter von Schmähgedichten in den Kerker brachte, sondern auch den seit 36 Jahren amtierenden Minister Maurepas sein Amt kostete. [..] Ob es sich bei den weit verbreiteten Spottliedern und bei aller Kritik jedoch um ein "Vorspiel der Revolution" handelte, da bleibt der Rezensent Henning Ritter so skeptisch wie der Autor: eine "Öffentlichkeit" im emphatischen Sinn des Wortes nämlich gab es, so Ritter, eben noch nicht. http://www.perlentaucher.de/buch/9924.html

Darnton reizt das Spektrum der Interpretationsmöglichkeiten bis zur "oral history" aus und zeigt auf, wie Poesie in der Abschrift und im Auswendiglernen verwandelt, ergänzt und überspitzt wurde. Die Chansonniers bieten häufig unterschiedliche Fassungen desselben Liedes und auch damit zweifellos nur Momentaufnahmen im unablässig transformativen Aneignungsprozess. Autorschaft verschwindet da nicht nur in der Anonymität eines unbekannten einzelnen, sie zerstäubt unter den vielen namenlosen Mitautoren. Es ist schon meisterhaft, wie Darnton solche Zusammenhänge mit der Leichtigkeit der Erzählung schildert. Franz Mauelshagen für H-Soz-Kult


 

4. Rang (20 Punkte, 5 Voten)

Daston, Lorraine; Park, Katharine: Wunder und die Ordnung der Natur. 1150-1750. Berlin: Eichborn 2002.

Seien es nun die vierköpfigen Kälber aus der frühneuzeitlichen Prodigienliteratur, die Schwefelquellen, die toskanische Ärzte im 16. Jahrhundert entdeckten, oder die "Affenmenschen", welche die Jahrmarktbesucher des 18. Jahrhunderts belustigten: Die Objekte wie der Gestus des Betrachtens respektive Erforschens veränderten sich und damit die Vorstellung von dem, was als Wunder galt. Damit nicht genug, liefert Dastons und Parks "Wunder und die Ordnung der Natur 1150-1750" auch eine Geschichte der Naturwissenschaften. Schließlich markieren die sich verschiebenden Grenzen zwischen dem, was als natürlich gilt und was nicht, den Raum, den die Naturwissenschaft als ihren Forschungsgegenstand begriff. Daß Daston und Park überdies den sich wandelnden Habitus des Gelehrten rekonstruieren, ist ein weiterer Gewinn. Dieser wird nur dadurch geschmälert, daß in der Untersuchung neben Texten der klassischen Wissenschaftsgeschichte nicht auch andere Wissensfelder wie z.B. Mirakelberichte berücksichtigt wurden. Rebekka Habermas

[..] Daston und Park entzaubern die lineare Erzählung von der zunehmenden Entzauberung der Welt, indem sie etwa den frappierend kaltblütigen "Empirismus" des 13. Jahrhunderts gegen die "Wundergläubigkeit" des 17. ausspielen. Zudem führen sie in Wunderwelten ein, die gleich Wunderkammern alle Ordnungen des Natürlichen als höchst wunderliche Konstruktionen entlarven. Damit liefern sie gleichsam den vielleicht gelehrtesten, in jedem Fall einen der spannendsten Kommentare zu aktuellen Debatten über den Status von Naturwissenschaften. http://www.taz.de/pt/2003/02/18/a0201.nf/textdruck


 

5. Rang (18 Punkte, 5 Voten)

Jancke, Gabriele: Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Koeln: Böhlau 2002.

Jancke geht es [...] um die Analyse des konkreten sozialen und kommunikativen Kontexts, in dem autobiografische Texte entstanden sind - und den sie gleichzeitig immer auch mitgestalten. Nicht der Inhalt per se, sondern der Akt des autobiografischen Schreibens ist das eigentlich Interessante; nicht die individuelle Subjektivität der Texte oder die zeittypische Mentalität, die sie widerspiegeln mögen, sondern das autobiografische Schreiben als gesellschaftliches Handeln im Kontext sozialer Netzwerke. Wilfried Enderle für H-Soz-Kult